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Luther-Interview: Papst-Vorlesung in Regensburg - ein Trauerspiel
Wilhelm Drühe

Zum dritten Male habe ich Martin Luther getroffen – nach dem Weltjugendtreffen in Köln im Jahre 2005 und bei seinem Besuch im Mainzer Dom vor dem Standbild des Kardinals Albrecht, dem mächtigen, katholischen Gegenspieler in der Reformationszeit. Jetzt traf ich ihn vor der Dreieinigkeitskirche in Regensburg. Als evangelische Kirche war sie während des 30-jährigen Krieges gebaut worden.

Weshalb kann Luther sich nicht freuen?

WD: „Sie machen heute ein sehr trauriges Gesicht. Wie geht es Ihnen, Dr. Luther?“

ML: „In dieser Stadt muss ich traurig sein, wenn ich daran denke, was aus unserer Kirchenreform geworden ist. Regensburg hieß einmal die ‚freie und evangelische Reichsstadt“. Schon 1528 ging unsere Saat hier auf. 1542 nahm der Rat der Stadt die evangelische Konfession offiziell an, wie man das damals nannte. Am 15. Oktober 1542 war die erste öffentliche Abendmahlsfeier in Regensburg. Ich hatte mich mit Philipp Melanchthon darum bemüht, dass diese damals bedeutende Stadt gute und fromme Prediger bekam. Inzwischen ist die Stadt wieder römisch-katholisch geworden. Nur etwa jeder zehnte Bürger bekennt sich noch zu unserer Sache. Dann kommt der Papst zu dieser ‚Jahrtausendfeier’ – so die katholische Presse - auch in diese Stadt. Soll Martin Luther sich da freuen?“

WD: „Genau das hatte ein Hamburger Pfarrer behauptet: ‚Luther würde sich freuen.’ Er ist auch noch ein Sprecher der bekennenden Gemeinden.“

ML: „Ich kann viele unserer Geistlichen überhaupt nicht mehr verstehen. Sie nennen sich auch noch ‚lutherisch’. Ich war immer gegen diese Bezeichnung. Ich kann meine Arbeit von damals kaum bei ihnen wieder erkennen, auch nicht bei allen Bischöfen, die sich so benennen. Manchmal habe ich den Eindruck, sie stehen dem römischen Bischof näher als unseren Bemühungen, vielleicht auch, weil sie gerne dessen Macht hätten. Nebenbei – es ist grundsätzlich falsch, aus dem Papst einen Sprecher aller christlichen Kirchen machen zu wollen.“

WD: „Dieser Papst bemüht sich aber doch wenigstens darum, dass die Gräben zugeschüttet werden, etwa bei der so genannten Ökumenischen Vesper. Das hatte es zu Ihrer Zeit damals nicht gegeben.“

ML: „Ich war auch dabei im Dom zu Regensburg – ganz hinten, damit man mich nicht bemerkt, denn die päpstliche Verurteilung von damals ist noch nicht aufgehoben. Man hätte noch die Polizei holen können, um mich zu verhaften. Benedikt XVI. hat zunächst sehr freundlich die orthodoxe Kirche begrüßt, die für ihn eine richtige christliche Kirche ist, auch wenn sie ihn als Papst nicht anerkennt. Dann folgten wir. Er nannte uns nicht ‚kirchliche Gemeinschaften’, wie sonst bei ihm üblich, auch in Köln noch. Wir kommen jetzt für ihn aus den ‚verschiedenen Traditionen der Reformation’. Das ist schon eine merkwürdige Ökumene der kirchlichen Ungleichheit – oben der Papst, unten die anderen, die er nicht für voll christlich nimmt. Wir sind in seinen Augen eben defizitär.“

Nicht nur Konfrontation wie im 16. Jahrhundert?

WD: „Das ist aber wenigstens doch ein Anfang und mehr als Konfrontation wie damals im 16. Jahrhundert und lange Zeit später.“

ML: „Das stimmt, aber es bringt nur etwas für den Papst, der wie ein Religions-Herrscher die Untertanen und Abhängigen einlädt. So war es in Köln und jetzt auch in Regensburg. Auch Papst Benedikt XVI. hat bei aller Betonung seines Wunsches nach Ökumene nicht begriffen, worum es uns eigentlich damals gegangen ist und heute gehen muss. Das ist für mich in der Universität Regensburg deutlich geworden. Ich war auch dort und habe genau verfolgt, was er sagte. Es war eine Abrechnung mit dem, was man heute Protestantismus nennt.“

WD: „Der Papst wollte doch sprechen zu einem Lieblingsthema ‚Glaube und Vernunft’. Das beschäftigt ihn seit seiner Antrittsvorlesung in der Bonner Universität im Jahre 1959 mit dem Thema: ‚Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophie.’ Weltweite Beachtung fand dann aber seine Einleitung mit Äußerungen eines byzantinischen Kaisers während der Belagerung Konstantinopels zwischen 1394 und 1402 – also etwas weit hergeholt und dann noch verknüpft mit der Frage der Gewaltausübung. Benedikt XVI. ging es um den Satz: ‚Nicht vernunftgemäß handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider.’ Was hat das mit dem Protestantismus in der heutigen Auseinandersetzung zu tun?“

Synthese von Griechischem und Christlichem

ML: „Ich fühle mich von diesem Papst persönlich angegriffen, weil er das wiederholt, wogegen wir Reformatoren, wie man uns später nannte, damals aufgestanden sind. Er spricht von dem ‚tiefen Einklang zwischen dem, was im besten Sinn griechisch ist, und dem auf der Bibel gründenden Gottesglauben.’ Dabei scheut er sich nicht, eine sehr fragwürdige Exegese vorzunehmen. Benedikt XVI. erwähnt die Vision des Mazedoniers, der nach der Apostelgeschichte Paulus aufgefordert hat, Asien zu verlassen und nach Europa zu kommen. Der Papst bezeichnet das wörtlich ‚als Verdichtung des von innen her nötigen Aufeinanderzugehens zwischen biblischem Glauben und griechischen Fragen.’ Ihm geht es um diese Synthese von Griechischem und Christlichem, um den augustinischen und thomistischen Intellektualismus“.

WD: „Jetzt erst verstehe ich, weshalb in der päpstlichen Vorlesung im letzten Drittel der These, dass das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört, von Benedikt XVI. die Forderung nach der Enthellenisierung des Christentums gegenübergestellt wird.“

ML: „Dazu sprach der Papst ausdrücklich uns Reformatoren an, die Enthellenisierung sei das Grundanliegen der Reformation des 16. Jahrhunderts gewesen. Dabei zeigt er sogar etwas Verständnis für unser Denken damals, weil wir den Glauben fremdbestimmt durch ein philosophisches System gesehen hätten. Im ‚sola scriptura’, also allein die Schrift, hätten wir die reine Urgestalt des Glaubens, wie er im biblischen Wort ursprünglich da ist, gesucht. Dann verlässt der Papst in seinem Verdikt über uns die Reformation als Enthellenisierung und kommt schnell auf Kant zu sprechen. Der habe gesagt, er habe das Denken beiseite schaffen müssen, um dem Glauben Platz zu machen. Wir Evangelischen haben vielleicht die Wege zu Kant bereitet, sind aber nicht dafür verantwortlich, dass der Glaube ausschließlich in der praktischen Vernunft verankert ist. Protestantismus ist nicht nur Ethik, wie man heute häufig sagen kann.“

Ablehnung der Kirchen-Reformation des 16. Jahrhunderts

WD: „Diese Vorlesung, die die katholische Zeitschrift ‚Christ in der Gegenwart’ den ‚intellektuellen Höhepunkt dieser Reise’ nennt, ist dann eigentlich eine gründliche Abrechnung mit der Reformation des 16. Jahrhunderts und Ihrer damaligen Forderung an die Kirche des Papstes, diese Synthese von Griechischem und Christlichem und den augustinischen und thomistischen Intellektualismus zu verändern und aufzugeben. Heute wird immer die Auseinandersetzung des Papstes mit dem Islam betont.

ML: „Es schmerzt, aber wir müssen heute einsehen, dass wir sehr wenig erreicht haben – im Blick auf die römische Kirche. Sie hält weithin fest am Erbe der Scholastik eines Thomas von Aquin, der einen getauften Aristoteles in das römische Religionssystem eingeführt hat. Würde sie das aufgeben, dann wäre die Gnadenlehre Roms mit den Sakramenten nicht mehr zu halten. Es gäbe kein Messopfer, abhängig von einer Priesterweihe, keinen Ablass, bei dem der Papst den himmlischen Schatz die Verdienste Jesu Christi und der Heiligen austeilen kann, um die Sündenstrafen der Menschen aufzuheben - und vieles andere mehr!“

WD: „Was halten Sie denn unter diesen Voraussetzungen von dem, was wir heute ‚Ökumene’ nennen?“

ML: „Kaum beachtet wird, dass der Vatikan und unsere Kirchen ein sehr unterschiedliches Verständnis von ‚Ökumene’ haben. Für Rom ist es Einheit durch Rückkehr, für uns müsste es die Aufgabe der so genannten Hellenisierung durch Rom sein. Der Papst hat deutlich gemacht, dass die Enthellenisierung von evangelischer Seite zur Trennung geführt hat und weiterhin führt. Übrigens haben die andere Religionen, wie das Judentum und der Islam, auch keine Hellenisierung. Das betrifft nur die römisch-katholische Kirche – ein Geschenk Gottes?“

WD: „Wie sollen die Kirchen denn miteinander umgehen?“

ML: „Wir haben einen gemeinsamen Anfang: das Christliche ohne das Griechische. In Erinnerung daran, sollen unsere Kirchen sich begegnen und besuchen. Solange Rom an dieser Synthese von Griechischem und Christlichem festhält, hat es keinen Sinn, etwa Lehrgespräche zu führen. Gemeinsamkeiten von dieser Voraussetzung her kann es nicht geben. Schon die angeblichen Übereinkünfte über die Rechtfertigungslehre haben gezeigt, dass jeder etwas anderes versteht. Unsere Lehrer müssen sich auf das Augsburger Bekenntnis von 1530, das mein Freund Melanchthon verfasst hat, besinnen und dürfen unsere damaligen Festlegungen nicht aufgeben oder verwässern.“

Wohin reist Dr. Martin Luther jetzt?

ML: „In Halle an der Saale feiert man jetzt Kardinal Albrecht von Brandenburg als ‚Renaissancefürst und Mäzen’. Er war damals mein eigentlicher Gegenspieler und hat durch seine hemmungslose Geld- und Machtgier die Trennung der Kirchen in Bewegung gebracht. Was ich bisher über die Ausstellung gelesen habe, zeigt, dass die Kirche Roms im Grundsätzlichen sich nicht geändert hat, sich auch kaum ändern will. Albrecht von Brandenburg steht groß im Mainzer Dom, im Göbel-Brunnen zur Stadtgeschichte in Halle an der Saale stellt man ihn nackt dar mit seiner Geliebten. Den Nebenbuhler ließ er hinrichten. Kardinal Lehmann, sein Nachfolger als Mainzer Erzbischof, ist Schirmherr der Ausstellung. Von Wittenberg aus habe ich damals das gottlose Treiben, das schließlich zur Spaltung unserer Kirchen geführt hat, beobachtet. Was ist heute daraus geworden? Wir könnten uns in Halle wieder sehen!“

Pfr. i.R. Wilhelm Drühe, Mettmann, 28. 09. 2006



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