[Startseite]


Päpstlicher Zugang zu Martin Luther
Zum Reformationsfest 2006
Wilhelm Drühe

Worüber wird am 31. Oktober gesprochen, wenn es um Martin Luther und sein Reformwerk geht? Zunächst über sein Thesenpapier, mit dem er eine Diskussion über den Ablass anregen wollte. Dann über die „Rechtfertigung aus dem Glauben“, nicht aus eigener Leistung oder durch die Werke der damaligen Kirche. Etwas schwieriger wird es dann schon, wenn man auf seine Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium“ als Schlüssel zur sachgemäßen Auslegung der ganzen Heiligen Schrift zu sprechen kommt. Alles in allem: ein streitbarer Theologieprofessor und Mönch im 16. Jahrhundert, der sich mit Papst und Kaiser und der damaligen Kirche angelegt hat, für die einen zur Bewunderung und Verehrung, für die anderen (immer noch) zur Verurteilung, weil er die kirchliche Einheit zerstört hat. So gibt es viele Zugänge zu Martin Luther, wie in jedem Jahre um den 31. Oktober, dem Reformationsfest, herum sichtbar wird.

Papst-Vorlesung in Regensburg

In der Vorlesung, die Papst Benedikt XVI. am 2. September 2006 in der Regensburger Universität zum Thema „Glaube, Vernunft und Universität“ gehalten hat, fand ich einen bisher mir nicht bekannten Zugang zu Martin Luther. Der päpstliche Professor hatte die These aufgestellt, dass das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört, übrigens mit einer merkwürdigen Exegese. Paulus hatte die Vision einer Mazedoniers, der – nach der Apostelgeschichte 16, 6 – 10 – gerufen hatte „Komm herüber und hilf uns“. Nach dem Papst darf diese Vision „als Verdichtung des von innen her nötigen Aufeinanderzugehens zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen gedeutet werden.“ Benedikt XVI. kümmert sich wenig um den Bibeltext, wenn er etwas ganz anderes damit begründen will; denn in der Apostelgeschichte steht: „Auf diese Vision hin wollten wir sofort nach Mazedonien abfahren, denn wir waren davon überzeugt, dass uns Gott dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkündigen“ (Vers 10) – von wegen eine innerlich notwendige Begegnung mit den griechischen Philosophen, besonders mit Aristoteles!

Dieser These stellt nun der Papst in seiner Vorlesung die Forderung der „Enthellenisierung des Christentums“ gegenüber, die seit Beginn der Neuzeit wachsend das theologische Ringen beherrscht habe. Drei Wellen habe es gegeben: „Die Enthellenisierung erscheint zuerst mit dem Grundanliegen der Reformation des 16. Jahrhunderts verknüpft.“ In der Vorlesung wird er namentlich nicht erwähnt, wohl aber sein „Sola Scriptura“: Martin Luther. Er ist der Vater der Enthellenisierung, suchte in der Forderung „Sola Scriptura“ die reine Urgestalt des Glaubens – so Benedikt XVI. Die Reformatoren hätten sich gewehrt gegen eine „Fremdbestimmung des Glaubens durch ein nicht aus ihm kommendes Denken.“ Das ist für den päpstlichen Professor eine Unmöglichkeit, weil es für ihn und sein Kirchen-Denken nur die gottgewollte Verbindung von „was im besten Sinne griechisch ist und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben“ gibt. Seit seiner Antrittsvorlesung in Bonn im Jahre 1959 ist für Joseph Ratzinger das Christentum die „Synthese von Glaube und Vernunft“ - der griechische Philosoph Aristoteles und der katholische Theologe Thomas von Aquin gehören zusammen. Nochmals aus der erwähnten Vorlesung in Bonn: „Der christliche Gottesglaube nimmt die philosophische Gotteslehre in sich auf und vollendet sie. Scharf gesagt: Der Gott des Aristoteles und der Gott Jesu Christi ist ein und derselbe, Aristoteles hat den wahren Gott erkannt, den wir im Glauben tiefer und reiner erfassen dürfen.“

Wie unsinnig für den Papst die Enthellenisierung des christlichen Glaubens durch die Protestanten ist, findet er bei Kant „in einer für die Reformatoren nicht vorhersehbaren Radikalität“: Kant mit seiner Aussage, er habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen. Ebenso unsinnig sei die Theologie Harnacks mit der Forderung der Rückkehr zum einfachen Menschen Jesu mit einer einfachen Botschaft, die allem Theologisieren und eben auch Hellenisieren vorausliege. Zusammenfassend: Vom Christentum bleibt nur ein armseliges Fragmentstück übrig. „Aber wir müssen mehr sagen: Der Mensch selbst wird dabei verkürzt“ – so in der Regensburger Vorlesung.

Islam gleich Protestantismus?

Nach dieser Vorlesung ist leider nur diskutiert worden, dass und wie der Papst mit dem Islam abgerechnet hat. Protestanten sprachen kaum darüber, wie der römische Bischof mit ihnen abgerechnet hat – sind sie genau so unvernünftig wie der Islam? Letztlich gilt für den Protestantismus wie für die Religion, die auf Mohammed zurückgeführt wird: „Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.“ Das hatte schon der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaeologos 1391 gesagt. Für uns Protestanten, nicht aus einer Kirche kommend, sondern nur „aus Traditionen der Reformation“, wie der Papst meint – vielleicht ist für Benedikt XVI. jetzt schon die „kirchliche Gemeinschaft“ zu viel! – ist dieses Denken letztlich eine totale Absage an die bisherigen Vorstellungen von Ökumene. Für den gegenwärtigen Papst – das sind die letzten Konsequenzen seiner Regensburger Vorlesung! – ist Ökumene mit der Papst-Kirche nur möglich und sinnvoll, wenn die Enthellenisierung, die Martin Luther begonnen und betrieben hat, aufgegeben wird. Da schwärmt ein lutherischer Pastor nach dem Papstbesuch: „Der Mensch Joseph Ratzinger beeindruckt durch seine Persönlichkeit und seine theologische Kompetenz. Gerne stimmt man seinen Aussagen zu, wenn sie zum Glauben an Christus rufen.“ Weiß er nicht, was theologische Kompetenz bei dem Papst bedeutet – und zu welchem Glauben an Christus der Papst ruft? Welche Vorzeichen vor allem stehen, was Benedikt XVI. sagt, auch wenn es so „evangelisch“ klingt?

Luther zur Hellenisierung

Ich habe nochmals einiges nachgelesen und erfahren, wie früh Martin Luther schon gesagt hat, was wir heute als Enthellenisierung bezeichnen müssen. In der Vorlesung zum Römerbrief (1515/16) zu Aristoteles: „So definiert Aristoteles ganz deutlich, nach ihm folgt und entsteht die Gerechtigkeit aus den Taten. Aber nach Gottes Lehre geht sie den Werken voraus und die Werke entstehen aus ihr.“ Luther fragt in derselben Vorlesung: „Hat den die trügerische Metaphysik des Aristoteles und die in der menschlichen Tradition stehende Philosophie unsere Theologen etwa nicht in die Irre geführt?“

In der Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ (1520) äußert sich Martin Luther besonders deutlich zu Thomas von Aquin, den wir heute für die konsequente Hellenisierung der Kirche verantwortlich machen müssen: „Das habe ich getan, weil ich sah, dass die Meinungen der Thomisten, ob sie nun vom Papst oder einem Konzil bestätigt sind, dennoch eben nur Meinungen bleiben und nicht zu Glaubensartikeln werden würden, auch wenn ein Engel vom Himmel etwas anderes verordnete.“ Luther zu Entwicklung des Abendmahls: „Die Kirche hat mehr als zwölfhundert Jahre recht geglaubt, nie und nirgends haben die heiligen Väter die Transsubstantiation (was schon ein recht ungeheuerliches Wort ist und erträumt) erwähnt, bis die so genannte Philosophie des Aristoteles in diesen letzten dreihundert Jahren in der Kirche überhand genommen hat.“

Luther zu Benedikt XVI.

Zu dem, was Benedikt XVI. als Professor der Fundamentaltheologie in Bonn 1959 und 2006 in Regensburg vorgetragen hat, gibt es eine interessante Stellungnahme Martin Luthers aus dem Jahre 1534 in einer Osterpredigt: „Die Bibel und Schrift ist nicht ein solches Buch, das aus der Vernunft oder aus Menschenweisheit herfließt. Mose und der Propheten Lehre kommt nicht aus der Vernunft und Menschenweisheit. Wer sich deshalb untersteht, Mose und die Propheten mit der Vernunft zu begreifen und die Schrift zu messen und nachzurechnen, wie sichs mit der Vernunft reime, der geht ganz in die Irre. Denn alle Ketzer von Anfang an sind auch daraus entstanden, dass sie gemeint haben, was sie in der Schrift lesen, das möchten sie so deuten, wie die Vernunft lehrt. Paulus sagt (1. Kor. 1, 23 f.): „Wir predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit. Denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als göttliche Kraft und göttliche Weisheit.“

Zum Reformationstag 2006 ergibt sich für mich nach diesen Darlegungen: Nicht Martin Luther hat zu Spaltungen in der christlichen Kirche geführt, sondern die römische Kirche hat auf dem von Papst Benedikt XVI. beschriebenen und geforderten Weg der „Hellenisierung“, der Synthese von Griechischem und Christlichem, von Glauben und Vernunft, die christliche Tradition verlassen und damit verfälscht. Mit Martin Luther müssen wir den Weg der „Enthellenisierung“ konsequent weitergehen – das hat auch Konsequenzen für die Ökumene mit der römischen Papstkirche.

Pfr. i.R. Wilhelm Drühe, Mettmann, 30. 10. 06



[Seitenanfang] [Startseite]