[Startseite]




Wegweiser für die Ökumene
Zum Papstbuch über Jesus von Nazareth
Reiner Vogels

Papst Paul VI hat anläßlich eines Besuchs beim Weltkirchenrat in Genf gesagt, daß das Papstamt das Haupthindernis für eine bessere ökumenische Gemeinschaft der christlichen Kirchen sei. Ganz ohne Frage hat er damit recht gehabt. Solange die römisch-katholische Kirche am Papstamt als Institution göttlichen Rechts festhält, wird es weder mit den evangelischen noch mit den orthodoxen Kirchen zu einer wirklichen kirchlichen Gemeinschaft kommen. Insofern ist natürlich auch der gegenwärtige Papst, Bendikt XVI, das größte und letztlich entscheidende Hindernis für die Ökumene in unserer Zeit.

Als Person jedoch und vor allem als Wissenschaftler und Christ, der die Bibel liest und erklärt, hat der Papst mit seinem gerade erschienenen Buch "Jesus von Nazareth" (Herder-Verlag, ISBN 978-3-41-29861-5) der Christenheit einen großartigen Wegweiser geschenkt, der allen Christen der Erde zu zeigen vermag, welchen Weg sie gehen müssen, wenn sie die Trennung der Kirchen überwinden wollen. Der Weg zur Einheit kann nur der Weg zu Jesus Christus sein, und die Christenheit der Welt kann dem Papst nur dankbar sein, daß er mit seinem Buch diesen Weg geht. Wichtig an dem Buch ist dabei, daß der Papst wirklich den Weg zu Jesus Christus geht, wie er gelebt und gelehrt hat und wie er uns im Zeugnis des Evangeliums erscheint. Benedikt XVI setzt sich sehr sorgfältig und auf hohem wissenschaftlichen Niveau mit den den Glauben zersetzenden Thesen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft auseinander, aber er weist doch in überzeugender Weise nach, daß die wichtigsten dieser Thesen wissenschaftlich unhaltbar sind und an der Sache vorbeigehen.

Ein paar Beispiele:
  1. Die historische Bibelwissenschaft hat gelehrt, daß das christologische Dogma gar nicht auf den historischen Jesus selbst zurückgehe, sondern eine nachträgliche (und damit letztlich unverbindliche) "Gemeindeschöpfung" sei. Benedikt XVI zeigt, daß diese These grundverkehrt ist. Schon Jesus selbst hat sich als wesenseins mit Gott und als "der Sohn" verstanden, "der Gott ist und in des Vaters Schoß ist" (Joh. 1, 18).
  2. Die historische Bibelwissenschaft hat gelehrt, daß zwischen dem Christuszeugnis der drei synoptischen Evangelien und dem Johannesevangelium große inhaltliche Unterschiede oder gar Widersprüche bestünden. Benedikt XVI zeigt dagegen, daß es gerade in der Lehre von Jesus Christus eine ganz große inhaltliche Nähe und Übereinstimmung zwischen den Evangelien (und natürlich auch mit den anderen Schriften des NT) gibt.
  3. Die historische Bibelwissenschaft hat gelehrt, daß das Johannesevangelium kaum historischen Wert habe, so daß als historische Quellen für das Leben Jesu praktisch nur die synoptischen Evangelien gelten könnten (und auch die nur zum kleinen Teil). Benedikt XVI zeigt - im Anschluß an Arbeiten evangelischer Neutestamentler wie z.B. Martin Hengel - daß das Johannesevangelium im Kern auf Augenzeugenberichte zurückgeht und historisch sehr wohl glaubwürdig ist.
  4. Die historische Bibelwissenschaft hat gelehrt, daß die Worte Jesu vom Menschensohn zum größten Teil nicht von Jesus selbst stammten, sondern daß Jesus, wenn er denn vom Menschensohn gesprochen habe, damit immer von jemand anderem und nicht von sich selbst gesprochen habe. Benedikt XVI zeigt, daß beide Thesen falsch sind: Jesus hat natürlich vom kommenden Menschensohn-Weltenrichter gesprochen, und er hat damit sich selbst gemeint. Und er hat auch vom gegenwärtigen und vom leidenden Menschensohn als von sich selbst gesprochen.

Die Beispiele zeigen nicht nur, daß die historisch-kritische Zersetzung der Bibel historisch von falschen Voraussetzungen ausgeht, sie zeigen auch, daß der Kern des christlichen Dogmas, also die Wesenseinheit des Sohnes mit dem Vater und die Einheit des dreieinigen Gottes als Vater, Sohn und Heiligem Geist, auf Jesus selbst, und zwar auf den historischen Jesus von Nazareth zurückgeht. Es gibt keinen Widerspruch und keinen Hiatus zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens.

Um auf den Weg zur Einheit der Christenheit zurückzukommen: Die christlichen Kirchen werden dann am ehesten wieder zueinander finden, wenn sie zu Jesus von Nazareth zurückkehren. Sie sollen sich dabei nicht durch die historisch widerlegten Irrtümer der historisch-kritischen Bibelwissenschaft beirren lassen. Jesus von Nazareth ist niemand anders als der verkündigte Christus des Glaubens. Er ist die zweite Person der göttlichen Dreieinigkeit. Er ist das Lamm Gottes, das am Kreuz die Sünde der Welt getragen hat. Er ist der Heiland der Welt und der auferstandende Herr aller Herren. Er ist unser Erlöser. Er ist unsere einzige Hoffnung im Leben und im Sterben.

Es bleibt dabei: Das Papstamt ist das Haupthindernis für eine wirkliche Ökumene der Kirchen. Es ist aber auch richtig, daß der gegenwärtige Papst in seinem Jesusbuch einen richtigen Wegweiser aufgestellt hat. Er zeigt den Weg, der zur Einheit führen kann, weil er auf Christus hinzeigt. Alle Christen und Kirchen sollten sich auf den Weg machen zu Jesus Christus. Wenn sie diesen Weg konsequent zu Ende gehen, werden sie auch zueinander finden.

Pfr. i. ATD Reiner Vogels, 23.04.05 Swisttal



[Seitenanfang] [Startseite]