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Glauben oder warten - Überlegungen zum letzten Sonntag im Kirchenjahr
Wilhelm Drühe

Weshalb können wir eigentlich so wenig mit dieser letzten Zeit im Kirchenjahr anfangen? Ich habe den Eindruck, die Umbenennung des letzten Sonntags des Kirchenjahre „Totensonntag“ in „Ewigkeitssonntag“ war auch eine Flucht aus der Eschatologie – was kann man schon mit „Ewigkeit“ anfangen? Vor ganz langer Zeit habe ich einmal über eine Studie gelesen, nach der sich das auch an der Auswahl der Lieder, die im Gemeindegottesdienst gesungen werden, festmachen lässt. Die letzten Strophen, in denen nicht nur die Dreifaltigkeit, sondern auch die Endzeit vorkommen, werden nicht gesungen. Übrigens beurteile ich zum Teil die Amtsbrüder darnach, welche Strophen sie überhaupt auslassen – Sünde, Erlösung, Engel usw. Aber das nur nebenbei!

Meine Frage ist: Ist das Denken an die Endzeit des eigenen Lebens und der Welt ausgeklammert worden, damit aber auch an das, was dann kommen wird? Wo ist geblieben, was Philipp Nicolai 1599 dichtete und im Lied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (EG 147) vertonte: „Ihr müsset ihm entgegengehn“? Ich mache das zum Teil auch an unserem Apostolischen Glaubensbekenntnis fest, das endet: „Ich glaube an… die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ Ich weiß natürlich, was auch hier „glauben“ bedeutet – nur: Ist das nicht im Gesamtzusammenhang des Bekenntnisses auch auf dem Wege in die Unpersönlichkeit – ohne dass deutlich wird, alles hat für mich als Christ eine existentielle Bedeutung? Unser Reformator hatte dieses „pro me“ im Kleinen Katechismus noch sehr schön verdeutlicht: „… mich und alle Toten auferwecken wird und mir samt allen Gläubigen in Christus ein ewiges Leben geben wird. Das ist gewisslich wahr.“ Nebenbei: wird das noch gelernt? Mir gefällt das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel mit seinem persönlichen Bezug auf „wir“/„ich“ besser: „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“ (EG 854). Das Neue Testament hat deutlich gesagt, worin unsere persönliche Eschatologie bestehen wird: in der Teilnahme an Gottes Mahl. Jesu Zusage: „Und ich will euch das Reich zueignen, wie mir's mein Vater zugeeignet hat, dass ihr essen und trinken sollt an meinem Tisch in meinem Reich“ (Lukas 22, 29f). Was ist daraus geworden – in der auch kirchlichen Sprachlosigkeit: ein Leben, das zwar nicht zu Ende geht, aber wahrscheinlich ganz schön langweilig ist, weil man ewig frohlocken und mit den Engeln Halleluja singen wird… (so die landläufige Vorstellung).

Wenn wir schon bei diesem Thema sind, dann auch ein Blick auf den Islam mit dieser äußerst problematischen Ausgestaltung der muslimischen Eschatologie, die uns fast täglich in den Nachrichten begegnet – furchtbare Attentate, auch um in das Paradies zu kommen. Im Koran befinden sich zahlreiche Schilderungen von Paradies und Hölle, außerordentlich bildhaft und konkret. Das Paradies erscheint als ein Ort ungetrübtester Sinnenfreude, mit reichhaltigen Essen und jungfräulichen Wesen (huri), die zur Verfügung stehen, kühlen Gärten und Bächen mit frischem Wasser – was alles auch als Gegenbild zur Wirklichkeit im 7. Jahrhundert, der Entstehungszeit des Islams, erscheint. Sehr lehrreich hierfür die Sure 56 mit der Schilderung dessen, dass es dem Islam in dieser Eschatologie auch um das Verhältnis zu Allah geht: „Das sind die, die (Gott) nahe sein werden in den Gärten der Wonne“ (12f) mit „holdseligen Mädchen mit großen, herrlichen Augen“ (22). Aus dem Gesamtzusammenhang im Koran ergibt sich, dass die Schilderung der endzeitlichen Geschehnisse in erster Linie aufrütteln soll – vor allem durch die brutalen Darstellungen von Gericht und Hölle.

Wie hat zur Zeit Martin Luthers die kirchliche Darstellung der Eschatologie ausgesehen? Tetzel konnte mit seinem Ablass-Gefolge sicher auch diesen kirchlichen Service nur loswerden, weil er – wie im Koran – die Höllenqualen drastisch dargestellt hat. Dabei darf die Endzeit sicher nicht (nur) eine religionspädagogische Rolle spielen. Am letzten Sonntag im Kirchenjahr frage ich mich: Wo stehen wir heute – in unserer evangelischen Kirche, aber auch in der katholischen? Der Papst verteilt immer noch Ablasse zur Reduzierung und Aufhebung der Sündenstrafen für Lebende und Verstorbene (!). Also muss es – nach römisch-katholischen Verständnis – noch immer so etwas geben wie ein „Fegefeuer“ als überwindbare Vorstufe zur ewigen Seligkeit.

Pfr. i.R. Wilhelm Drühe, Mettmann, 19.11. 2008



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