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Wird Martin Luther der Ökumene geopfert?
Überlegungen zum Beginn der „Lutherdekade“
Wilhelm Drühe

Rom zur „Lutherdekade“ – Warnung und Mahnung

Jetzt bricht die „Lutherdekade“ aus und führt dazu, dass viel und sehr verschieden über Martin Luther mit seinem Versuch, die Kirche zu reformieren, gesprochen wird. „Es wäre schlimm, wenn daraus am Ende ein neuer Konfessionalismus würde“, warnte zu Beginn der „Lutherdekade“ Kurienkardinal Walter Kasper in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Für seine Stellungnahmen zu dem, was die evangelischen Kirchen in Deutschland vom ökumenischen Gegenüber zu seiner katholischen Kirche zu halten haben, die Person und Tätigkeit des Berliner Bischofs Wolfgang Huber eingeschlossen, bevorzugt der „Ökumene-Minister“ des Vatikans diese FAZ. Natürlich warnt er auch wieder und mahnt die protestantische kirchliche Gemeinschaft, der man in Rom das volle Kirchensein nicht anerkennen kann: Dem Protestantismus sei eine Rückbesinnung auf den Glauben des Reformators Martin Luther nur zu wünschen. Interessant und beachtenswert – weshalb? Der Reformator des 16. Jahrhunderts wäre allen heutigen liberalen Tendenzen zutiefst abgeneigt. Wieder typisch für das katholische Ökumene-Verständnis: Man entnimmt dem Protestantismus das, was in das eigene Kirchen- und Lehrsystem passt – zum Beispiel Luthers Schriftkommentare und seine „glaubensstarken geistlichen Lieder“, die auch in katholischen Gesangbüchern zu finden seien, so der Kardinal. Und da könnten auch Katholiken von Martin Luther lernen.

Nur hohle Konsensrhetorik?

In einem Interview in DER SPIEGEL – auch veröffentlicht in „Weltmacht Religion“ in der Deutschen Verlags-Anstalt München und im SPIEGEL-Verlag Hamburg (2007) – meint der Münchener Professor der Evangelischen Theologie, Friedrich Wilhelm Graf: „Was mich an der deutschen Situation stört, ist, wie über Religion geredet wird. Fruchtbare, niveauvolle intellektuelle Debatten hat es dazu schon lange nicht mehr gegeben.“ Nach seiner Erfahrung erleben wir „viel hohle Konsensrhetorik“, obwohl die Leute tagtäglich merken, dass Konfessionen bedeutsam bleiben. Als ein Beispiel für seine Beobachtung nennt er, dass die römisch-katholische Kirche weiterhin protestantische Christen von ihrer Eucharistie ausschließt. „Da gibt es reichlich Diskriminierungserfahrungen, aber wir reden zu wenig darüber.“ Recht hat er mit seiner Beobachtung – und die „Luther-Dekade“ bringt jetzt schon viel Konsensrhetorik. Ich frage mich, ob es nicht schon mit der „Ökumene der Profile“ des Wolfgang Huber losging – verkündet bei der Papst-Audienz anlässlich der Kölner Weltjugendtreffens 2005 - und auch mit dem EKD-Reformprogramm „Kirche der Freiheit“ weitergeführt hat.

Martin Luther und die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, ausgerechnet am 31. Oktober 1999 unterzeichnet

Für mich ist sie ein „ökumenischer“ Versuch der katholischen Kirche einer theologischen Vereinnahmung der Lutheraner. Im Vorwort wird behauptet, diese Erklärung des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche umfasse „einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre“. Damit seien weiterhin „unterschiedliche Entfaltungen“ (?) nicht länger Anlass für Lehrverurteilungen. Zwei Aussagen sind für mich kennzeichnend für diese Form der o.a. Konsensrhetorik und disqualifizieren damit theologisch diese Gemeinsame Erklärung:

a) Sie enthält nicht alles, was in jeder der Kirchen über Rechtfertigung gelehrt wird – was trennt denn dann weiterhin die Kirchen? Um welche Entfaltungen der Rechtfertigungslehre geht es denn dann, dass die Kirchen als eine Folge getrennt bleiben?

b) In den Anmerkungen zur Gemeinsamen Erklärung wird festgestellt, dass das Wort „Kirche“ das jeweilige Selbstverständnis der beteiligten Kirchen wieder gibt, „ohne alle damit verbundenen ekklesiologischen Fragen entscheiden zu wollen.“

Die Basis der Gemeinsamen Erklärung ist der Gegensatz von „Kirche“ und „kirchlicher Gemeinschaft“ – ein Unding, bei dieser grundsätzlichen Verschiedenheit, ausgehend von der römisch-katholischen Entscheidung, über etwas entscheiden zu wollen, was für die Lutherischen Kirchen eine ganz andere Bedeutung hat. Dazu Martin Luther: Er wollte mit dem neuen Lehransatz seine Kirche grundsätzlich verändern. Der entscheidende Weg dazu war die Lehre von der Rechtfertigung auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Rom hat sich bis heute dem verweigert und geht von einem grundsätzlich anderen Kirchenverständnis aus. Deshalb setze ich das benutzte Wort „Ökumene“ am liebsten in Anführungszeichen.

Welche Rolle spielt Martin Luther jetzt in der „Lutherdekade“?

Geht es überhaupt noch um Luther – und um welchen Luther? Seine Demontage geht eigentlich weiter – jetzt auch mit einer interessanten Begründung: Bloß keine Heldenverehrung Martin Luthers! Rechtzeitig vor dem Start der „Lutherdekade“ am kommenden Wochenende in Wittenberg warnte Hartmut Lehmann, langjähriger Direktor des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen, vor einer Heldenverehrung des Reformators . Nach dem bisherigen Planungsstand berge die Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum 2017 die Gefahr der Abgrenzung gegenüber anderen Konfessionen. Auch dürfe nicht vergessen werden, dass „sich der Reformkatholik Luther nie von der katholischen Kirche getrennt hätte, so wie sie sich heute nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil präsentiert.“ Sofern die „Lutherdekade“ nicht als eine mögliche „Brücke der Verständigung“ zwischen Protestanten und Katholiken verstanden werden, könnten sich die Beziehungen zwischen den beiden christlichen Kirchen verschlechtern, warnte der Historiker. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nicht wenige so denken: Martin Luther stört! Deshalb müssen seine kritischen Anfragen umgedeutet werden.

Luther hat in der Vergangenheit sehr verschiedene Rollen in der Politik und in den Kirchen gespielt. Wie war das noch einmal in der „Tradition von Luther über Bismarck bis Hitler“? Wie ist das in den vielen Freikirchen, die von Luther überhaupt nichts halten, weil er der Gründer der Staatskirchen ist?

Ich werde genau darauf achten, was sich jetzt in der kommenden „Luther-Dekade“ mit Martin Luther tut – ob es wirklich noch um seinen Lehransatz von der Bibel her geht und welche dieser Lehransätze immer noch von der Papstkirche abgelehnt und verweigert werden. Ich habe den Eindruck, dass die Papstkirche sehr viel von einer Luther-Demontage hält – nur ein Zeichen dafür am Rande: Der Papst sollte Sprecher aller christlichen Kirchen werden, so auch die Vorschläge deutscher Lutheraner. Das Zweite Vatikanische Konzil hat bedeutende Änderungen in der römisch-katholischen Kirche gebracht, aber was hat sich geändert an der Leitungs-Autorität des Papstes, an der Gnadenlehre, an seiner Verfügungsgewalt über den Schatz im Himmel (Ablass), an der Kirchenlehre über die Sakramente, besonders über das Messopfer und die Priesterweihe? Für mich ist diese „Ökumene“ weithin Augenwischerei!

Pfr.i.R. Wilhelm Drühe, Mettmann, 18.09.08



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