[Startseite]


Und das Wort ward Fleisch
Das Wunder von Weihnachten
Reiner Vogels

Die klassische, gewissermaßen natürliche menschliche Philosophie lehrt in den Fragen der Ontologie, also der Lehre vom Sein, eine Zweiteilung. Man unterscheidet zwischen der Welt der Erscheinungen, in der wir leben, und der Welt der Ideen, der geistigen Welt. Man findet diese Unterscheidung mit unterschiedlichen Formulierungen bei vielen großen Philosophen der Menschheitsgeschichte. Sie unterscheiden zwischen Diesseits und Jenseits, Himmel und Erde, Sichtbarem und Unsichtbarem, Geist und Materie, Physik und Metaphysik. Gewiß hat es immer wieder auch, etwa von denjenigen, die nur an die Materie glauben, Versuche gegeben, die Zweiteilung zu überwinden und von einer eindimensionalen Wirklichkeit auszugehen, diese Versuche sind aber notwendigerweise immer wieder gescheitert. Denn sie können auf die Urfrage der Menschheit "Wie kommt es, daß überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts ist?" keine Antwort geben.

Das Problem der natürlichen Philosophie, also der Annahme einer zweifachen Wirklichkeit, besteht nun darin, daß für sie letztlich keine Verbindung zwischen den beiden Realitäten denkbar ist. Diesseits bleibt Diesseits und Jenseits Jenseits. Es gibt keine Brücke, die die Kluft überwindet. Es gibt keinen Weg von der Erde zum Himmel. Am Ende kann der Mensch nur resignieren und sich schlecht und recht in seiner Welt einrichten. Jeden Gedanken an Erlösung muß er aufgeben.

Das Neue, das unableitbare Wunder von Weihnachten ist nun, daß Gott die Brücke gebaut hat. Er hat verbunden, was eigentlich auf ewig getrennt war. Gott ist Mensch geworden, das Wort ist Fleisch geworden. Der Himmel ist auf die Erde gekommen. Von Weihnachten her erweist sich die natürliche menschliche Philosophie der Zweiteilung als irrig: Gott selbst hat den Unterschied aufgehoben. Die Barriere besteht nicht mehr.

Und das Entscheidende ist: Der Himmel ist nicht auf die Erde gekommen, um die Welt zu richten, sondern um die Welt zu retten. Die Hirten auf den Feldern vor Bethlehem haben bei der Erscheinung des Engels zunächst gedacht, daß der Himmel gekommen sei, um sie zu richten. Deshalb haben sie sich über die Maßen gefürchtet. Schließlich wußten sie sehr wohl, daß sie vor dem himmlischen Gericht nicht würden bestehen können. Erst die erlösende Botschaft des Engels "Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland" geboren, hat ihnen die Augen geöffnet. Gott ist auf die Erde gekommen, damit er die erlöse, die in Finsternis und im Schatten des Todes leben müssen. Gott ist Mensch geworden, damit wir göttlich würden.

Frohe und gesegnete Weihnachten!



Pfr. i.R. Reiner Vogels, Swisttal, 20.12. 2007



[Seitenanfang] [Startseite]