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Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebr. 13,14)


Zur Jahreslosung 2013
Winfrid Krause

Seit den ersten Hochkulturen der Geschichte konzentriert sich das Leben der Menschen, Wirtschaft, Handwerk, Handel, Wissenschaft, Regierung und Religion in den Städten. Babel, Ninive, Memphis, Jerusalem, Athen und Rom waren die Metropolen der alten Welt. Und auch das Christentum breitete sich von den Städten, in denen die Apostel Gemeinden gründeten - Antiochien, Korinth, Ephesus, Alexandria, Rom und Konstantinopel – über die Länder aus.

Die Jahreslosung sieht das Stadtleben jedoch kritisch. Christen suchen eine andere, "zukünftige Stadt". Dieses Hoffnungsbild ist im Neuen Testament alt und häufig: Schon der Apostel Paulus stellt dem für die Knechtschaft des Gesetzes stehenden Berg Sinai das freie "Jerusalem, das droben ist", gegenüber (Gal 4,26; vgl. Phil 3,20). Der in bestem Griechisch verfaßte Brief an die Hebräer meint, Abraham wartete im Glauben auf "die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister Gott ist, das himmlische Vaterland" (11,10.16). Die Christen seien "gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem" (12,22), eben der "bleibenden, zukünftigen Stadt" (13,14). Am ausführlichsten und schönsten beschreibt dann der Presbyter Johannes am Ende seiner Offenbarung "die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut": ein quadratischer Würfel mit Stadtmauern und 12 Toren aus Perlen und Edelsteinen, ohne Tempel, ohne Lichter, ohne Sünde, denn Gott wohnt in ihrer Mitte und ihre Leuchte ist das Lamm (21,2.10-22,5). Gegenüber der innerweltlichen Hoffnung der Propheten auf eine Rückkehr in das irdische Israel und Jerusalem ist die christliche Hoffnung konsequent, bis zum Zerbrechen der Bilder, eschatologisiert.

In den Worten Jesu und den Evangelien begegnet das Bild der himmlischen Stadt nicht, aber der Kontext im Hebräerbrief erinnert daran, daß Jesus "vor dem Tor" des irdischen Jerusalems gekreuzigt wurde und die Christen deshalb zu ihm "hinausgehen" sollen, wenn sie an seiner Auferstehung und Auffahrt teilhaben wollen (13,12f.). Nicht nur das Jerusalem, in dem Jesus von der Mehrheit des Volkes, des Hohen Rates, Kaiphas und Pilatus, abgelehnt und verurteilt wurde, sondern Städte wie Babylon (vgl. Jes 13f.; Jer 50f.) und Rom gelten der Bibel als Sündenpfuhl und werden - wie Jerusalem zweimal (587 v.Chr. / 70 n.Chr.) und am Ende die ganze Welt - zerstört und untergehen (Mk 13,2.31; Offb 17ff.). Die vor Leben überschäumende, von Katakomben unterhöhlte Großstadt wird so zum schillernden Bild morbider Vergänglichkeit, wie es für alle Menschen unerbittlich gilt: "Wir haben hier keine bleibende Stadt." In Köln steht daher an einem Haus folgender Spruch:

Dies Haus ist mein und doch nicht mein,
dem Nächsten wird es auch nicht sein,
den dritten trägt man auch hinaus –
nun sag mir: wem gehört das Haus?

Dieser vernichtenden prophetischen Kritik zum Trotz wird die christliche Hoffnung dennoch als Stadt im Himmel vorgestellt. Warum nicht als Paradiesgarten mit Quellen und Flüssen, blühenden Wiesen und fruchttragenden Bäumen? (Gen 3; Ps 1; vgl. Offb 22,1f.) Oder als herrlicher Tempel, in dem Gott thront? (Hes 40-48) Wahrscheinlich weil der Garten Eden zum Ort des Sündenfalls wurde und Jesus den Jerusalemer Tempel gereinigt und seine Zerstörung angesagt hatte (Joh 2,19ff.; Mk 11,19ff.; 13,2; 14,58). Und weil das Bild der Stadt Jesu Rede vom Reich Gottes, wo Gott mit den Menschen versöhnt zusammenlebt, am besten wiedergibt.

Die Juden zur damaligen Zeit kannten natürlich die Pracht der "heiligen Stadt" Jerusalem, wie wir die römischen Bauten Triers, die Hochhäuser Frankfurts am Main, den Kölner Dom oder Hamburg, München und Berlin mit ihren schmucken Gebäuden kennen. Aber trotz der Bilder der christlichen Kunst vom himmlischen Jerusalem, etwa von Albrecht Dürer in seiner Apokalypse, können wir uns Gottes Ewigkeit im Grunde nicht vorstellen. Es wird alles ganz anders und unendlich viel schöner als auf dieser Welt sein!

Die Bibel ist jedenfalls voller Gestalten, die ihre angestammte Heimat um Gottes willen verließen: Abraham zog aus seinem Vaterland, den Städten Ur und Haran im Zweistromland, "in ein Land", das Gott ihm "zeigen" wollte, in dem er zeitlebens ein Fremdling blieb (Gen 12-25). Mose führte die Kinder Israel aus der Sklaverei Ägyptens durch das Rote Meer und die Wüste Sinai bis ans gelobte Land (Ex 3-Dtn 34). Hesekiel wird mit einem Teil seines Volkes in die babylonische Gefangenschaft weggeführt. Johannes der Täufer rief das Volk Gottes jenseits des Jordans in der Wüste zur "Buße" und Taufe "zur Vergebung der Sünden" (Mk1,1ff.) Jesus führt uns durch sein Wort, sein Kreuz und seine Auferstehung aus dem Reich der Sünde, des Todes und des Teufels in das Reich der Gnade Gottes zum ewigen Leben, wo wir von allem Bösen befreit durch ihn mit dem Vater im Hl.Geist ohne Ende zusammensein werden. Der Glaube und die Hoffnung dieser biblischen Personen ist für uns vorbildlich und begeisternd (Hebr 11). Jesus Christus selbst ist der "Anfänger und Vollender des Glaubens" (Hebr 12,2).

Die christliche Zukunftshoffnung braucht räumliche (diesseits - jenseits, unten – oben, Erde – Himmel) und zeitliche Kategorien (jetzt – dann, Gegenwart – Zukunft, Zeit – Ewigkeit) gleichermaßen, um die Differenz von dieser alten, vergehenden Welt und Gottes neuem, kommenden Reich auszusagen, die in der Person Jesu Christi untrennbar eins geworden sind. Zugleich muß zwischen der bloß m vorbildlich und begeisternd (Hebr 11). Jesus Christus selbst ist der "Anfänger und Vollender des Glaubens" (Hebr 12,2enschlichen Sehnsucht, dem irdischen Elend zu entkommen, die in allen Religionen und Weltanschauungen am Werk ist (Hölderlin, Elegie: "Täglich geh ich heraus und such ein Anderes immer..."), und der göttlichen Verheißung, die in unsere Not hineingekommen, ja hineingeboren ist (Joh 1,14: "Das Wort ward Fleisch..."), unterschieden werden. Jene bleibt vage und unsicher und trotz alles Einsatzes ergebnislos; diese ist sicher und gewiß und vollkommen, obwohl, ja gerade weil wir nichts für sie tun können.

Letztlich kann die ganze biblische Geschichte von der Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies, der Wanderung des Volkes Israel vom Sinai zum Zion bis zu Jesu Kreuz und Auferstehung, in dem das Schicksal des auserwählten Gottesvolkes gipfelt und sich zur ganzen Menschheit hin öffnet, als eine solche wartende und wandernde Hoffnung auf Gott beschrieben werden. "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." Entscheidend ist dabei die Erkenntnis, daß das Heil weder in der Gegenwart bereits vollendet ist noch in unerreichbarer Zukunft liegt, sondern in Jesus Christus, Gottes und Mariens Sohn, mitten in unserer vergänglichen Welt unwiderruflich begonnen hat. Im Glauben an ihn sind wir schon jetzt in allen irdischen Problemen und Bindungen erlöst und befreit und können der Zukunft, die bereits begonnen hat, fröhlich und getrost entgegenhoffen. Wenn wir mit dieser Losung in das Jahr 2013 hineingehen, reicht unsere Zukunft weit darüber hinaus!

Pfr.Winfrid Krause, Vorsitzender des Lutherischen Konvents, Thalfang, Januar 2013

Das Bild des Neuen Jerusalem als spätmittelalterliche deutsche Stadt im Apokalypsen-Zyklus von Albrecht Dürer findet sich bei Wikipedia.



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