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Thesen zum Thema „Judenmission“
Günter Rudolf Schmidt/Erlangen, März 2009

1 Die Erinnerung an die von Deutschen gegen jüdische Mitmenschen begangenen Verbrechen macht es schwer, sich zum Thema „Judenmission“ so unbefangen zu äußern wie zu anderen Themen.

2 Die Auseinandersetzungen über die Legitimität christlicher Judenmission leidet darunter, dass „Mission“ nicht von allen gleich verstanden wird und das Wort mit unterschiedlichen emotionalen Obertönen versehen ist: Für manche klingt Mission nach Zwang, Nötigung, Kolonialismus.

  3 Das zentrale Bedeutungselement von ´Mission`, wie der Ausdruck in diesen Thesen verstanden wird, ist „Einladung zum Glauben an Jesus“. Eine „Einladung“ kann man annehmen oder ablehnen. Es ist nicht einzusehen, warum eine Einladung oder ihre Ablehnung bei halbwegs zivilisierten Menschen Aggressionen auslösen sollte.

  4 Die prinzipielle Frage, ob Judenmission überhaupt betrieben werden solle, ist von den konkreteren Fragen nach ihrer Methode und ihren Trägern zu unterscheiden. Sicher ist Deutschen bei diesen konkreteren Fragen mehr Zurückhaltung geboten als Angehörigen anderer Staaten.

  5 Die prinzipielle Frage kann, wo das Neue Testament ernstgenommen wird, nicht anders als mit Ja beantwortet werden. Die Gründe springen bereits bei einer oberflächlichen Lektüre ins Auge:

  5.1 Schon Jesus selbst wandte sich in der Hauptsache an jüdische Adressaten. Seine Kritik jüdischer Traditionen sprengt den Rahmen des Judentums seiner Zeit. Seine Hörer standen vor der Alternative, sich entweder Jesus anzuschließen oder den Vertretern des zeitgenössischen Judentums zu folgen. Deren Entschluss, die Jesus-Bewegung zu unterdrücken und ihr Haupt zu beseitigen, war nicht durch bloße Böswilligkeit motiviert, sondern er ergab sich folgerichtig aus ihrem Religionsverständnis. Von Anfang an bestand ein Gegensatz, der beiden Seiten immer deutlicher bewusst wurde.

  5.2 Geschichtlicher Ausgangspunkt und theologische Grundlage des Christentums ist die Erfahrung des Auferstandenen. Die Auferweckung Jesu wurde keineswegs nur als private Entschädigung für erlittenes Übel verstanden, sondern als göttliche Bestätigung von Person und Wirken Jesu. Dies machen besonders die „Kontrastformeln“ in der Apostelgeschichte (Act 2,23f; 3,19ff; 4,10 u.a.)deutlich:
  • Gott hat den Gekreuzigten rehabilitiert, d.h. er hat ihn ins Recht und seine Gegner ins Unrecht gesetzt.
  • Die Auferstehung Jesu ist nicht nur für die engeren Kreise seiner Anhänger und seiner Gegner von Bedeutung, sondern für die gesamte Menschheit. Alle ohne Ausnahme sind aufgerufen, das von Jesus erwirkte Heil anzunehmen.
  • Seine Gegner können Vergebung erlangen, indem sie Jesus als Retter annehmen und sich seiner Gemeinde anschließen.
  • 5.3 Die christliche Mission wandte sich zunächst an die Juden, dann sehr schnell auch an die Nicht-Juden. Gab es anfangs hinsichtlich des Missionsauftrags gegenüber Heiden Zweifel, so gegenüber Juden nie. Die Apostelgeschichte schildert, wie selbst der „Heidenmissionar“ Paulus an einer neuen Station zuerst die lokalen Juden ansprach.

      5.4 In der Urchristenheit war die Verpflichtung zur Weitergabe der christlichen Botschaft an jedermann („Juden und Heiden“) so selbstverständlich, dass kaum begreiflich wird, wie diese Verpflichtung innerhalb heutiger Kirchen in Frage gestellt werden kann. Wenn für das Kirchesein einer heutigen Religionsgemeinschaft die Kontinuität zur Urkirche konstitutiv ist, dann beschädigt die Leugnung der allgemeinen Missionsverpflichtung ihr Kirchesein. Sie droht damit zu einer modernistischen Sekt zu degenerieren.

      6 Versuche, Judenmission von einigen Aussagen im Neuen Testament her zu delegitimieren*, sind angesichts ihrer Selbstverständlichkeit im ganzen Neuen Testament zum Scheitern verurteilt. Die entsprechenden Interpretationen erscheinen als an den Haaren herbeigezogen und sind eher als Eisegese denn als Exegese zu sehen. Bevor man einzelne Aussagen gegen andere stellt, muss geprüft werden, ob sie sich nicht doch spannungsfrei in den neutestamentlichen Gesamtkontext einfügen. Integrierende Interpretation hat, wo sie ohne Gewaltsamkeiten möglich ist, den Vorrang vor differenzierender. Solche integrierende Interpretation ist bei sämtlichen Aussagen, die gegen die Judenmission angeführt werden, nicht nur möglich, sondern naheliegend:

       6.1 So begründen die gegen Judenmission strapazierten Kapitel Römer 9 – 11* diese eher, als dass sie sie ausschlössen. Ihre Gegner verweisen auf die Erwählung Israels, die nach Paulus trotz der Ablehnung des Messias Jesus bleibe. Der jüdische Weg könne deshalb gegenüber dem christlichen nicht als defizitär bezeichnet werden. Die letztere Meinung hat gerade den Autor dieser 3 Kapitel gegen sich:
  • Paulus bezeichnet es als den großen Kummer seines Lebens, dass seine „Brüder, seine Stammverwandten nach dem Fleisch“, Christus ablehnen.
  • Die Nicht-Hinfälligkeit der Erwählung beschränkt er zunächst auf den „Rest“ (9,27; 11,5) der christusgläubigen Juden. Die jüdische Mehrheit ist trotz religiöser Anstrengungen an Christus vorbei nicht zur Gerechtigkeit gelangt, weil diese eben nur durch den Glauben an Christus zuteil wird (9, 31).
  • Aus der Wurzel des Ölbaums –Israels als Heilsgemeinschaft - sind einige Zweige – die nicht an Jesus glaubenden Juden – herausgebrochen worden. Um sie zu ersetzen, wurden – die christusgläubigen – Heiden eingepfropft. Die nicht-christlichen Juden haben den – defizitären - Status abgehauener Zweige.
  • Zu den letzteren hofft Paulus, dass Gott sie durch den Glauben an Christus wieder in den Stamm, der primär ihrer ist, einpfropfen werden (pálin egkentrísai 11, 23).
  • Der Heidenmission gibt Paulus einen heilsgeschichtlichen Sinn für die Juden: Viele Heiden gehen vor den Augen der Juden ins Heil ein. Das soll sie gleichsam „eifersüchtig“ machen damit sie nachdrängen, d.h. an Christus glauben, und ihre Vorrechte als die eigentlichen Zweige des Ölbaums geltend machen.
  • Die Erwählung Israels begründet, warum die Einladung zum Glauben an Christus besonders den Juden gilt.
  • Hinsichtlich der Frage der Judenmission gibt es keine Spannungen zwischen neutestamentlichen Texten.
  •   6.2 Das extrem negative Urteil des Paulus über sein Leben im Judentum vor seiner Bekehrung Phil 3,4 – 7 kann man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Es geht auch nicht an, die traditionelle Datierung der bekannten Paulusbriefe, nach der die Schreiben an die Philipper und an Philemon in das Jahr 58 fallen, der Römerbrief in das Jahr 56, so zu ändern, dass der Brief an die Römer zeitlich nach dem an die Philipper zu stehen kommt und Römer 9-11 als „finale Äußerung“ des Paulus gelten kann.

       6.3 Im Taufbefehl (Matthäus 28, 19) meint der Ausdruck „alle Völker“ (pánta tà éthne) nicht nur die „Heidenvölker “, sondern „alle Völker“ einschließlich des jüdischen. Das Wort „ethnos“ wird im Neuen Testament neben „laòs“ auch für das jüdische Volk verwendet.

       7.1 Die Spannungen zwischen Judentum und Christentum sind unvermeidlich und könnten nur unwahrhaftig so gelöst werden, dass eine Seite von den Grundlagen ihres Glaubens etwas zurücknimmt. Wer die christliche Option, gelinde gesagt, als die bessere ansieht – und wie sollte er sonst Christ sein? – muss logischerweise andere Optionen – also auch die jüdische – für die vergleichsweise schlechteren halten.

       7.2 In einer demokratischen Gesellschaft können sich Christen und Juden sowohl der staatlich garantierten Religionsfreiheit erfreuen als auch friedlich und einander wohlgesonnen zusammenleben, ohne der anderen Seite Zugeständnisse bei der Interpretation und Praxis der eigenen Religion abzufordern. Beide religiöse Traditionen liefern ihren Anhängern ethische Motive, nicht nur die Anhänger der jeweils anderen zu achten, sondern Menschen jeglicher Orientierung, soweit sie die Menschenrechte bejahen.

       7.3 Wer seinen Mitmenschen wohlgesonnen ist, wünscht ihnen die Erkenntnis der Wahrheit. Juden und Christen können nicht nur wahrhaftig und aggressionsfrei miteinander sprechen, sondern auch füreinander beten, mögen ihre wesentlichen Überzeugungen noch so sehr voneinander abweichen.

      7.4 In einer pluralen Gesellschaft wird es immer Fälle von Religionswechsel aus Gewissensgründen geben. Toleranz heißt Achtung gerade auch vor den Gewissensentscheidungen, die man nicht nachvollziehen kann.

      7.5 Die geeignetsten Träger christlicher Judenmission dürften die messianischen Juden sein. Es wäre an der Zeit, dass sie im ökumenischen Bewusstsein der verschiedenen christlichen Konfessionen den ihnen gebührenden Platz erhielten. Den Kirchen obliegt es, ihnen die theologischen Ausbildungsmöglichkeiten zu verschaffen, die sie für diese Aufgabe angemessen qualifizieren.

       7.6 Hinter der Ablehnung von Judenmission verbirgt sich oft die Ablehnung von Mission überhaupt. Vermutlich werden demnächst einige ihrer Gegner offen auch die Mission unter Moslems zu diskreditieren suchen. Sie seien ja schließlich auch „Abrahamiten“. Darf man dann aber noch Hindus, Buddhisten usw. „diskriminieren“? Schließlich seien ja alle Religionen gleichwertig und das Christentum nur eine von ihnen.

       7.7 Man erlaube noch einen satirischen Abschluss: Ich schlage vor, Frau Knobloch zur Synodalpräsidentin, Herrn Hamburger zum Landesbischof und den Dalai Lama zum Papst zu wählen. Damit wäre doch endlich der christliche Nachweis von Toleranz erbracht. Oder ist dazu noch nötig, dass die Christen selbst noch das Christentum abschaffen?

     
    *)Die folgenden Ausführungen 6.1 bis 6.3 orientieren sich an dem Beitrag von Wolfgang Kraus, „Judenmission und Frauenordination“. In: Korrespondenzblatt. Hg. vom Pfarrer[...]verein in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern 123, Nr.3, März 2009, S. 44.47-48.
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    Prof. em. Dr. Günter R. Schmidt, 02.03. 09 Erlangen



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