[Startseite]


"Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“

Andacht über Lukas 9, 62, gehalten von Andreas Bollengraben auf der Konventstagung am Sonntag Okuli, dem 11. März 2012 in Brühl

Aus dem Evangelium des heutigen 3. Sonntags der Passionszeit - Okuli Lukas 9, 57-62:

57 Als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu Jesus: „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“58 Und Jesus sprach zu ihm: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“

59 Und er sprach zu einem andern: „Folge mir nach!“ Der sprach aber: „Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.“60 Aber Jesus sprach zu ihm: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“

61 Und ein andrer sprach: „Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.“ 62 Jesus aber sprach zu ihm: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes."


Es gibt Bibeltexte, die schwierig sind, weil wir sie nicht ohne Weiteres verstehen; und es gibt Bibeltexte, die sind schwierig, weil wir sie nur allzu gut verstehen. Das Evangelium dieses Sonntags lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig.

Harte Worte, die Jesus da sagt. Kaum verständlich, wie grob er die Leute abfahren lässt. Da kommen Menschen, wollen Jesus nachfolgen, wollen mitarbeiten, und anstatt sie freudig zu begrüßen, werden sie vor den Kopf gestoßen:

Wer ihm nachfolgt, so sagt er, der hat kein Zuhause mehr, kein festes Dach über dem Kopf, keine Sicherheit, keine Heimat und kein Heim, in das er sich zurückziehen könnte. Er ist weniger behaust, als die Tiere auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel.

Wer ihm nachfolgt, soll nur noch der Sache Jesu dienen, nur noch das Reich Gottes verkündigen und mit allen Ver­pflich­­tungen brechen, die er sonst noch haben könnte; selbst mit der im Judentum heiligen Pflicht, die Toten zu begraben. Noch radikaler kann man seine bürger­liche Existenz kaum aufgeben. Wer ihm nachfolgt muss alle familiären, freundschaftlichen und gesellschaftlichen Bindungen lösen, denn nichts soll ihn ablenken und nichts soll ihn binden auf dem Weg zum Reich Gottes.

Mit provozierender Schärfe stößt Jesus die Menschen vor den Kopf. Zumutungen, radikal und erschreckend. Heimatlosigkeit, Ruhelosigkeit, Pietätlosigkeit, Rücksichtslosigkeit. Will er die Menschen, die ihm nachfolgen möchten, abschrecken? Es wirkt fast so.

Das ist wahrlich kein niederschwelliges Angebot, wie wir das heute in unserer Kirche gerne nennen, keine freundliche Einladung, mit der Menschen der Zugang in die Kirche erleichtert wird. Das Bild, das Jesus hier vom Jünger sein zeichnet, steht diametral entgegen unserer heutigen bürgerlichen Kirchlichkeit. Weithin hat es sich die Gemeinde Jesu in der Welt gemütlich gemacht. Weil wir möglichst viele gewinnen wollen und niemanden abschrecken möchten, machen wir es uns und den anderen lieber leicht: bloß keine Rede mehr von Sünde in der Verkündigung, Gericht und Verdammnis haben wir aus Gründen der allgemeinen Akzeptanz abgeschafft.

Ethisch fordert die Kirche, zumindest die evangelische, höchsten was im Trend liegt: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, darauf können sich noch alle einigen. Aber kritische Worte zur Verrohung der Gesellschaft, zu Ehebruch, Abtreibung, Niedergang der Familie, zu Werteverlust und Egoismus, das werden wir in kirchlichen Verlautbarungen unserer Kirche vergeblich suchen – da muss man dann eher mal nach Rom hören.

Nur keine Anforderungen, keine Verpflichtungen. Evangelisch sein heißt, dass man nicht in die Kirche gehen muss; alles ist Einladung und unverbindliches Angebot. Aber die Kirche hat falsch gerechnet: je mehr sie den breiten Weg einschlägt, das tut, was alle tun, allem und jedem hinterherläuft, umso mehr wird sie für die Welt uninteressant. Die schwindende Anhängerschaft und fehlende Zustimmung kann nicht durch Sonderangebotsaktionen ausgeglichen werden. Also hat Jesus doch recht mit seinen harten Worten? Lieber vor den Kopf stoßen und die Latte hochlegen? Wie immer wir versuchen, seine Worte zu verstehen, eins steht fest: unser Wirklichkeit ist Welten entfernt von der Wirklichkeit Jesu und seiner Jünger. Wir leben nicht so wie sie, ob wir nun Christen sind oder nicht, und daran lässt sich auch nicht so einfach etwas ändern.

Heißt das nun, dass wir alle nicht geeignet sind für die Nachfolge? Wie kann Nachfolge Jesu in der Welt von heute aussehen? Es geht auf jeden Fall nicht darum, die Lebensweise Jesu und seiner Jünger einfach zu imitieren. Das geht gar nicht – da liegen 2000 Jahre dazwischen und verschiedene Welten. Es geht nicht darum ein bestimmtes Verhalten nachzuahmen, sondern es geht um eine Haltung.

Jesus deutliche Worte sagen auch heute noch: Nachfolge, Christsein ist nicht irgendetwas neben anderem. Man gehört verschiedenen Gruppen an, dem Tennisverein und dem ADAC und dem Roten Kreuz und irgendeiner Partei und dem Kirchenchor – und außerdem ist man auch noch Christ.

Nein – Das Christsein soll das ganze Leben bestimmen und alle Lebensbereiche durchdringen. Wir leben in bestimmten Beziehungen und Verpflichtungen, aber diese Beziehungen und Verpflichtungen werden beleuchtet, werden durchdrungen, werden möglicherweise auch relativiert durch unseren Glauben. Nicht die Heimat, erst recht nicht das Vaterland, nicht Geborgenheit, nicht die bürgerlichen Pflichten und nicht die persönlichen Bindungen sind im Letzten das Entscheidende. Das Wesentliche, das alles andere durchdringen und bestimmen soll, ist die Beziehung zu Jesus. Die harten, abweisenden Antworten werfen die Angesprochenen zurück auf dieses Wesentliche. Und das Wesentliche ist, allein Jesus im Blick zu haben, auf ihn zu schauen. Das ist die Haltung, die Jesus erwartet.

„Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Das Bild vom Bauern, der mit dem Pflug sein Feld bearbeitet – Meter für Meter, Furche für Furche – ist Ausdruck für diese Haltung. Zur Arbeit des Pflügens gehört es, ganz bei der Sache zu sein, ganz da zu sein, sich ganz auf das Wesentliche zu konzentrieren, sonst werden die Furchen niemals gerade. Wer diese Arbeit tut, darf sich nicht verzetteln, darf nichts anderes nebenher machen, darf auch nicht zurückblicken.

Ganz da-sein, beim Wesentlichen, bei der Sache. Alles Nebensächliche lassen, sich auf das Eigentliche konzentrieren. Das ist eine Haltung, die immer wieder von uns gefordert ist. Der Glaube ist etwas, das zum Wesentlichen ruft. Es geht nicht um dies und das, sondern es geht um die Wahrheit und um die Seligkeit.

Der heutige Sonntag heißt: OKULI – Augen; nach dem alten Introituspsalm dieses Sonntags (Psalm 25, Vers 15): „Meine Augen sehen stets auf den Herrn“. Das ist die Haltung die gefordert ist. Das heißt Nachfolge: nicht ein bestimmtes Verhalten – das kann je und je nach Zeit und Situation durchaus unterschiedlich sein –, sondern diese Orientierung auf Jesus Christus. Ihn nicht aus dem Blick zu verlieren, trotz allem anderen, was uns beschäftigt und zu binden versucht, das ist das Entscheidende. Ohne dieser Haltung, dem steten Blick auf ihn, werden die Furchen unseres Lebens und unseres Glaubens krumm und schief.

Mit dieser Haltung, die Augen auf Christus gerichtet, mit solcher Konzentration und einem solchen Blick auf das Wesentliche werden wir Nachfolger Jesu, sind wir seine Jünger, sind wir seine Kirche. Amen

Pfr. Andreas Bollengraben, Wuppertal, 11. 02. 21012



[Seitenanfang] [Startseite]