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Liturgische Verwerfungen I
„... lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit“
Reiner Vogels

„Liturgische Verwerfungen“ ist eine Kommentarserie, die Umformulierungen der überlieferten Liturgie, die in der heutigen gottesdienstlichen Praxis vorkommen, kritisch betrachtet. Zum Teil gehen diese Veränderungen auf neue agendarische Formulare zurück. Auf jeden Fall gilt, dass nach evangelischem Verständnis das „jus liturgicum“, also das Recht, über die Gottesdienstordnung zu bestimmen, beim Presbyterium liegt.

Als ich kürzlich im Gottesdienst war, bin ich darüber gestolpert, dass die Liturgin den traditionellen Abschluss des gottesdienstlichen Kollektengebets verändert hat. Zur Erinnerung: Das Kollektengebet steht in der Eingangsliturgie nach dem meist gesungenen „Ehre sei Gott in der Höhe ...“ und vor der ersten Schriftlesung. Traditionellerweise hat das Gebet einen trinitarischen Abschluss, etwa so: „ ... durch unsern Herrn Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geiste lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Statt dieser Formulierung lautete in dem besagten Gottesdienst der Gebetsschluss: „ ... der mit dir und dem Heiligen Geiste lebt und Leben schafft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“ Statt „regiert“ hieß es also „Leben schafft“. Offensichtlich hat regieren in den Augen der Liturgin etwas Fragwürdiges. Regieren ist ihr vermutlich zu autoritär. Vielleicht hat sie das Wort vermieden, weil damit Begriffe wie „Herrschaft“, „Macht“ „Befehl“ und „Gehorsam“ assoziiert werden. Und das mag sie im Zeitalter von Demokratie und Gleichberechtigung als Fremdkörper empfinden, als längst überholtes Relikt aus den „finsteren“ Zeiten des Patriarchats. Das Wort vom „Leben schaffen“ dagegen gefällt ihr wahrscheinlich deshalb viel besser, weil das Wort „Leben“ in die heutige Zeit passt. Leben will jeder. Leben ist grundsätzlich etwas Positives, und die Zeitgeisttheologie wird nicht müde zu betonen, dass der christliche Glaube „lebensdienlich“ sei. - Dass sie sich dabei eines antichristlichen Kampfbegriffes Friedrich Nietzsches bedient, wird vielen gar nicht bewusst sein.

Ich plädiere für das traditionelle Wort „regiert“. Dass Christus zusammen mit dem Vater und dem Sohn „lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit“, ist eine ungeheuer tröstliche Botschaft. Der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann ist in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg mit dem Satz berühmt geworden: „Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr kommt.“ Gibt es etwas, das mehr Hoffnung macht und Zuversicht verbreiten kann, als diese Grundüberzeugung unseres Glaubens? Nicht die Diktatoren und Unterdrücker, nicht die genialen Feldherren und Schlachtenführer regieren in Ewigkeit, sondern Jesus Christus, der Sohn des allmächtigen Gottes, der in die Welt gekommen ist, uns zu erlösen und uns das ewige Heil zu schenken. Darauf soll der traditionelle Schluss des gottesdienstlichen Kollektengebetes hinweisen. Und das heißt: Selbst wenn ein Gottesdienst total misslungen sein sollte, wenn die Predigt langweilig und diesseitsorientiert war, wenn der Gemeindegesang schwächlich und die Kirche leer war, wenn dann wenigstens im Kollektengebet zu hören war, dass Jesus Christus regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit, dann kann jeder Gottesdienstbesucher ein Stück Evangelium mit nach Hause nehmen, das ihn durch die Woche trägt.

Pfr. i.R. Reiner Vogels, Swisttal, 02.08. 09



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Liturgische Verwerfungen II
Den Psalm beten
Reiner Vogels

Seit den Zeiten der Alten Kirche ist es üblich, dass am Anfang des Gottesdienstes der Eingangspsalm steht. Der Eingangspsalm ist ein Psalm aus dem Alten Testament. Für jeden Sonntag und jeden Feiertag des Kirchenjahres hat die Kirche einen bestimmten Psalm ausgewählt, den Eingangspsalm des jeweiligen Sonntags. Manche Sonntage haben sogar ihren Namen vom ersten Wort des Eingangspsalms in lateinischer Sprache. So heißt z.B. der 3. Sonntag nach Ostern "Jubilate", weil der Eingangspsalm dieses Sonntags, der Psalm 66, in Vers 1 mit diesem Wort beginnt. Auf Latein: "Jubilate Deo omnis terra..." Auf Deutsch: "Jauchzet Gott, alle Lande!"

Bei der Art und Weise, wie der Psalm im Gottesdienst vorgetragen wurde, hat es eine Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten gegeben. In manchen festlichen Gottesdiensten wurde der Psalm vom Chor gesungen, während die Geistlichkeit in die Kirche einzog. In manchen liturgisch weniger anspruchsvollen Gottesdiensten ist der Eingangspsalm zu einem kurzen Eingangswort geworden. In vielen Gottesdiensten unserer Kirche ist es seit einiger Zeit üblich geworden, dass der Eingangspsalm im Wechsel gesprochen wird. Je nach Entscheidung des Liturgen wechseln sich Liturg und Gemeinde, rechte und linke Seite der Kirche oder auch Männer und Frauen dabei ab. Dieses Wechselgebet ist möglich geworden, seit im Evangelischen Gesangbuch hinten viele der Eingangspsalmen abgedruckt worden sind.

Nun erfordert ein solches Wechselgebet anders als andere liturgische Stücke so etwas wie eine liturgisch eigentlich störende "Regieanweisung" durch den Liturgen. Der Gemeinde muss schließlich gesagt werden, dass der Psalm unter der Gesangbuchnummer xy im Wechsel gesprochen bzw. gelesen werden soll.

Gesprochen? Gelesen? Wird der Psalm im Gottesdienst einfach nur "gesprochen" oder "gelesen", wie es manchmal zu hören ist? Wird er einfach nur rezitiert wie ein schönes Gedicht, ein anspruchsvoller meditativer Test oder einfach eine Zeitungsmeldung? In einer solchen Bedeutung hätte der Psalm niemals Eingang in den christlichen Gottesdienst gefunden. Die Psalmen des Alten Testamentes sind Gebete bzw. gottesdienstliche Choräle des Alten Israel. Das Psalmenbuch ist das Gesangbuch des Alten Bundes. Nur in diesem Sinne und vor diesem Hintergrund hat die christliche Kirche an den Anfang ihres Gottesdienstes das Psalmgebet gestellt. Sie nimmt das Beten des Alten Bundes auf und stellt sich damit in eine Reihe mit den Frommen Israels. Der Psalm im heutigen Gottesdienst wird daher niemals nur gesprochen oder gelesen, sondern er wird gebetet. Auch wenn er gesungen wird, so ist er ein Gebet. Es wäre schön, wenn dies in unseren Gottesdiensten unmissverständlich deutlich würde.

Allerdings hat die christliche Kirche die Psalmgebete des Alten Bundes nicht einfach so und unmittelbar in ihren Gottesdienst aufgenommen. Sie hat gewusst, dass wir Zugang zu Gott nur durch Jesus Christus haben. Deshalb schließt sie das Psalmgebet im Gottesdienst immer ab mit dem trinitarischen Lobpreis: "Ehr' sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen." Die christliche Gemeinde betet gemeinsam mit Israel die Psalmen des Alten Bundes, aber sie betet sie vom Neuen Bund, von Jesus Christus her.

Pfr. i.R. Reiner Vogels, Swisttal, 19.10. 09



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Liturgische Verwerfungen III
"Herr" muss bleiben!
Reiner Vogels

Das Wort "Herr" ist seit Menschengedenken eine in christlichen Gottesdiensten übliche Gebetsanrede. Auch im Aaronitischen Segen am Ende des Gottesdienstes - "Der Herr segne dich und behüte dich ..." - wird Gott als "Herr" bezeichnet. Seit einigen Jahren jedoch kann man beobachten, dass dieses Wort aus den gottesdienstlichen Gebeten allmählich verschwindet. Statt dessen beginnen Gebete oft mit der nackten Anrede "Gott". Manchmal hat der Liturg noch so viel Sprachempfinden, dass er diese Anrede rein sprachlich als ärmlich empfindet. Seine Verlegenheits"lösung" besteht dann darin, dass die Anrede ergänzt wird: Statt "Gott" heißt es dann "Guter Gott" oder ähnlich. Auch der Aaronitische Segen am Ende des Gottesdienstes - "Der Herr segne dich und behüte dich ..." - wird häufig verunstaltet, so dass dann zu hören ist: "Gott segne dich und behüte dich ..."

Hinter dieser neuen Sprachregelung steht die sogenannte feministische Theologie. Vertreter dieser Theologie haben die Gebetsanrede "Herr" verpönt, weil damit angeblich Gott als männliches Wesen angesprochen werde. Natürlich war und ist das verkehrt, und die "feministischen" Theologen haben damit nur gezeigt, wie wenig philologisches Wissen sie haben und wie defizitär ihr Sprachgefühl ist.

Man muss etwas weiter ausholen, um dies zu erklären: Im Alten Testament kommt an vielen Stellen der Gottesname "Jahwe" vor. Die frommen Juden nun haben, wenn sie diese Stellen vorlasen, aus Angst, den Namen Gottes missbräuchlich zu benutzen, dieses Wort gar nicht ausgesprochen, sondern statt dessen "Adonai", das heißt: "Mein Herr", gesagt. So wurde im israelitischen Gottesdienst das Wort "Herr" gleichbedeutend mit dem Gottesnamen. Die Lutherbibel ist wie schon vor ihr die antiken griechischen und lateinischen Bibelübersetzungen diesem Sprachgebrauch gefolgt und hat überall dort, wo im Urtext der Gottesname "Jahwe" steht, im Deutschen "HERR" in Großbuchstaben geschrieben.

"Herr" als Gottesanrede vertritt also den alttestamentlichen Gottesnamen und bezeichnet keineswegs das angeblich männliche Geschlecht Gottes. Jeder, der auch nur ein wenig von der Bibel verstanden hat, weiß, dass Gott weder männlich noch weiblich ist. "Männlich" und "weiblich" sind Eigenschaften geschaffener Lebewesen. Diese Unterscheidung ist eine wichtige und fundamentale Schöpfungsordnung, aber Gott ist kein Teil der Schöpfung. Er steht ihr als ihr Schöpfer gegenüber. Es ist vollkommen abwegig, geschöpfliche Eigenschaften wie männlich oder weiblich auf ihn anzuwenden.

Die Bezeichnung Gottes als "Herr" macht deutlich, dass Gott mein Herr ist, den ich, wie es Jesus formuliert hat, lieben soll von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen meinen Kräften (Mk. 12, 30). Welcher Theologe hätte das Recht, dies sprachlich zu verfälschen?

Noch etwas kommt hinzu: Im Alten Testament kommen bekanntlich zwei Wörter für Gott vor. Das eine Wort ist "elohim" und das andere "JAHWE". Diese Worte sind aber nicht gleichbedeutend. Das Wort "elohim" steht für den allgemeinen Gottesbegriff. Von "elohim" in diesem Sinne können auch andere Religionen und auch Philosophen sprechen. Man sieht das leicht daran, dass das arabische Wort "Allah" für Gott mit dem hebräischen Wort "elohim" verwandt ist. Es ist im Grunde dasselbe Wort in einer anderen Sprache. Das Wort "JAHWE" dagegen steht für den Gott, der sich dem Mose am Dornbusch offenbart hat und sich geschichtlich in ganz besonderer Weise mit Israel verbindet. Er ist der eigentliche Gott der biblischen Gottesoffenbarung. Das "Herr" in unseren Gottesdiensten meint daher etwas völlig anderes als eine allgemeine interreligiöse Gottgläubigkeit.

Die Urchristenheit hat bewusst den alttestamentlichen Brauch, dass man den Namen "JAHWE" durch "Herr" ersetzt hat, aufgegriffen und Jesus Christus, weil er Gottes Sohn ist, als "Herr" bezeichnet und angebetet. So heißt es am Ende des Christushymnus im Philipperbrief des Apostels Paulus, dass "alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters."

Vor diesem Hintergrund ist es außerordentlich bedauerlich, und es markiert einen schlimmen geistlichen Verfall unserer Kirche, dass das Wort "Herr" immer häufiger aus unseren gottesdienstlichen Gebeten verschwindet. Eine dümmliche feministische Theologie, die den Hintergrund und die Bedeutung dieses Wortes vielleicht gar nicht kennt oder, schlimmer noch, bewusst ablehnt, ersetzt mit dieser Praxis unter der Hand den Gott der Bibel durch den Gott der Religionen. An die Stelle des sich geschichtlich offenbarenden und den Menschen zugewandten Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs setzt sie ein anonymes numinoses Wesen mit der Gattungsbezeichnung "Gott". Wenn diese Linie konsequent zu Ende gedacht wird, dann sind die Gläubigen am Ende keine Christen mehr, sondern einfach nur Gottgläubige. Es ist an der Zeit, dem Wort "Herr" wieder im Gottesdienst den ihm gebührenden Platz einzuräumen.

Pfr. i.R. Reiner Vogels, Swisttal, 07.11 09



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