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Ehrliche Ökumene?

Lutherischer Konvent im Rheinland fordert offeneren Umgang mit der katholischen Kirche

In unserer römisch-katholischen Schwesterkirche hören die Mißbrauchsfälle nicht auf. Gerade wurden in Pennsylvania / USA durch die dortige Justiz sexuelle Vergehen an rund 1000 Kindern und Jugendlichen durch hunderte Priester aufgedeckt, die von den Bischöfen trotz gegenteiliger Beteuerungen jahrzehntelang systematisch vertuscht wurden. Dieser erschütternde Bericht zeigt, welche kriminelle Energie hinter unterdrückter Sexualität lauert und immer wieder zum Ausbruch kommt. Zuvor mußte in Amerika Kardinal McCarrick („Uncle Ted“) wegen ähnlicher Mißbrauchs- und Vertuschungsdelikte zurücktreten. 2002 war in der Diözese Boston ein großer Pädophilieskandal aufgedeckt und aufgearbeitet worden, ohne daß das strukturelle Übel beseitigt werden konnte. In Europa sieht es nicht besser aus. In Frankreich, Italien und Irland werden immer wieder Mißbrauchsfälle an Schutzbefohlenen beklagt. In Deutschland wurden 2010-14 durch das mutige Vorangehen des Berliner Jesuitenpaters Mertes zahlreiche neue Verbrechen bekannt. Der weltweite Ansehensverlust der katholischen Kirche ist erheblich.

Für jeden Menschen und Christen, auch für viele katholische Laien, ist klar, daß die erst 1139 eingeführte Ehelosigkeit der Priester der Hauptgrund für diese schlimmen sexuellen Abwege ist. Aber obwohl die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus eine Null-Toleranz-Politik ankündigten, denkt der Vatikan nicht daran, den Zölibat aufzuheben oder Verheiratete zum Priesteramt zuzulassen. Zwar wurde von der Kurie allein zwischen 2004 und 2012 gegen 3420 Priester wegen Kindesmißbrauch ermittelt, aber nur 848 aus dem Amt entfernt. Bis heute sind die Bischöfe nicht verpflichtet, Mißbrauchsvorwürfe der Polizei zu melden. Offenbar gibt es einen Systemzusammenhang zwischen Pädophilie und Institution, zölibatärer Männermacht und Kinderschändung, Hierarchieschutz und Aufklärungsverweigerung, der eine überfälligen Reform beharrlich verhindert. Im Neuen Testament, in der Orthodoxie, dem Protestantismus und allen anderen Kirchen ist die Schöpfungsgabe der Sexualität und die Ehe von Geistlichen dagegen anerkannt und selbstverständlich: Die Apostel hatten das „Recht“ zu heiraten (1.Kor 9,5). „Ein Bischof soll Mann einer einzigen Frau sein.“ (1.Tim 3,2). Jesus freute sich an den Liebenden und krönte die Hochzeit zu Kana mit einem Wunder (Joh 2,1ff.). Der Zölibat ist – wie man auch in Rom weiß - weder biblisch noch theologisch zu begründen. Die damit vorgetäuschte Sündlosigkeit ist immer mit einer falschen Heiligkeit und Heuchelei verbunden gewesen und heute offensichtlich in ihr Gegenteil umgeschlagen und kontraproduktiv. Wenn die katholische Kirche ihren Priestern die Heirat erlaubte, würden nicht nur die vielen Mißbrauchsfälle aufhören, sondern auch der Priestermangel, der in Westeuropa zum Zusammenbruch der Seelsorge in überschaubaren Gemeinden geführt hat.

Unsere evangelischen Kirchenoberen hüllen sich zu diesem Thema jedoch über die Jahre vornehm in Schweigen, während man sich zu politischen Fragen gerne offenherzig und einseitig äußert. Aber wer schweigt, scheint zuzustimmen, wie es in einem alten römischen Sprichwort heißt. Man pflegt eine Art oecumenical correctness, die um des hohen und hehren Ziels der Einheit der Kirchen willen alle Probleme der anderen ängstlich unter den Teppich kehrt. Wahre Ökumene kommt jedoch nicht durch stille Kirchendiplomatie und Beschweigen von Mißständen zustande, sondern nur durch einen offenen Dialog und Umgang miteinander. Sollten wir nicht – wo unsere Kollegen sich in der römischen Kirche kaum frei äußern können – von den Bischöfen und vom Papst die Aufhebung des Zölibats öffentlich fordern? Um der Ehrlichkeit in der Ökumene, der traumatisierten Opfer sexueller Gewalt und - der Priester willen, denen die Liebe einer Frau ohne Grund vorenthalten wird.

Pfarrer Winfrid Krause, Vorsitzender des Lutherischen Konvents im Rheinland



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