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Joachim Ringleben, Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her, Tübingen 2010, 638 S.



Diese Gesamtdarstellung von Luthers Theologie versucht, von seinem theologischen Zentrum, dem in menschlicher Sprache ergehenden Wort Gottes, aus sämtliche Loci der Theologie des Reformators in ihrer inneren Einheit aufzuzeigen. Hervorgegangen aus Vorarbeiten zum 3. Band des „Handbuchs Systematische Theologie“ über das „Wort Gottes“ ist so eine ganz eigenständige, mit zahlreichen bekannten und weniger bekannten Lutherstellen aus der gesamten Weimarer Ausgabe belegte Theologie Luthers entstanden. Ringleben berührt sich dabei eng mit den Lutherdeutungen Gerhard Ebelings („Wort und Glaube“) und Oswald Bayers („Promissio“). Was ihn umgekehrt von den Darstellungen der Theologie Luthers von Paul Althaus und Bernhard Lohse unterscheidet, ist die Herausarbeitung der sprachtheologischen Mitte von Luthers Denken, die unter ständigem Verweis auf die Sprachphilosophie von J.G.Hamann, J.G.Herder, W.v.Humboldt, G.F.W.Hegel, M.Heidegger, L.Wittgenstein, W.Benjamin und B.Liebrucks profiliert wird. Zugleich bemüht sich Ringleben, mit biblischen Exkursen und neuzeitlichen Parallelen Luthers Theologie ganz neu zu durchdenken, so daß ein ebenso historisch zutreffendes wie systematisch anspruchsvolles Denkgebäude entsteht.

Nach einer den sprachtheologischen Zugang begründenden Einleitung (S.1-21) und einer um das Wunder von „Gottes Selbstherablassung“ in die menschliche Sprache kreisenden Hinführung (S.23-28) beginnt Ringleben seine Darstellung mit einer „Grundlegung“ (S.29-90), die die bisher wenig beachteten Bemerkungen Luthers „Zur Sprache überhaupt“ und zum Thema „Gott und Sprache“ zusammenstellt. Daß Gott in menschlichen Worten wirklich zu uns spricht, ist kein Anthropomorphismus, sondern Folge der Menschwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus und in einem Verständnis der Trinität als ewigem „Gespräch“ begründet. „Wenn Gott als Grund der Sprache gedacht werden muss, ist nicht nur „metaphorisch“ von Gottes Wort die Rede. Das menschliche Wort, die menschliche Sprache sind so etwas wie ein geschöpfliches „Abbild“ (d.h. sprachlich: Weitersprechen und Sichartikulieren) der Logos-Natur Gottes selber. Die leitende These dieser Luther-Darstellung ist also, dass die menschliche Sprache selber metaphysisch nur im Horizont des göttlichen Seins zu verstehen und unsere Sprache ein endliches, gebrochenes, veräußerlichtes Medium des unerschaffenen göttlichen Wortes (Ps 94,9). Wir sprechen, weil wir aus Gott stammen, dem Dreieinigen, und zur geschöpflichen und eschatologischen Gottesgemeinschaft mit dem „deus verbosus“ (Luther) bestimmt sind, wie auch zur Gemeinschaft mit anderen Menschen. Es ist das Wort, das uns wesentlich untereinander und mit Gott verbindet.“ (S.17) Die „Durchführung“ (S.92-620) behandelt dann die Kapitel „Schöpfung und Wort“, „Der Mensch als Wort-Geschöpf“, „Das menschgewordene Wort“, „Das sakramentale Wort“, „Kirche des Wortes“, „Gesetz und Evangelium“, „Wort und Schrift“, „Wort und Glaube“, „Wort und Geist“, „Wort Gottes und Vernunft“ und „Eschatologie des Wortes“.

Neben der sprachtheologischen Grundlegung stellt das umfassende Kapitel „Wort und Schrift“ (S.252-443) einen Schwerpunkt von Ringlebens Lutherbuch dar. Seit Hans Freiherr von Campenhausens Monographie über die „Entstehung der christlichen Bibel“ (1968) liegt hier wieder eine umfassende und tiefsinnige Begründung des evangelischen Schriftprinzips im Gegenüber zum römisch-katholischen Traditionsprinzip und päpstlichen Lehramt und den neuzeitlich-schwärmerischen Begründungsversuchen der Theologie im Subjekt vor. Ringleben schreibt: „Indem die h. Schrift nicht nur von „Gott“ spricht, sondern auch vom „Wort“ Gottes spricht und selber Wort Gottes ist, zeigt sich an ihr selber schon, dass (nicht nur das Wort „Gott“, sondern auch) das Wort Gottes ein Wort unserer Sprache ist und dass in den menschlichen Worten (der h. Schrift) Gottes eigenes Wort da ist bzw. erklingt. In diesem dialektischen Doppelsinn ist die Schrift selber Offenbarung, von der sie - als Sprachereignis und „Anrede“ – zeugt.“ (S.427) Ohne das Fundament der Bibel ist Luthers Theologie und Reformation nicht zu erklären. Auch nach 200 Jahren historischer Kritik bleibt die Hl.Schrift die notwendige und hinreichende Grundlage der evangelischen Kirche.

Ringleben beabsichtigt mit diesem sprachtheologischen Zugang keine umfassende Darstellung der Theologie Luthers. Die Christologie Luthers, besonders seine Interpretation von Kreuz und Auferstehung und der Gottheit Jesu, kommt m.E. im entsprechenden Kapitel („Das menschgewordene Wort“) zu kurz. Der für Luther zentrale rechtfertigende Glaube wird im Kapitel „Gesetz und Evangelium“ ausführlich behandelt, allerdings ohne die wichtigen Antinomerthesen heranzuziehen. In der Lehre vom Gesetz beschränkt Ringleben sich auf den usus theologicus (S.199 A.26; S.225 A.165); der usus politicus fehlt ebenso wie ein ethisches Kapitel („Liebe“). Auch das Luther so wichtige Thema des freien bzw. unfreien Willens, das seine Differenz zur Neuzeit wohl am schärfsten markiert, kommt – obwohl Ringleben „De servo arbitrio“ oft zitiert – nicht vor.

Die unübersehbare Lutherliteratur wird nur selektiv herangezogen, was aber bei der großen Vertrautheit des Verfassers mit der Weimarer Ausgabe kein Schade ist. B.Lohses Theologie und M.Brechts große Biographie etwa werden nicht herangezogen, K.Holls Aufsätze, die die „Lutherrenaissance“ des 20.Jahrhunderts begründeten, nur an einer einzigen Stelle (S.427 A.892) genannt. Ringleben ist an der biographischen und theologischen Entwicklung Luthers nicht interessiert und faßt sein Denken von der 1. Psalmenvorlesung an einheitlich auf und vertritt implizit eine Frühdatierung der reformatorischen Entdeckung (vgl.S.252 A.4).

Insgesamt wird durch diese Darstellung der Theologie Luthers deutlich, wie der Reformator die gesamte deutsche Geistesgeschichte geprägt hat, bis heute turmhoch überragt und alle anderen philosophischen und theologischen Autoren, die Ringleben in seiner großen Gelehrsamkeit immer wieder vergleichend zitiert, in die Anmerkungen verweist.

Pfr. Winfrid Krause, Thalfang, 2013



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