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Der Gottesdienst ist keine Gemeindeversammlung!
oder: Warum man den Dienst Gottes an uns, nicht von der „Besucherzahl“ abhängig machen sollte.
Dirk Bangert

I

„Schade, dass die Kirche nicht immer so voll ist“, raunte mir die Küsterin anlässlich eines Orgelkonzertes zu. Sie hat recht. Nicht nur alle Kirchenbänke waren voll, sondern auch fast alle hinzu gestellten Stühle. Aus der ganzen Stadt waren sie gekommen, um unserem Kantor zu lauschen, sehr stimmungsvoll!

Und sonntags? Da bleiben in vielen Kirchen viele Plätze leer. Aber darüber muss ich hier keine großen Worte verlieren, das Phänomen wird jeder kennen, und sich wünschen, dass es anders wäre. Einerseits weil es einfach schön ist, mit vielen Schwestern und Brüdern im Glauben unter der Kanzel und vor dem Altar zu sitzen, um zu singen, zu beten, zu loben, das Sakrament zu empfangen, und auf Gottes Wort zu hören, andererseits, um der tief in uns wohnenden „Effizienzfrage“ zu entgehen: Lohnt sich der Aufwand für die paar wenigen Getreuen, die sich in ihrem hohen Alter in die Kirche quälen?

Oder im Zuge der Sparwut noch deutlicher: Lohnt sich diese Predigtsstätte noch? Sollen wir nicht das Geld in die Jugendarbeit/Kirchenmusik (oder sonstwohin) stecken?

II

Es wird gerne behauptet, der Gottesdienst wäre – theologisch betrachtet – eine Gemeindeversammlung, aber jetzt kann sich jeder einmal fragen, wie viele Kirchen in der eigenen Gemeinde zu bauen wären, wie viele zusätzliche Prediger zu beschäftigen wären, um die ganze(!) Gemeinde am Sonntag empfangen zu können.

Wenn er nun offenkundig keine Gemeindeversammlung ist, was ist er dann? Der Gottesdienst ist der Dienst Gottes an uns, und allen, die dieses Angebot wahrnehmen wollen. Daher ist es ziemlich zynisch, ihn an der „Besucherzahl“ zu messen. Jesus Christus spricht: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Dieses Herrenwort rechtfertigt das pfarramtliche Brüten über dem Predigttext, die mühevolle kirchenmusikalische Gestaltung, und das sonntägliche Herrichten des Kirchsaals durch den Küsterdienst, völlig unabhängig von der Größe der Gottesdienstgemeinde.

Aber es ist auch eine Mahnung an alle Geistlichen, die sagen, dass es keinen Spaß macht, vor einer fast leeren Kirchen zu predigen, und deshalb gelangweilt die Liturgie vorlesen, und die Predigt von vor sechs Jahren einfach wieder aufkochen. Eine Mahnung an alle Presbyteriumsmitglieder, die von ihrer Presbyterbank aus frustriert in die leeren Reihen gucken, anstatt Gottesdienst zu feiern. Denn Jesus sagt uns, dass er real gegenwärtig ist, wo sich zwei, oder drei in seinem Namen versammeln!

Wer jetzt immer noch in Zahlen denkt, muss sich fragen, ab wann ein Gottesdienst zu schlecht besucht ist: 50? 30? 29? 28? 15? Auch hier hilft ein Blick in die Heilige Schrift. Abraham feilscht mit Gott um Zahlen (Gen 18,22-33). Die Gerechten in Sodom sollen gerettet werden. Egal, ob es fünfzig sind, oder nur zehn. Gott lässt mit sich handeln. Auch dieses Geschichtchen will nicht recht passen zu unserem „Effizienzdenken“. Daher ist es im Zuge der Sparmaßnahmen als falsch und unnütz zu verwerfen.

III

Der Umkehrschluss ist allerdings auch falsch. Es gibt keinen Freibrief für Presbyterien und Pfarrpersonal, sich bequem zurückzulehnen, und gleichgültig „wer kommt, der kommt“ zu sagen. Die Kirche darf (und muss) die Einladung des Herrn aussprechen: „Wer mir nachfolgt, der wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12).

Die immer sich erneuernde Schaffung eines lebensbejahenden Gemeindelebens in der Nachfolge Christi ist ebenso notwendig wie ein stets glaubwürdiges kirchliches Handeln. Authentische und attraktive Gottesdienstformen zu halten, zu finden und zu erfinden, gehört ebenso dazu wie der immer gültige Inhalt des berühmten Luther-Zitates: „dem Volke aufs Maul zu schauen“. In einer pluralen, fragmentarischen Gesellschaft hat alles seinen Platz: vom ekstatischen Jugendgebetsabend, über den bildungsbürgerlichen Familiengottesdienst, bis hin zur Evangelischen Messe; der Protestantismus ist – Gott sei es gedankt – mit den unterschiedlichsten Traditionen und Aspekten von Frömmigkeit reichlich gesegnet. Nur albern, dümmlich oder unverständlich dürfen die äußeren Formen nicht werden, denn das Evangelium Jesu Christi steht über allem, daher ist der sonntägliche Hauptgottesdienst (bei aller berechtigten Zielgruppenorientierung) als verbindendes Element aller Generationen unaufgebbar.

Die Verkündigung in Wort und Tat dieser fröhlichen, und erlösenden Botschaft ist unser Auftrag, dafür hat Gott uns mit seinem Heiligen Geist erleuchtet. Warum sollten uns „schlechte Besucherzahlen“ diese „Begeisterung“ nehmen? Im Gegenteil, gerade hier ist es notwendig, die Glocken weiter läuten zu lassen gegen die säkularen Motive der Abwesenden (nicht gegen die Abwesenden selber!), und sie unbeschwert, fröhlich einzuladen, am Sonntagmorgen einmal für eine Stunde die Lasten des Alltags zu vergessen und sich von Gottes Wort bestätigen und korrigieren zu lassen.

Und als kleine Entlastung aller kirchlichen Amtsträger (im Haupt- und Ehrenamt) zum Schluss darf man sich in Erinnerung rufen: Das reine und lautere Evangelium war der Welt schon immer ein Ärgernis (oder eine Torheit), warum sollte das im 21. Jh. anders sein?

Vikar Dirk Bangert, Wuppertal-Elberfeld, am 23. Januar 2010



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