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Was lernen Christen aus der Corona-Krise?

Die Frage, ob die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes ist oder nicht, ist nicht sinnvoll zu beantworten. Wer meint, dazu ein abschließendes Urteil fällen zu können, behauptet damit, die Pläne und das Handeln des Allmächtigen zu kennen. Das würde eher nach menschlichem Hochmut klingen als nach demütiger Gotteserkenntnis.

Was wir als Christen aus diesem Ereignis lernen können, hat seine Grundlage in der Offenbarung des Wortes Gottes in der Heiligen Schrift. Weil wir an einen lebendigen und handelnden Gott glauben, ist auch sein Wort lebendig und spricht in unsere Gegenwart im 21. Jahrhundert.

Die erste Erkenntnis lautet:

1. Es gibt kein Paradies auf Erden.

Wir leben in Gottes Schöpfung nach dem Sündenfall und nach der Vertreibung aus dem Paradies (1. Mose 3). Mühsal und Arbeit, Schmerzen und Tod sind Realitäten allen menschlichen Lebens. Der Wunsch, dass Wissenschaft, Technik und medizinischer Fortschritt zu einem Leben mit andauerndem Wohlbefinden führen könnten, bleibt eine Illusion. Ein winziges Virus macht deutlich, dass unser Leben gefährdet bleibt.

2. Im Neuen Testament werden durch Jesus und im Buch der Offenbarung weltweite Bedrängnisse vorausgesagt.

Die apokalyptischen Abschnitte des Neuen Testamentes sind schwer zu verstehen und zu deuten. Ob Teile dieser Vorhersagen in der Gegenwart eintreffen oder nicht, ist nicht eindeutig zu klären. Entscheidend bleibt die Zusage, dass Gott regiert und dass seine Gemeinde in allen Nöten auf ihn vertrauen darf: „…seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21, 28).

3. Gott lässt Not, Elend und Tod in dieser Welt zu und verhindert es nicht.

Wir sind als Menschen nicht in der Position, Gott deshalb vor unser Gericht zu stellen. Die verständliche Suche nach Erklärungen für Gottes Handeln oder Nicht-Handeln bei katastrophalen Ereignissen führt nicht zu Ergebnissen. Martin Luther sprach vom „verborgenen Gott“, den wir nicht verstehen können. Wir sollen uns an den „offenbarten Gott“ in Jesus Christus halten und uns – nach Luther – ihm „an den Hals werfen“. Jesus ruft angesichts einer plötzlichen Katastrophe zur Umkehr zu Gott auf (Lukas 13, 1-5).

4. Gesundheit ist wichtig, aber nicht das Wichtigste

Jeder vernünftige Mensch achtet auf seine Gesundheit und ist dankbar für ein Leben, das von schlimmen Erkrankungen frei ist. Aber für Christen ist nicht Gesundheit der absolut höchste Lebenswert, sondern die Beziehung zum dreieinigen Gott und die Geborgenheit im Glauben an ihn.

Wenn der EKD-Ratsvorsitzende behauptet: „Der Schutz des Lebens steht für die Kirchen auch in der Corona-Krise an erster Stelle“, ist diese Aussage für sich genommen falsch. Die Kirchen haben weder die Macht noch die Möglichkeiten, das Leben umfassend zu schützen. Die christlichen Kirchen haben vor allem anderen die Aufgabe, das Evangelium weiterzugeben. Das Evangelium hilft zum Leben, aber es verhindert nicht das Sterben und auch nicht den Verlust von Gesundheit. Höher als die Suche nach einem gesunden und gelingenden Leben steht für Christen die Hoffnung auf Geborgenheit in Gottes Ewigkeit. Das soll kein Gegensatz sein, aber es benennt das Vorrangige vor dem Nachrangigen.

5. Martin Luther hält es für natürlich, vor Sterben und Tod zu fliehen, wenn man nicht dem Dienst am Nächsten verpflichtet ist. Aber er rät, aus Gottes Wort zu lernen, wie man leben und sterben solle, und sich auf das Ende des irdischen Lebens vorzubereiten.

Als in Wittenberg 1527 die Pest ausbrach, blieb Luther trotz anderslautender Aufforderungen in der Stadt und tat weiter seinen Dienst als Seelsorger und Lehrer der Theologie. Seine Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ (1527) fasst seine einerseits vernünftigen, andererseits biblisch-theologisch verantworteten Hinweise im Angesicht einer Epidemie zusammen, für die die Menschen seiner Zeit kein Gegenmittel zur Verfügung hatten.

6. In der Corona-Krise lernen Christen, dass wir als Menschen in Abhängigkeiten leben und nicht in völliger Selbstbestimmtheit.

Wir sind abhängig von der natürlichen Lebensumwelt – wenn die Natur geschädigt und zerstört wird, hat das Folgen für die Menschen.

Wir sind abhängig von den Fortschritten in der Wissenschaft und der Medizin und hoffen, dass solche unerwarteten Krankheiten wie Corona besiegt werden können.

Wir sind abhängig von der Zuwendung und Hilfe unserer Mitmenschen, vor allem im Alter und in körperlicher oder seelischer Schwäche.

Wir sind abhängig von dem Schöpfer Himmels und der Erde und dem Herrn über Leben und Tod – „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31, 16).
Pfarrer Wolfgang Sickinger



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