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Weihnachten – ein Opfer der Zivilreligion?
Wilhelm Drühe

Vor mehreren Jahren erschien ein alternatives Weihnachtsbuch mit dem Titel: „Das Volk will Ochs und Esel.“ Die beiden Tiere gehören seit langer Zeit in fast jede Krippendarstellung – kommen aber in der christlichen Bibel, dem Evangelium, nicht vor. Im 8. oder 9. Jahrhundert schrieb jemand, dem das Matthäusevangelium zu einfach war, ein Pseudo-Matthäusevangelium und schmückte die Berichte von der Geburt aus – und seitdem stehen Ochse und Esel in der Krippe, vielleicht auch in einem Rückgriff auf die jüdische Bibel, in der der Prophet Jesaja etwas von diesen beiden Tieren gesagt hat: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht“ (1,3).

Auch in unserer evangelischen Kirche kommt es nicht nur darauf an, was in der Bibel steht, sondern auch auf das, was das Kirchenvolk gerne hat – Weihnachten ist ein gutes Beispiel dafür. Nun hat der Lutherische Weltbund (LWB) vor mehr als 20 Jahren die protestantischen Kirchenverhältnisse in Deutschland einmal gründlich erforscht und festgestellt, dass die Kirchlichkeit bei uns stark von dem bestimmt wird, was man „Zivilreligion“ (civil religion) nennt – die es aber nicht nur bei uns gibt. Damit ist gemeint „die Vermengung von Kirche und Gesellschaft, ideologischen Vorstellungen und christlichem Glauben.“

Besonders untersucht wurde das deutsche Weihnachtsfest, wie es in der evangelischen Kirche begangen und gefeiert wird. Dabei kam man zu diesem Ergebnis: „Es muss gefragt werden, ob und wieweit sich die christliche Kirche mit ihrer Weihnachtsbotschaft und Weihnachtsverkündigung in dem, was von diesem Fest heute als Gemeingut übrig geblieben ist, wieder findet bzw. darin vorkommt.“ Hier orientiere ich mich mit meinem Urteil vor allem an den Weihnachtspredigen – von unten nach oben in unserer Kirche. Bei denen, die leitende Positionen in den Landeskirchen haben, kommt m.E. der zivilreligiöse Charakter besonders klar zum Vorschein. Politiker und Theologen sind am 24. Dezember manchmal in ihren Weihnachtsreden kaum zu unterscheiden. Im LWB-Studienprogramm von 1985 wird festgestellt: „Gerade die Vermarktung des Festes stabilisiert und erhält das christliche Weihnachtsfest in der Form einer ‚civil religion’.“ Und als These wird aufgestellt: Das „Weihnachtfest“ in der Zivilreligion stabilisiert die Volkskirche, die selbst zu einer Institution der „civil religion“ geworden ist. Die evangelische Volkskirche ist zu einer Institution der Zivilreligion geworden – ein vernichtendes Urteil! Und das Schlimmste, was man über die Kirche Jesu Christi sagen kann. Und die Kirchen-Verantwortlichen scheint es nicht zu interessieren …

Seit der Aufklärung (Jean-Jacques Rousseau + 1762) wird „Zivilreligion“ meistens von der gesellschaftlich-politischen Seite her behandelt: Politische Forderungen und Feststellungen werden dann religiös umschrieben und begründet. Mir geht es aber um das, was aus der kirchlichen Religiosität entsteht, wenn sie ein Opfer der Zivilreligion wird. Trotz der Studienergebnisse des Lutherischen Weltbundes ist unsere evangelische Kirche in Deutschland kaum auf die kritischen Anfragen eingegangen – immerhin steht doch, besonders bei den Weihnachtsfest, für die Kirche und ihre Glaubwürdigkeit viel auf dem Spiel. Sie lässt sich treiben – denn das Volk will Ochs und Esel, die Kanzeln bieten eine gute Plattform für die „Weihnachts-Predigten“ und die Kirchen sind am 24. Dezember, dem Tag vor (!) dem Geburtstag des Jesus von Nazareth, überfüllt – und die Kollekten fallen auch sehr gut aus. Was will man kirchlich mehr?

Da muss ein Gemeindepfarrer am Heiligabend vier (!) Gottesdienste halten, beginnend um 14.30 Uhr und endend um Mitternacht. Die meisten Kirchgänger kommen einmal im Jahr in die Kirche – und er muss es schön „weihnachtlich“ machen in dieser Mischung von Kirche und Gesellschaft, ideologischen Vorstellungen und christlichem Glauben. Dabei bleibt letzteres, die Botschaft von der Geburt des göttlichen Erlösers, meistens auf der Strecke. „Euch ist heute der Heiland geboren“ – kommt das überhaupt noch vor? Eine Rückentwicklung dieses „Weihnachtsfestes“ ist kaum möglich – das kann man auch der Zivilreligion entnehmen. Sie ist nicht von Einsichten geleitet, sondern von Gewöhnung. Man könnte höchstens Parallelangebote machen – etwa am eigentlichen Weihnachtstag, dem 25. Dezember, mit einer Konzentration auf die religiös-biblische Botschaft. Oder der bei uns abgeschaffte Weihnachtstag der Ostkirche, der 6. Dezember, wird kirchlich wieder reaktiviert: Fest der Erscheinung des Herrn, Epiphanias. Leider hat unsere Kirche der bürgerlichen - gesellschaftlichen Entwicklung, die die Zivilreligion vor allem speist, nachgegeben und aus dem „Heiligabend“ das gemacht, was mit der Weihnachts-Botschaft nur noch wenig zu tun hat oder in der erforschten Mischform mit anderen Elementen angeboten wird.

Wer mehr nachlesen möchte: Hoffmann, Klaus, Civil Religion in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel des Weihnachtsfestes, LWB-Dokumentation Nr. 12, Stuttgart 1982, auch in: epd-Dokumentation 1/1985

Pfr. i. R. Wilhelm Drühe, 23. 12. 09, Mettmann



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