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Weihrauch im evangelischen Gottesdienst?
Ein Kommentar von Wilhelm Drühe

Zwei Frankfurter Ehepaare machten Urlaub auf Rügen und gingen auch in die Kirche in Altenkirchen. Sie sahen dort ein Weihrauchgefäß hängen und erfuhren von dem zufällig anwesenden Kirchenvorsteher, dass dort bei der sonntäglich gefeierten Deutschen Messe Weihrauch eingesetzt wird. „Uns Theologen war dies für einen evangelischen Gottesdienst völlig unbekannt“, schreibt der Frankfurter Pfarrer in seiner Anfrage im Deutschen Pfarrerblatt (6/2007). Er fragt die Leserinnen und Leser: „Kann mir jemand erklären, ob die Verwendung von Weihrauch im evangelischen Gottesdienst theologisch vertretbar ist?“ Und er fügt an: „Ich meine: NEIN!“ Aus den drei Leserzuschriften, die in der August-Ausgabe vom Deutschen Pfarrerblatt erscheinen, wird die Spannweite der Diskussion in unserer evangelischen Kirche in Deutschland sichtbar.

Weihrauch: ja – eigentlich eine Nebensache!

Der erste Leser – ein Professor aus Fürth – meint, dass die Antwort lauten muss: „Ja! Selbstverständlich!“ Weihrauch sei ein Adiaphoron wie Bilder und Kunstwerke in den Kirchen, Kruzifixe, Kerzen und Blumenschmuck auf dem Altar, wie Antipendien und Musik, schließlich auch der schwarze Preußentalar von Friedrich Wilhelm III. „Weihrauch mit seiner langen religiösen wie säkularen Tradition ist genauso heidnisch wie christlich.“ Der Professor meint – und da muss man ihm sicher zustimmen -, dass eine Theologie des Gottesdienstes schon tiefer ansetzen muss als beim Gebrauch von Weihrauch. Diese Adiaphora und auch nicht die Rechtfertigungslehre würde uns nicht von der katholischen Kirche unterscheiden, sondern „in erster Linie das hierarchische Amtsverständnis samt Papsttum.“ Daran würden wir Theologen uns noch lange die Zähne ausbeißen, weil es um Machtfragen geht. Zum Schluss: „Ob Weihrauch, ja oder nein, ist diesbezüglich völlig egal.“

Weihrauch: ja – gibt einen besonderen Gottesdienst-Charakter

Ein Gemeindepastor aus Norddeutschland setzt Weihrauch gerne ein, weil es schön riecht und einer gottesdienstlichen Feier „einen besonderen Charakter“ gibt. Ein echter Protestant: „Ob dazu Luther oder sonst wer etwas gesagt hat, interessiert mich dabei herzlich wenig, da ich als Liturg oder Pastor den Gottesdienst höchstpersönlich zu verantworten habe.“ Fast schon wie ein Papst! Für ihn ist wichtig und richtig, dass es der Andacht der Gemeinde nutzt. Und so gestaltet er weihnachtliche Gottesdienste mit ein wenig Weihrauch, Familiengottesdienste mit Kindern und macht anschaulich riechbar und erfahrbar, welche Geschenke die drei Weisen aus dem Morgenland dem Jesuskind darbrachten. Die Verwendung von Weihrauch sei, liturgisch korrekt eingebunden (was ist das? wie geht das?), eine der „harmlosesten Erscheinungen“.

Weihrauch behindert die Konzentration des Gottesdienstes

Die dritte Antwort kommt von einem Pfarrer aus Ulm, der auch mit den zulässigen Adiaphora einsetzt, mit denen aber das Evangelium nicht steht und nicht fällt. Es gebe ein Zitat, dass Martin Luther der Weihrauch nicht gefiel – aber die Äußerung des Reformators fällt ihm nicht ein. Heilsnotwendig sei nur die Predigt von der Rechtfertigung allein durch den Glauben und das rechte Feiern der Sakramente. „Ich persönlich bevorzuge Gottesdienste, die diese Konzentration vermitteln.“ Weihrauch könnte das Zentrum des Gottesdienstes (Predigt und Abendmahl) überlagern. Aber immerhin hat der Pfarrer einmal Weihrauch eingesetzt, um an Epiphanie die Geschenke der Weisen zu verdeutlichen. „Ein solch sinnliches Symbol lebt von der Seltenheit der Praxis.“ Vielleicht stehe diese Einsicht hinter unserer evangelischen Enthaltsamkeit in diesem Punkt. „Um theologische Vertretbarkeit indessen geht es mir hier gar nicht.“

Luther: Es gibt wichtigeres als Weihrauch!

Bei Martin Luther habe ich etwas zur Verwendung von Weihrauch im Gottesdienst gefunden. Im Großen Katechismus (1529) schreibt er: „Ohne Zweifel wirst Du keinen Weihrauch oder anderes Räucherwerk stärker wider den Teufel anrichten, als wenn Du mit Gottes Geboten und Worten umgehest, davon redest, singest oder denkest. Das ist freilich das rechte Weihwasser und Zeichen, davor er flieht und damit er sich verjagen lässt.“ Damals hatte man also Weihrauch und Weihwasser gegen den Teufel eingesetzt, der Reformator meint, dass man das Wort stattdessen gegen den Bösen einsetzen soll. „Der geweihte Weihrauch war ein Sakramentale (den Sakramenten ähnliche Riten und Gegenstände), das – wie Weihwasser austreibende, abwehrende und reinigende Bedeutung hat: Weihrauch soll dämonische Nachstellungen und sonstige schädliche Einflüsse abwehren.“ So Manfred Becker-Huberti in seinem Buch Feiern – Feste – Jahrezeiten (Freiburg 1998, Seite 153).

Steht Weihrauch für Unzufriedenheit mit dem heutigen Gottesdienst?

Diese Bedeutung ist für uns Evangelische vorbei oder mindestens verblasst. Wozu dann Weihrauch? Vielleicht um den Kindern zu erklären, was die Weisen mitbrachten, als sie das Jesuskind besuchten? Oder um einen feierlichen Duft in der Kirche oder im Gemeindehaus zu erzeugen? Vielleicht nimmt man dann eines Tages die Spraydose – wechselnd nach Festzeiten (Ostern Frühlingsduft, Weihnachten Tannenwälder …). Ich sehe etwas anderes in dieser Diskussion über die Gestaltung unserer Gottesdienste. Man findet sich nicht mehr ab mit der einfachen Strenge evangelischer Gottesdienste – angefangen mit dem schwarzen Talar. Zu dem sagte mir einmal ein britischer Kirchendiener, das sei doch nur das Untergewand, die liturgische Kleidung fehle bei mir wohl noch … Kerzen werden vermehrt, Blumen werden reichhaltiger und umfangreicher eingesetzt. Dann kommt Farbe in die Talare: erst der „helle“, dann die farbige Pracht der Stolen (neues Arbeitsfeld für die Frauenhilfen!) – und jetzt Weihrauch! Mein katholischer Kollege in Mettmann setzt nicht nur ein Weihrauchgefäß ein, bei einem festlichen Gottesdienst waren es vier Fässer mit 30 Ministrantinnen und Ministranten – das gab einen unheiligen Rauch!

Können das alle vertragen und ist das wirklich auch gesund? Gibt es auch Allergien und wie steht es mit Asthmakranken? Ich meine, dass wir auf diesen Religionsbrauch verzichten sollten. An die frühere Notwendigkeit des Einsatzes (gegen das Böse und die Verehrung der Eucharistie) glauben wir nicht (siehe Martin Luther im Großen Katechismus!). Also lassen wir es! Frische Luft sollte das Zeichen unseres Glaubens sein und bleiben! Übrigens hatte der Frankfurter Pfarrer nach der theologischen Vertretbarkeit des Weihrauchs gefragt. Nach der Diskussion habe ich mich gefragt: Was ist eigentlich Theologie unter uns?

Pfarrer .R. Wilhelm Drühe, Mettmann, 23.08. 07



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