Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig
Zur Jahreslosung 2012 2. Korinther 12, 9
Winfrid Krause
Ein Wort Jesu Christi soll uns als Losung durch
das neue Jahr begleiten, nicht ein Wort des irdischen, sondern des
erhöhten, das uns der Apostel Paulus überliefert hat.
Nachdem Paulus die Gemeinde in Korinth verlassen hatte und
weitergezogen war, wurde seine Autorität dort von anderen
Aposteln in Frage gestellt. Er sei kein richtiger Jünger Jesu
gewesen (2.Kor 5,16), er habe die Heiden vom Gesetz des Mose befreit,
er verfüge über keine besonderen Geistesgaben (2.Kor 11,5).
Der Apostel kämpft in seinen Briefen an die Korinther
leidenschaftlich um seine Stellung
und erwähnt eine besondere „Offenbarung“, bei der er
ins Paradies entrückt wurde. Doch will er sich solcher
außergewöhnlichen Gnadenerweise nicht rühmen; sie
sind kein Verdienst. Damit er sich ihretwegen nicht überhebe,
wurde ihm ein „Pfahl ins Fleisch“ gegeben, irgendeine
schmerzhafte Krankheit, die trotz mehrfachen Gebets nicht weichen
will. Der Herr sprach vielmehr zu ihm: „Laß dir an meiner
Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Solche Erfahrungen, daß Gebete auch nicht
erhört werden, daß wir mit einem Leiden leben müssen,
sind uns nicht unbekannt. In den heidnischen Religionen suchten die
Menschen ihr Glück: hast du Liebeskummer, gehe in den Tempel der
Venus; mußt du in den Krieg ziehen, bringe dem Mars ein Opfer;
bist du krank, bete zu Asklepios! Aber – so hat Dietrich
Bonhoeffer in einer berühmten Predigt
gesagt – am Kreuz Jesu „ist die Gleichung von Religion
und Glück ein für allemal zerbrochen. Über dem Kreuz
erschien das neue, unbegreifliche Wort: Gnade.“ Gottes Sohn
lebte uns dort das Vertrauen auf Gottes Gnade vor und ging in das
Dunkel des Todes hinein. Erst drei Tage danach, in seiner
Auferstehung, wurde Gottes Heil an ihm offenbar.
Wo sind wir in unserem Leben schwach, daß
wir um Gottes Hilfe bitten? Da sind Ängste, den vielfältigen
Anforderungen in Beruf und Familie nicht gewachsen zu sein. Da sind
Sünden, die sich trotz guter Vorsätze hartnäckig
wiedereinstellen. Da sind schmerzhafte, chronische Krankheiten, die
selbst mit aller Medizin nicht besser werden. Da ist das Älterwerden,
wo die Kräfte nachlassen und vieles nicht mehr so geht wie
früher. Wenn diese Nöte und Schwächen auch durch
intensives Gebet nicht aufhören, sind sie offenbar von Gott
auferlegt und gewollt. Christsein besteht wesentlich im Hoffen und
Harren auf Gottes Zukunft und Erlösung. Nur wo der Mensch nicht
groß, stark, reich, gerecht und gesund sein will, nur wo er
klein, schwach, arm, schuldig und krank ist, ist Raum für Gott:
„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Dadurch wird umgekehrt auch ganz klar, was Gottes
Gnade eigentlich ist? Offenbar kein Wundermittel zur Erreichung
irdischer Glückszustände; keine Gabe, die von ihrem Geber
abgelöst einfach so in unseren Besitz übergehen könnte;
sondern die vergebende Liebe Gottes, die am Kreuz seines Sohnes
aufleuchtet und den Sünder annimmt, durch die wir – wenn
wir an sie glauben – auch in der größten Not nicht
verlassen, sondern in Gott geborgen sind. Gott wurde in Jesus
Christus ein Mensch, ein hilfloses Kind in der Krippe, ein
Wanderprediger mit Worten, ein ohnmächtiger Mann am Kreuz. Aber
gerade so zeigt er eine Schwäche für uns, so wurde die
Größe seiner Liebe offenbar, so hat er Sünde, Tod und
Teufel besiegt und das ewige Reich Gottes begründet. „Denn
wenn er auch gekreuzigt worden ist in Schwachheit, so lebt er doch in
der Kraft Gottes.“ (2.Kor 13,4) So führt er uns durch
Kreuz und Leiden zur Auferstehung und zur ewigen Freude!
Vielleicht verstehen wir jetzt besser, warum
Schwächen zum Christsein dazugehören? Wir haben den
„Schatz“ der Gnade „in irdenen Gefäßen,
damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von
uns.“ (2.Kor 4,7) Wir wandeln eben noch „im Glauben“
und noch nicht „im Schauen“ (2.Kor 5,7) Wir würden
uns sonst der „hohen Offenbarungen überheben“ (2.Kor
12,7) und uns wie das Volk Israel unserer Erwählung „rühmen“
und so aus der göttlichen Gnade wieder ein menschliches
Verdienst machen. Wir sind auch als Christen noch Sünder, und
die Sünde, die im Fleisch steckt, muß zu Grabe getragen
werden. Wir müssen deshalb erst „mit Christus leiden“
und sterben und unser Kreuz tragen, bevor wir mit ihm zur
Auferstehung gelangen und endgültig vom Bösen erlöst
werden. (Röm 8,17; Phil 3,10f.)
Für solche Kraft in der Schwachheit gibt es
viele Beispiele in der Natur: Wasser ist viel weicher als der harte
Fels, und doch hölt steter Tropfen den Stein. Ein zarter
Pflanzentrieb durchbricht das harte Erdreich. Ein kleiner Vogel
fliegt tausende Kilometer weit. Eine einzige Kerze erhellt den ganzen
Raum voll Dunkelheit.
Auch unter den Menschen kommt man mit Geduld oft
weiter, als wenn man mit der Faust dreinschlägt. Die Welt muß
gewiß mit starker Hand regiert werden und kann der staatlichen
Gewalt nicht entbehren. Aber Christen kämpfen nicht mit
irdischen Waffen um vergängliche Erfolge, sondern breiten mit
dem schwachen Wort und mit Zeichen der Liebe Gottes Barmherzigkeit
aus. Und entsprechen so dem, was Jesus uns durch seinen Apostel sagt:
„Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft
ist in den Schwachen mächtig.“
Martin Luther notierte dazu bei seiner
Bibelübersetzung am Rand: „Mit diesem Wort tröstet
Christus alle, die in Schwachheit und Leiden sind. Denn er kann seine
Stärke in uns nicht beweisen, wir seien denn schwach und
leidend.“
Im Glauben aber sind wir auch in Schwachheit und Leiden mit Jesus
verbunden, der – obwohl er als Gottes Sohn Anteil an Gottes
Allmacht hatte –aus Liebe zu uns schwach wurde. Im Glauben
wohnt er im Hl.Geist in uns, stärkt uns mit herrlichen
Verheißungen und geht im neuen Jahr mit uns mit. So daß
wir mit dem Apostel sprechen können: „Wenn ich schwach
bin, dann bin ich stark.“ (2,Kor 12,10)