[Startseite]


Adoptianische Christologie bei Markus?
Zu einem Interview von Präses Nikolaus Schneider
Reiner Vogels

In "idea spektrum" Nr. 26 vom 30. Juni 2010 hat der rheinische Präses und amtierende EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider ein beachtenswertes Interview gegeben. Im Zusammenhang mit einer Diskussion über die Geburt Jesu Christi aus der Jungfrau Maria hat er die von den großen ökumenischen Konzilien der Christenheit einmütig als Ketzerei verworfene Lehre vertreten, dass Jesus gar nicht von Anfang an Gottes Sohn war, sondern dass er erst in der Taufe am Jordan von Gott als Sohn adoptiert worden sei. Zitat:

idea: Wenn Jesus einen leiblichen Vater hätte, etwa Josef, wäre nicht Gott der Vater Jesu Christi - dann wäre Jesus zwar wahrer Mensch, aber nicht wahrer Gott!

Schneider: Doch, dann hätte Gott Jesus durch die Taufe als seinen Sohn adoptiert - das ist das Modell des Evangelisten Markus.

idea: Die Lehre, das Jesus erst durch seine Taufe zum Gottessohn adoptiert worden sei, wurde einst als Irrlehre verworfen.

Schneider: Geschenkt! Denn dann müssten sie auch den Bericht des Evangelisten Markus als Irrlehre verwerfen - viel Freude dabei!


Präses Schneider - immerhin derzeit der ranghöchste Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland!- bestreitet also gar nicht, dass die Lehre, die er vertritt, eine von der Kirche verurteilte Irrlehre ist. Er geht sogar so weit, dass er dem Evangelisten Markus unterstellt, dass dieser die christologische Irrlehre des Adoptianismus verkündigt habe.

Markus ein adoptianischer Irrlehrer - Welch eine Fehleinschätzung! Markus lehrt das genaue Gegenteil, vom Anfang bis zum Ende des Evangeliums. Schon im ersten Vers des Markusevangeliums, der so etwas wie eine Überschrift ist, lesen wir: "Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes". Und am Ende, im vorletzten Kapitel, hören wir das Bekenntnis des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz: "Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!" (Markus 15, 39). Markus lässt überhaupt keinen Zweifel daran zu, dass Jesus eben nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott ist. Und keineswegs lehrt er, dass Jesus zunächst einmal ein normaler Mensch war und erst in der Taufe als Sohn Gottes adoptiert worden ist.

Am deutlichsten erkennt man das aus dem Abschnitt Markus 12, 35-37: Jesus setzt sich dort mit der Lehre der Schriftgelehrten auseinander, dass der Messias, also der Christus, Davids Sohn sei. Um diese Lehre zurückzuweisen, zitiert er aus Psalm 110, einem Psalm Davids: "Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde unter deine Füße lege." Die Schlussfolgerung Jesu ist: Wenn David, der ja diesen Psalm formuliert hat, selbst vom Christus als "seinem Herrn" spricht, wie können die Schriftgelehrten dann die Lehre vertreten, der Christus sei Davids Sohn? Wörtlich: "Da nennt ihn ja David selbst seinen Herrn. Woher ist er dann sein Sohn?" Aus dieser Argumentation Jesu geht ganz klar und eindeutig hervor, dass David nach der Deutung Jesu ein innergöttliches Gespräch zwischen Gott Vater und Sohn mitgehört hat. Wenn also, wie es Jesus seinen Zuhörern vor Augen stellt, Gott Vater schon zur Zeit des Königs David mit dem Christus, der ja nach Markus Gottes Sohn ist, gesprochen hat, dann dürfte doch wohl klar sein, dass sowohl nach der Lehre Jesu als auch nach der Lehre des Evangelisten Markus Jesus schon zu Zeiten Davids als präexistenter Gottessohn in Gemeinschaft mit dem Vater gelebt hat. Es ist keineswegs nur der Evangelist Johannes, der die Präexistenz Jesu lehrt, sondern es ist die einhellige Lehre des gesamten Neuen Testaments.

Nun beruft sich Präses Schneider ja auf den Bericht von der Taufe Jesu. Er sagt es nicht ausdrücklich, aber man geht gewiss nicht fehl in der Annahme, dass er dabei wie ganze Generationen von bibelkritischen Theologen vor ihm an das Wort denkt, das Gott nach dem Bericht des Markus an Jesus gerichtet hat: "Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen." Seit wenigstens hundert Jahren lernen die Theologiestudenten an der Universität, dass dieser Satz eine Adoptionsformel sei. "Du bist mein lieber Sohn" sei, so lehren diese Theologen, in dem Sinne zu verstehen, dass Gott im Moment der Taufe dem Menschen Jesus eine Offenbarung habe zukommen lassen, dass er nämlich von diesem Moment an zur Gottessohnschaft adoptiert worden sei. Dies ist natürlich eine totales Missverständnis. Man muss sich, wenn man derartige Bibelwissenschaftler hört oder liest, fragen, ob eigentlich niemand von ihnen einen Sohn oder eine Tochter hat und ob noch niemand von ihnen zu seinem geliebten Kind ähnliches gesagt hat, besonders wenn das Kind Bestätigung brauchte. Warum sollte Gott nicht auch so mit seinem geliebten Sohn sprechen? Und warum sollte er das nicht gerade in der Situation tun, in der Jesus sich damals befand? Mit der Taufe am Jordan hat ja der öffentliche Weg Jesu durch Galiläa und nach Jerusalem begonnen, der Weg, über dem das göttliche "Muss" stand (siehe Markus 8, 31), der Weg, der in Leid und Tod enden würde.

Es ist vollkommen abwegig, gegen das gesamte und durchgehende Zeugnis des Markusevangeliums aus dem Bericht von der Taufe Jesu eine adoptianische Christologie herauslesen zu wollen. Nur eine voreingenommene und rationalistische Bibelexegese kann einem solchen Irrtum erliegen. Zu recht hat die Kirche den Adoptianismus als Irrlehre verworfen. Es wäre gut, wenn alle in der evangelischen Kirche dies anerkennen würden.

Pfr. i.R. Reiner Vogels, Swisttal, 01.07. 2010



[Seitenanfang] [Startseite]