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Totensonntag statt Ewigkeitssonntag

Im "Impulspapier" über Zukunftsperspektiven der Kirche wird Außenorientierung der Kirche stattSelbstgenügsamkeit gefordert (S. 45)

Heute, am Totensonntag, habe ich nach dem Besuch des Gottesdienstes gedacht, daß die babylonische Sprachverwirrung um den heutigen Sonntag (Totensonntag, Ewigkeitssonntag, Letzter Sonntag im Kirchenjahr, Sonntag vom Jüngsten Tage) ein schönes Beispiel für den Konflikt zwischen "Außenorientierung" und "Selbstgenügsamkeit" (Impulspapier S. 45) ist.

Früher einmal war der ltzte Sonntag des Kirchenjahres selbstverständlich der Totensonntag. Im Gottesdienst wurden die Namen der abberufenen Gemeindeglieder des vergangenen Kirchenjahres verlesen, und sie wurden im Gebet vor Gott gebracht. Die Kirchen waren an diesem Tag wegen der vielen Hinterbliebenen, die ihrer Verstorbenen vor Gott gedenken wollten, gut gefüllt. In vielen Familien stand im Anschluß an den Gottesdienst ein Besuch auf dem Friedhof auf dem Programm. In dieser Tradition war der Totensonntag eines der großen volkskirchlichen Ereignisse im Verlauf des Jahres, ein Tag, an dem der Gottesdienst noch eine wichtige öffentliche Funktion hatte. Der Totensonntag war also ein klassisches Beispiel für das, was das Impulspapier mit dem Stichwort "Außenorientierung" fordert.

Dann kamen nach dem 2. Weltkrieg alle möglichen Klüglinge, die auf den theologischen Fakultäten eine blutleere Theologie gelernt hatten, in die Gemeinden. Sie dekretierten, daß der Sonntag nunmehr "Ewigkeitssonntag" zu heißen habe. - Man wolle ja nicht der Toten gedenken, sondern die Ewigkeit verkündigen (als ob man das nicht immer schon in der Predigt am Totensonntag getan hätte). Schnell wurde diese Sprachregelung zur herrschenden Lehre in der Kirche. Theologen/innen, Kirchenleitungen und Bischöfe/innen machten sie sich zu eigen. Es gehört heute zur theological correctnes, das Wort "Totensonntag" zu meiden und nur noch von "Ewigkeitssonntag" zu sprechen. In vielen Gemeinden ist in Folge dieser neuen Linie dann die Verlesung der Verstorbenen unterblieben, und die Gottesdienste wurden allmählich immer leerer. Die Selbstgenügsamkeit der Theologenkaste, die sich allein an ihrem blassen theologischen Schulwissen orientierte, ließ die Außenorientierung und damit die volkskirchliche Dimension des Totensonntags verkümmern.

Gott sei Dank ist es nicht überall so gelaufen. Es gibt auch noch Gemeinden mit klassischem Totensonntag und vollen Gottesdiensten.

Das Beispiel ist signifikant: Nicht nur bei der Verdrängung des Totensonntags durch den "Ewigkeitssonntag", sondern in vielen anderen Bereichen sind es die Theologen/innen, Kirchenleitungen und Bischöfe/innen gewesen, die von der Außenorientierung in selbstgenügsamer Weise auf ihre persönlichen theologischen Steckenpferde umgeschaltet haben. Zum Schaden des Gottesdienstbesuchs.



Der langen Rede kurzer Sinn: Ein Neuanfang in der Kirche, wie es das Impulspapier fordert, ist gewiß nötig. Der Neuanfang muß aber mit der Erneuerung der Theolgie und der Neubesinnung auf das Evangelium beginnen.
Reiner Vogels, Pfr. i. ATD, 26. 11. 06, Swisttal



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