Guten Abend meine Damen und Herren,
ich freue mich, daß ich heute bei Ihnen sein und
zu einem Thema sprechen kann, was uns, wie ich glaube, gleichermaßen
angeht, Christen ebenso wie Muslime. Es geht um die Rolle und das Selbstverständnis
der Heiligen Schrift, der Bibel und des Korans. Ich werde versuchen, auch
auf das Thema „Jihâd“ etwas einzugehen. Ich möchte darüber
hinaus einige andere Themen streifen, werde aber in der Kürze der
Zeit manches nur anreißen können. Themen, zu denen darüber
hinaus Fragebedarf besteht, können vielleicht im anschließenden
Frage- und Diskussionsteil noch vertieft werden.
Einleitung
„Die Muslime und ihre Heilige Schrift – dargestellt an
der Frage nach Frieden und Gewaltbereitschaft“, dieses Thema ist mir für
heute abend gestellt worden. Es geht also in erster Linie darum, welche
Auffassungen Christen von ihrer Heiligen Schrift, der Bibel, und welches
Verständnis Muslime vom Koran haben. Natürlich bin ich mir darüber
im klaren, daß es hier eine Bandbreite an Auffassungen gibt. Gewisse
Verallgemeinerungen lassen sich aber in der Kürze der Zeit nicht ganz
vermeiden. Es geht heute abend um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen
dem christlichen und muslimischen Verständnis ihrer Heiligen Schrift,
um unterschiedliche Inhalte in Bibel und Koran und um einige Folgerungen,
die sich daraus ergeben. Selbstverständlich soll auch berücksichtigt
werden, was der Koran und die Bibel selbst über sich aussagen und
wie sie sich selbst darstellen.
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Die Bedeutung des Schriftverständnisses für die Religionen
Das Schriftverständnis beider Religionen, also die
Auffassung von der eigenen und der anderen Heiligen Schrift ist meiner
Ansicht nach beileibe kein trockenes Thema, denn der Glaube an die Wahrheit
der Heiligen Schrift ist im Islam wie im Christentum lebendig. Im Christentum
wird das überall dort deutlich, wo Menschen sich in Gemeinden um die
Bibel versammeln, obwohl sie oft totgesagt wurde. Noch heute wenden Menschen
diese Schrift auf ihr Leben heute, hier und jetzt an. Auch die Existenz
dieser Gemeinde ist schließlich ein Beispiel dafür und alle,
die zu ihr gehören. Erstaunlicherweise - so möchte ich noch in
Klammern hinzufügen - wachsen weltweit christliche Gemeinden dort
schnell und gewinnen neue Glieder hinzu, wo die Bibel, die Heilige Schrift
der Christen, eine wichtige Rolle spielt, wo sie zu den Fragen des alltäglichen
Lebens konsultiert wird und nicht als verstaubtes Buch betrachtet wird,
das man im Schrank aufbewahrt.
Die Bibel ist bis heute das am meisten gelesene Buch,
das in die größte Zahl an Sprachen übersetzte Buch der
Geschichte. Sie ist das am häufigsten gedruckte verkaufte und gelesene
Werk der Weltliteratur. Die Bibel ist keineswegs ein totes Buch: das Wort
Gottes lebt und verändert auch heute Menschen und Situationen.
Im Islam ist die Kraft des Glaubens an den Koran und
die Wahrheit des Islams ebenso ungebrochen, was man nicht nur daran erkennt,
daß sich auch der Islam ausbreitet - nicht nur in Schwarzafrika -
sondern auch in anderen Ländern. Auch die Koranverbreitung nimmt in
der jüngeren Vergangenheit zu, Koranschulen werden sowohl hier in
Deutschland als auch andernorts rege besucht. Die Wertschätzung des
Korans wird auch daran deutlich, daß im islamischen Bereich, ganz
allgemein gesprochen, eine offizielle Korankritik, gelehrt von den Kathedern
der Universitäten und von islamischen Theologen, nicht existiert.
D. h., der Glaube an die ungebrochene Autorität des ganzen Korantextes,
so wie er niedergeschrieben wurde bzw. uns heute zur Verfügung steht,
ist lebendig und wird im islamischen Bereich weithin nicht angezweifelt.
Man hat bereits prophezeit, daß das 21. Jahrhundert
das Jahrhundert der Religionen werden wird. Manche Philosophen und Zeitanalytiker
haben die Auffassung vertreten, Religion sei etwas, das der Vergangenheit,
etwa dem Mittelalter, angehört und für die Moderne eigentlich
keine Bedeutung mehr hat. Manche Menschen sind der Auffassung, daß
der moderne Mensch auch ohne Religion leben und mit Technik und Fortschritt
allein zurechtkommen kann. Dieser Schein trügt jedoch: Der Glaube
ist lebendig, Religionen gewinnen Anhänger, und Menschen finden ihren
Lebenssinn darin.
Wenn wir uns also mit dem Glauben an die Heiligen Bücher
beschäftigen, ist das auch deshalb von Bedeutung, weil die Heiligen
Schriften Grundlinien für Lehre und Leben festlegen, an denen sich
die Gläubigen ausrichten. Die Theologie (gewissermaßen die theoretische
Kenntnis von Gott und den Menschen) wird ebenso durch die Heiligen Schriften
bestimmt wie die Praxis. Die Heiligen Bücher bestimmen die Haltung
des Menschen zur Gesellschaft, zu seiner Familie, zur Umwelt, zur eigenen
Person. Sie teilen dem Menschen Wissen von Gott mit, sie sprechen über
das Diesseits - wie man sein Leben hier auszurichten hat - ebenso wie über
das Jenseits. Und auch das Engagement des einzelnen im Hier und Heute,
in seiner Gesellschaft und Umwelt hängt vom Schriftverständnis
ab. Daher ist eine Beschäftigung mit dem Thema „Heilige Schriften“
sowie ein Vergleich zwischen biblischen und koranischen Inhalten sinnvoll
und notwendig. Die Heiligen Schriften nehmen auch Stellung zum Thema „Frieden
und Gewalt“.
Gerade dieses Thema ist für uns vor dem Hintergrund
der jüngsten Ereignisse nicht uninteressant. In Deutschland leben
derzeit ungefähr 3,5 Millionen Muslime. Davon kommen über 2 Millionen
Menschen aus der Türkei. Auch durch die weltweite Situation (die Terroranschläge
des 11.9. 2001) entsteht ja die Frage, welche Aussagen eigentlich die Schriften
anderer Religionen zum Thema Frieden und Gewalt machen (heute beschäftigen
wir uns in besonderer Weise mit dem Islam).
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Bezüge zwischen Koran und Bibel
Das Schriftverständnis des Islam und des christlichen
Glaubens miteinander zu vergleichen, setzt gewissermaßen voraus,
das man beides aufeinander beziehen kann und man keine künstliche
Beziehung herstellen muß. Vielleicht können auch Gemeinsamkeiten
gefunden werden, denn schließlich sind – historisch betrachtet keine
zwei anderen Religionen so nah miteinander verwandt wie der Islam und das
Christentum, wenn man einmal von der Verwandtschaft zwischen Christentum
und Judentum absieht.
Außerdem teilen sich der Islam und das Christentum
heute Platz 1 und 2 der „Hitliste“ der Weltreligionen: Das Christentum
hat heute ungefähr 2 Milliarden Anhänger und wird vom Islam mit
etwa 1,2 Milliarden Anhängern gefolgt. Interessant ist allerdings
die Tatsache, daß der christliche Glaube sich vor allen Dingen durch
Zeugnis (christliche Missionsarbeit und Diakonie) ausbreitet – also durch
„Überzeugungsarbeit“ -, der Islam dagegen vor allem durch hohe Geburtenzahlen,
bireligiöse Eheschließungen sowie Übertritte (teilweise
ganzer Dörfer, insbesondere in Schwarzafrika), wächst. - Bei
allen Vergleichen ist selbstredend deutlich, daß man weder 2 Milliarden
Christen noch 1,2 Milliarden Muslime „über einen Kamm scheren“, verallgemeinernd
in einen einzigen Topf werfen und bei allem zutreffende Meinungen über
diese große Zahl von Menschen äußern kann.
Aber den Islam und das Christentum miteinander zu betrachten,
liegt auch deshalb nah, weil sie in ihrer Entstehungsgeschichte aufeinandertrafen,
so daß wir beide Bücher gar nicht künstlich aufeinander
beziehen müssen: Sie beziehen sich selbst aufeinander. Der Beginn
dieser Beziehung liegt bei Muhammad, dem Stifter und Verkünder des
Islam, der etwa ab dem Jahr 610 auf der Arabischen Halbinsel in seiner
Heimatstadt Mekka mit der Botschaft auftrat, daß es nur einen einzigen
Gott gäbe, einen allmächtigen Schöpfer und Richter der Welt.
Muhammad war in seinem Umfeld mit Juden und Christen und ihren Glaubensvorstellungen
in Kontakt gekommen. Das wissen wir zum einen aus dem Koran selbst, aber
auch aus Berichten wie den islamischen Überlieferungen. Muhammad verkündete
den Glauben an den einen Gott, neben dem keine andere Gottheit existiert.
Er wandte sich damit vor allen Dingen gegen den Polytheismus (den Vielgötterglauben)
seiner arabischen Landsleute, die Götter in Steinen, Quellen, Bäumen
und auch in der Ka’ba in Mekka, einem damals schon existierenden Gebäude,
bei Wallfahrten verehrten. Auch mit seiner Predigt des Gerichtes, in dem
sich alle Menschen werden verantworten müssen, wandte sich Muhammad
vor allen Dingen an seine arabischen Landsleute, die der Meinung waren,
mit dem Tod sei alles aus, und es ginge nur darum, das Leben vom Diesseits
her zu gestalten.
Diesen Glauben an den einen Gott und das Jüngste
Gericht teilten Juden und Christen mit Muhammad, ebenso den Glauben an
die Propheten, die im Koran eine sehr wichtige Rolle spielen: Der Koran
stellt Propheten als die Verkünder des Glaubens vor, als Botschafter
Gottes, denen der Engel Gabriel die Offenbarung übermittelte. Zu den
Propheten gehört nach islamischer Auffassung auch Jesus Christus,
der im Koran als Mensch, als Prophet und als Verkünder des Islams
aufgefaßt wird.
Christen teilten mit Muhammad den Glauben an die Existenz
der Engel, an die Existenz des Teufels, aber auch an Ereignisse, wie die
Paradieserzählung von Adam und seiner Frau, die aufgrund ihrer Übertretung
von Gott aus dem Paradies vertrieben wurden. Christen teilten mit Muhammad
Erzählstoffe wie den Bericht von Noah und der großen Flut, die
über alle Menschen kam. Sie teilten Berichte über den Auszug
Israels aus Ägypten unter der Führung von Mose, aber auch – zunächst
rein äußerlich betrachtet - Berichte über Jesus und seine
Jünger. Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen ergaben sich
zu Lebzeiten Muhammads auch aufgrund der Verwendung bestimmter theologischer
Begriffe wie „Sünde“ und „Vergebung“. Hier sind wir eigentlich schon
bei denjenigen Inhalten angekommen, die wir in Koran und Bibel gleichermaßen
wiederfinden und die - auf den ersten Blick betrachtet - ganz ähnliche
Inhalte zu vermitteln scheinen.
In diesen ersten Jahren scheint auch Muhammad in vielen
dieser Verkündigungsinhalte stärker das Gemeinsame mit Juden
und
Christen als das Trennende erkannt zu haben. Und er verstand sich selbst
als Fortsetzung und Endpunkt ihrer Prophetenreihe. Er war der Auffassung,
daß Gott immer wieder in der Geschichte einen Propheten gesandt hat,
und daß er selbst der letzte Prophet in dieser Reihe sei, das „Siegel
der Propheten“. Muhammad erkannte in diesen ersten Jahren seiner Verkündigung
etwa ab dem Jahr 610 nach Christus die jüdischen und christlichen
Traditionen und Überlieferungen an, soweit sie ihm bekannt waren.
Allerdings müssen wir davon ausgehen, daß zu Muhammads Lebzeiten
keine vollständige Bibelübersetzung auf Arabisch existiert hat.
Christen feierten auf der Arabischen Halbinsel ihre Gottesdienste in Altsyrisch,
also nicht in der „Sprache des Volkes“. Deshalb – und vielleicht auch,
weil Muhammad nicht lesen und schreiben konnte, wie Muslime annehmen -
wird er mit einiger Wahrscheinlichkeit vor allen Dingen mündliche
Überlieferungen von Christen in seinem Umfeld kennengelernt haben.
Grundsätzlich erkannte er zu Beginn seiner Sendung jüdische und
christliche Traditionen an, und er bescheinigt den Christen im Koran in
diesen ersten Jahren Gotteserkenntnis, Glauben, Demut, Bescheidenheit und
auch Liebe. Der Koran subsumiert, daß die Christen diejenigen seien,
die den Muslimen am nächsten ständen.
Muhammad erwartete nun seinerseits ebenfalls Anerkennung
von Juden und Christen, zum einen Anerkennung seiner selbst als Person
aber auch die Anerkennung seiner Sendung als Prophet und Gesandter Gottes,
als Führer des arabischen Volkes und seiner ersten Anhänger.
In dieser Phase, in der das christlich-muslimische Verhältnis aber
bereits einer Veränderung entgegensah, bezeichnete Muhammad seine
Offenbarung – das, was später als der Koran zusammengefaßt wurde
- quasi als Neuformulierung der christlich-jüdischen Überlieferung,
die schon vorher verkündet worden war. Er vertrat die Auffassung,
daß seine Verkündigung identisch mit dem war, was schon vorher
zu Juden und Christen in ihrer Sprache von ihren Propheten zu ihnen herabgesandt
worden war.
Aber Juden und Christen wandten sich im Lauf der Zeit
immer mehr von Muhammad ab und seit 622/23 und endgültig ab 624 bestritten
sie den Sendungsanspruch Muhammads und lehnen seine Offenbarung ab. Die
Juden begannen, ihn zu verspotten. Das jüdisch-christlich-muslimische
Verhältnis trat sozusagen in eine 2. Phase ein, die Phase der Entfremdung,
die Phase der Distanz, des Mißtrauens und auch der zunehmenden Feindschaft.
Auch Muhammad lehnte nun seinerseits immer klarer die
- wie er glaubte - spezifisch christlichen Positionen ab. Der Koran bezeugte
nun, daß der Glaube an die Kreuzigung Jesu falsch sei. Der Mensch
ist aus islamischer Sicht nicht verloren, er braucht keine Erlösung.
Warum hätte eine Kreuzigung stattfinden sollen, wenn der Mensch nicht
von Gott getrennt ist? Zu dieser Zeit wird auch der Glaube an die Trinität
im Koran verurteilt, an eine Trinität, die Muhammad allerdings als
leibliche Verwandtschaft zwischen Gott und seiner Ehefrau Maria auffaßte,
die gemeinsam einen Sohn bekommen, Jesus Christus.
Der Koran lehnt aus dem Gedanken der absoluten Einzigartigkeit
Gottes, neben dem kein anderes Wesen stehen darf, den Gedanken der Trinität
und der Gottessohnschaft Jesu ab. Er faßt also die Gottessohnschaft
als etwas Additives auf, als etwas, was Gott hinzugefügt wird. Er
versteht die Trinität nicht als eine „Personalunion“ zwischen Gott,
Vater und seinem Sohn und dem Heiligen Geist, sondern den Sohn als eine
zweite Person oder Gottheit neben Gott, dem Vater. Mit dieser Positionierung
hat sich Muhammad entschieden, die Grundlagen des christlichen Glaubens
abzulehnen.
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Kämpferische und friedliche Aussagen des Korans
In dieser Zeit änderte sich innerhalb der muslimischen
Gemeinschaft auch die Auffassung davon, wie der Glaube verkündet werden
bzw. mit welchen Mitteln sich die muslimische Gemeinschaft ausbreiten darf.
Es ist besonders nach dem 11. Sept. 2001 viel über den Begriff des
Jihâd diskutiert worden. Es ist immer wieder zu recht festgestellt
worden, daß der Begriff des Jihâd nicht „Heiliger Krieg“ bedeutet.
Der Begriff des „Heiligen Krieges“ kommt so nicht im Koran vor. Jihâd
bedeutet eigentlich „Bemühung“ oder „Anstrengung“ auf dem Weg Gottes.
Wenn der Koran nun in den ersten zehn bis zwölf Jahren der Verkündigung
Muhammads von Jihâd spricht, meint er damit das Bemühen, Gottes
Botschaft zu verkünden und die Menschen zum Islam zu rufen. In diesen
ersten Jahren wurde Muhammad von seinen Nachbarn und Verwandten und den
Angehörigen anderer Stämme bedrückt, verfolgt und verspottet.
Sein Anspruch, ein Prophet Gottes zu sein, wurde – von wenigen Anhängern
abgesehen - nicht aufgenommen. Muhammad wanderte 622 aus seiner Heimatstadt
Mekka in die Nachbarstadt Medina aus, weil er in Mekka hart bedrängt
worden war.
In dieser ersten Zeit hat also der Begriff Jihâd
nichts Kämpferisches. Diese Bedeutung erhält er jedoch
in der Zeit Muhammads in Medina ab 622. Aus der Zeit der dortigen Auseinandersetzung
mit den jüdischen Stämmen, den Allianzen, die sich mit und unter
arabischen Stämmen bildeten, den mekkanischen Truppen, die immer noch
versuchten, Muhammad in Medina zum Aufgeben zu bewegen, um diesen Machtfaktor
aus der Welt zu schaffen, finden sich viele Verse im Koran, die von Jihâd
im Sinne von Kampf und Krieg sprechen, von kämpferischer Auseinandersetzung
und vom Töten der Feinde der ersten muslimischen Gemeinschaft.
Heute berufen sich muslimische Gruppierungen auf die
unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Jihâd. Mystiker berufen
sich darauf, daß der wahre Jihâd gute Handlungen und Gedanken
seien: Der „Jihâd der Zunge“, „des Herzens“ und „der Hände“
will dem anderen helfen und Gutes tun und sagen, dem Reisenden und dem,
der in Not ist, Geld spenden. Für Mystiker ist der „Jihâd des
Schwertes“ - also der bewaffnete Kampf - der „kleinere Jihâd“, der
von geringerer Bedeutung ist. Andere, politisch motivierte Gruppierungen
sind der Auffassung, daß die Zeit des friedlichen Rufes zum Islam
heute vorbei ist, weil in alle Welt der Ruf zum Islam ergangen ist und
nun der Jihâd, der Kampf oder die kämpferische Auseinandersetzung,
mit den Feinden des Islam geführt werden muß. Hier finden wir
also eine Bandbreite von Auffassungen, die ihren Ursprung in der Geschichte
haben.
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Die Absolutsetzung des Islams und Korans
In dieser Zeit der Entfremdung und der zunehmenden Feindschaft
zwischen Muslimen sowie Juden und Christen war Muhammad mehr und mehr zu
der Auffassung gekommen, daß Christen ihre Schriften verfälscht
haben und zwar überall dort, wo sich Unstimmigkeiten mit dem Koran
ergaben.
Von seiner anfänglichen Anerkennung anderer Schriften,
die anderen Völkern vor ihm offenbart worden waren, änderte Muhammad
seine Haltung immer mehr dahingehend, daß der Koran die einzige und
die absolute Wahrheit sei, der über allen anderen Schriften
stände, weil diese im Laufe der Zeit verändert und verfälscht
worden seien. Der Koran versteht sich in dieser zweiten Phase der christlich-muslimischen
Begegnung gewissermaßen als Korrektur der biblischen Schriften, nicht
mehr als ein ihr gleichwertiger Offenbarungsinhalt. Und diese Haltung hat
der Islam im wesentlichen beibehalten. Diese Auffassung wird auch von muslimischen
Theologen vertreten, ja im Laufe der Zeit sogar verstärkt und unterstrichen.
Aus muslimischer Sicht ist der Koran die einzig wahre Offenbarung, die
alle anderen Schriften überbietet und ablöst. Alle anderen Offenbarungen
hatten nur zeitliche Gültigkeit.
Diese Auffassung ist natürlich nur erklärlich,
indem der Islam seine Entstehung an den Beginn der Menschheitsgeschichte
verlegt: Der Koran ist der Auffassung, daß der Islam die Religion
ist, die von Anfang der Menschheitsgeschichte existiert hat, ja, daß
Adam, Abraham, Mose, Hiob, Saul, Salomo und alle Propheten bis zu Jesus
Muslime waren, die den Islam verkündeten. Nur die Christen hätten
diese Offenbarung falsch interpretiert, die Gottessohnschaft hinzugefügt
und sind damit von der wahren Offenbarung abgewichen.
Zu dieser Zeit erklärt sich der Islam nun nicht
mehr als gleichberechtigte Religion neben Juden- und Christentum, sondern
zur einzig wahren Religion, die von Anfang an gewesen ist und zur einzigen
Wahrheit, die bis in Ewigkeit bestehen wird. Selbstverständlich können
weder Juden noch Christen diese Auffassung teilen und diesen Absolutheitsanspruch
akzeptieren. Sie lehnten ab, daß der Islam vor Muhammad jemals gepredigt
wurde, daß überhaupt dieser Begriff bekannt war und die entsprechenden
Inhalte vorgetragen wurden.
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Unterschiede im Schriftverständnis
Äußerliche Unterschiede
Damit ist gewissermaßen das Verständnis des
Korans von der Heiligen Schrift der Christen umrissen: Der Koran lehnt
die Kernbotschaft des Neuen Testamentes ab, die Gottessohnschaft, Kreuzigung
und Trinität. Trotz aller historischen Verbindungen also – die verschiedenen
Personen des Alten und des Neuen Testaments im Koran wie Adam, Abraham,
Mose, Hiob, Salomon, Saul, Maria, Johannes der Täufer und Jesus selbst
– trotz der in Koran wie Bibel berichteten Ereignissen wie der Sintflut
und der Paradieserzählung und der gemeinsam verwendeten theologischen
Begriffe („Sünde“, „Gericht“, „Vergebung“, „Paradies, „Hölle“),
trotz der gemeinsamen Achtung vor der eigenen Heiligen Schrift, des Glaubens,
daß Gott sich in dieser Schrift mitgeteilt hat, und diese Schrift
bis heute von ungebrochener Aktualität ist, ergeben sich bei näherer
Beschäftigung doch etliche Unterschiede zwischen Islam und Christentum
allgemein, aber auch in bezug auf das Schriftverständnis von Koran
und Bibel.
Diese Unterschiede beziehen sich z. B. auf das Inspirationsverständnis.
Gott hat seine Schrift als Offenbarung gesandt. Diesen Glauben teilen Christen
und Muslime. In der Frage, auf welche Weise Gott die Offenbarung
übermittelte, an wen er sein Wort ergehen ließ und wie er seine
Botschaft offenbart hat, gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen
zwischen Muslimen und Christen:
Es existieren zum einen äußerliche Unterschiede:
Muhammad wird als alleiniger Autor des Korans betrachtet. Der Koran umfaßt
einen Zeitraum von nur 22 Jahren (von etwa 610 n. Chr. bis zu Muhammads
plötzlichem, unerwarteten Tod im Jahr 632). Der Umfang des Korans
entspricht ungefähr dem des Neuen Testamentes. Damit ist der Koran
wesentlich kürzer als das Alte und Neue Testament zusammen. Die biblischen
Bücher haben dagegen eine Vielzahl von Autoren. Die biblischen Schriften
umfassen einen Zeitraum von mehreren Tausend Jahren, in deren Mitte stets
das Zeugnis von Jesus Christus steht, dem im Alten Testament prophezeiten
Erlöser, von dessen Kommen das Neue Testament berichtet.
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Inhaltliche Unterschiede
Weitere Unterschiede ergeben sich hinsichtlich des Geschichtsverständnisses
von Koran und Bibel: Die Bibel berichtet von Gottes Geschichte mit den
Menschen. Sie entfaltet Geschichte progressiv von der Schöpfung bis
zur Offenbarung. Sie enthält aber auch Profangeschichte, sie nennt
konkrete Daten, Zahlen, Namen, Genealogien (Geschlechtsregister), die über
Verwandtschaftsgrade Auskunft geben. Diese Angaben scheinen uns heute kaum
von großer Bedeutung zu sein. Sie bringen jedoch zum Ausdruck, daß
die Bibel ein geschichtliches Dokument sein möchte und es auch ist.
Sie legt sich damit eindeutig fest, in welchem Jahr dieses oder jenes Ereignis
geschehen ist. Gerade heute bestätigt die Archäologie manche
dieser Daten, z. B. die Regierungszeiten und Reihenfolge der ägyptischen
Pharaonen. Auch die Qumranfunde bestätigen die biblische Überlieferung.
Es ist nicht verwunderlich, daß die Bibel auch ein Geschichtsbuch
sein will. Sie erzählt die Geschichte Gottes mit den Menschen, aber
sie nennt auch viele historische Daten der Profangeschichte.
Der Koran dagegen wirft eher ein Schlaglicht auf die
22 Jahre der Verkündigung Muhammads. Er richtet auf die Person und
Position Muhammads einen Scheinwerfer, die Zeit vor und nach ihm bleibt
recht dunkel. Die Geschichte vor Muhammad wird zwar angedeutet, aber sie
bleibt im großen und ganzen im Unpräzisen. Der Koran enthält
keine Chronologie, keine Daten zur Geschichte vor Muhammad. Der Koran deutet
viele Ereignisse nur an, wie z. B. daß vor Muhammad Propheten auftraten,
wie – aus muslimischer Sicht – z. B. Adam und Abraham, die den Islam verkündeten.
Der Koran sagt jedoch nichts darüber aus, in welchen Jahren oder Zeitabläufen
sie gelebt und gepredigt haben, in welche Abfolge sie auftraten und welche
profangeschichtlichen Ereignisse ihre Verkündigung begleiteten. Auch
die islamische Überlieferung ergänzt dazu nur sehr wenig. Man
könnte schlußfolgern, daß diese geschichtlichen Daten
für den Koran nicht nur nicht im Zentrum des Interesses stehen, sondern
scheinbar gar keine Bedeutung haben: Der Koran enthält überhaupt
keine historischen Daten und nennt nur sehr wenige Namen. Hinzu kommt,
daß die 114 Suren (die einzelnen Kapitel des Korans), nicht in einer
historischen Abfolge im Koran angeordnet sind.
Wer also die Bibel aufschlägt und im ersten Buch
Mose mit der Lektüre beginnt, erhält einen Überblick über
die Geschichte Gottes mit den Menschen bis zum Abschluß des Neuen
Testamentes. Es ist im großen und ganzen Geschichte in chronologischer
Abfolge, was im Koran nicht der Fall ist: Die einzelnen Suren sind nicht
in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Aber auch einzelne Suren enthalten
Teile aus der mekkanischen Zeit Muhammads, also den ersten zehn bis zwölf
Jahren seiner Verkündigung und aus seiner medinensischen Zeit, den
letzten zehn Jahren in Medina. In etlichen Suren sind eine Vielzahl von
Themen nacheinander angeordnet. Einigen Versen über das Lob des Schöpfergottes
folgen möglicherweise einige Verse zu Erbgesetzen, darauf folgt ein
weiterer Vers, der auf eine Schlacht anspielt, die Muhammad mit seinen
Feinden gekämpft hat. Dann folgen vielleicht einige Verse zu Abraham
oder Jesus, dann folgen Anweisungen zur Stellung der Frau. Es ergibt sich
keine historische Abfolge in dieser Anordnung, so daß man diese Texte
historisch nicht einfach zuordnen kann.
Natürlich hat die islamische Theologie definiert,
daß die Geschichte Adams, Abrahams, Jesu usw. vor Muhammad liegt,
aber es werden keinerlei Daten und keine Chronologie berichtet. Der Koran
richtet sein Interesse also schlaglichtartig auf die Person Muhammads.
Auch die Geschichte nach Muhammad wird im Koran nicht mehr behandelt. Nachdem
Muhammad unerwartet im Jahr 632 starb, führt der Koran die Geschichte
nach ihm nicht fort. Sie ist in Form von Profangeschichte natürlich
fortgeführt worden und berichtet von Muhammads Nachfolgern, den Kalifen.
Der Koran bricht jedoch mit dem Tod Muhammads ab. Und selbst zur Koranredaktion
(der Zusammenstellung des Korantextes, so wie er uns heute vorliegt), existieren
etliche voneinander abweichende Auffassungen. Es sind noch längst
nicht alle Fragen geklärt, die dazu offen sind.
Ein weiterer Unterschied zwischen Bibel und Koran liegt
darin, daß der Koran die Länder, Sprachen und Völker außerhalb
der Arabischen Halbinsel offensichtlich nicht im Blickpunkt seines Interesses
hat. Er benennt zwar Juden und Christen (und darüber hinaus vielleicht
noch ein oder zwei weitere Randgruppen), und im Mittelpunkt seines Interesses
stehen die Araber. Die Welt als Ganzes hat er jedoch nicht im Blick. Christen
und Nichtmuslime würden sagen, der Koran ist nie als Buch mit weltumspannender
Bedeutung und Ausrichtung entworfen worden. Die Bibel dagegen spricht von
Anfang an von der Welt der Völker, von allen Menschen, allen Sprachen,
die – wie die Offenbarung berichtet - am Ende der Zeiten vor Gottes Thron
Gott in allen Sprachen (allen Zungen) anbeten werden. Sie werden aus allen
Nationen kommen und aus allen Stämmen. Die Bibel hat die Welt der
Völker von Anfang bis Ende im Blick.
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Die Art und Weise der Offenbarung
Weitere Unterschiede zwischen Bibel und Koran betreffen
die Art und Weise der Offenbarung. Die islamische Theologie hat stets betont,
daß Muhammads Persönlichkeit und seine eigene Geschichte für
die Offenbarung des Islam eigentlich keine Rolle gespielt haben und daß
seine Persönlichkeit beim Vorgang der Offenbarung gewissermaßen
ausgeschaltet war. Auch dadurch wird aus muslimischer Sicht die Echtheit
des Korantextes, die wortwörtliche Überlieferung mittels des
Engels Gabriels garantiert. Ja, die islamische Theologie ist der Auffassung,
daß Muhammad Analphabet war und deshalb das Wunder des Korans als
solches um so größer ist. Alle Propheten im Koran zeichnen sich
durch ein sog. „Beglaubigungswunder“ aus, ein Wunder, mit dem ihre Sendung
beglaubigt wird. Der Koran berichtet, daß Muhammad zu diesem Wunder
herausgefordert wurde, aber dies ablehnte und betonte, er sei nur ein Mensch.
Der islamischen Theologie gilt der Koran selbst als Muhammads Beglaubigungswunder.
Der Koran berichtet kaum etwas von Muhammads Persönlichkeit.
Die islamische Überlieferung füllt diese Lücke in gewisser
Hinsicht und berichtet von seinen Vorlieben, Abneigungen von Urteilen,
die er in bestimmten Fragen gesprochen hat. Im Korantext selbst steht Muhammads
Persönlichkeit jedoch in keiner Weise im Blickfeld des Geschehens.
In den biblischen Büchern dagegen treten die Persönlichkeiten
der einzelnen Menschen oft überdeutlich hervor: wir lesen vom Zorn
des Mose, vom Versagen des Petrus, von Neid und Eifersucht, von Familiendramen
bis hin zu Mord und Totschlag, von Verleugnung, von falschen Gerüchten,
von Depressionen der Propheten, von der Verzweiflung des Hiob u. a. m.
Die Bibel berichtet ungeschminkt über viele menschliche Schwächen,
die manchmal eine Katastrophe herbeiführen. Daher sind die Figuren
oft zum Greifen nahe, lebendig, menschlich und ihr Handeln nachvollziehbar.
Der Koran – und auch das ist ein wichtiger Unterschied
zwischen Koran und Bibel – ist auf arabisch offenbart worden. Er betont
selbst, daß dies kein Zufall war, sondern ein wichtiger Umstand,
da Gott am Ende der Zeiten einen Propheten zu den Arabern gesandt hat.
Ein Koran im eigentlichen Sinn ist immer nur ein Text auf arabisch. Es
hat aufgrund des islamischen Dogmas von der „Unnachahmlichkeit des Korans“
jahrhundertelang keine Übersetzungen gegeben. Eine Übersetzung
gilt im eigentlichen Sinne nicht mehr als Koran, sondern nur noch als dessen
ungefähre Bedeutung. Auch die Verehrung Gottes findet im Islam in
vollgültiger Weise nur auf arabisch statt. Inzwischen existieren Übersetzungen
und vereinzelt wurde und wird auch auf türkisch und in anderen Sprachen
gebetet. Von diesen Ausnahmen abgesehen findet jedoch im großen und
ganzen die Gottesverehrung im Islam (vor allem das rituelle Gebet), weltweit
auf arabisch statt. Dies ist der Fall, obwohl von 1,2 Milliarden Muslimen
vielleicht nur rund 250 Millionen Menschen Arabisch als Muttersprache sprechen.
Alle anderen Muslime erlernen Arabisch, zumindest soweit, wie es für
die Gebete und religiösen Formeln zum Fasten, zur Pilgerfahrt und
zu anderen rituellen Handlungen erforderlich ist. Die vollgültige
Gottesverehrung findet also eigentlich auf nur Arabisch statt. Und auch
im Fastenmonat Ramadan, in dem viele Muslime den Koran in 30 Abschnitten
rezitieren, ist es selbstverständlich, daß diese Rezitation
auf Arabisch vonstatten geht. Die arabische Stadt Mekka ist die heiligste
Stadt des Islam. In Richtung auf Mekka wird beim rituellen Gebet von allen
Muslimen weltweit gebetet.
Aus den biblischen Berichten und der christlichen Tradition
wird deutlich, daß die Sprache der Offenbarung (das Griechische,
Hebräische und Aramäische), für die Offenbarung keine Rolle
spielt. Im Gegenteil, es wird der Gedanke verworfen, daß nur ein
Gebet in eine bestimmte Richtung oder in einer bestimmten Sprache geboten
wäre. Nein, jede Sprache ist vor Gott eine vollgültige Sprache
und jedes Gebet in dieser Sprache ist ein gültiges oder zulässiges
Gebet. Diese Bejahung der Sprachenvielfalt kommt nicht zuletzt auch in
der ungeheuer großen Zahl der Bibelübersetzungen zum Ausdruck,
die bis heute erstellt werden, damit Menschen das Wort Gottes in ihrer
eigenen Sprache lesen können. Niemand muß nach christlicher
Auffassung Griechisch oder Hebräisch erlernen, um Christ werden oder
Gott verehren zu können.
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Hat Gott sich selbst offenbart?
Zum Schluß möchte ich aber noch auf eine Frage
eingehen, die von zentraler Bedeutung ist, nämlich die Frage, wie
sich Gott denn eigentlich offenbart. Auf welche Weise tritt er aus der
Transzendenz heraus? Wie kommt er vom Jenseits ins Diesseits, den Bereich
des Menschen?
Nun, im Koran bzw. im Islam offenbart sich Gott selbst
eigentlich gar nicht. Gott ist ein Geheimnis, so lehrt es die islamische
Theologie. Er ist von der Schöpfung getrennt. `Schleier umgeben ihn`,
so hat die Philosophie formuliert. Er existiert in einem Raum, zu dem der
Mensch keinen Zutritt hat. Der Mensch kann von sich aus keine Verbindung
zu Gott herstellen. Es existiert keine Brücke zwischen Schöpfer
und Geschöpf. Auch seine Offenbarung sendet Gott dem Menschen nicht
direkt, sondern mittels des Engels Gabriel. Die Überlieferung beschreibt
es so, daß Gott hinter einem Vorhang spricht, den der Mensch von
seiner Seite aus nicht durchdringen kann. Er kann Gott nicht erkennen,
er kann Gott nicht erfassen und nicht verstehen. Er hat von sich aus keinen
Zugang zu ihm. Der Koran bezeugt, daß sich niemand Gott nähern
kann „außer als Sklave“ (oder als Diener), als einer, der sich ihm
unterwirft. Genau das bedeutet ja der Begriff „Islam“: Hingabe, völlige
Unterwerfung unter Gott und seinen Willen, wie er ihn im Koran mitgeteilt
hat.
Gott ist also nach islamischem Offenbarungsverständnis
aus dem Schleier der Verborgenheit nie herausgetreten. Er hat zwar seine
Botschaft übermittelt, er sendet den Menschen Zeichen (z. B. mit seiner
Schöpfung). Der Koran ist der Auffassung, daß jeder Mensch Gott
an der Schöpfung erkennen kann. Aber von sich selbst und seinem Wesen
hat er nichts übermittelt.
Dagegen beschreibt die Bibel im Alten wie im Neuen Testament,
daß Gott sich selbst geoffenbart hat. „Ich bin der ich bin“ ist nicht
eine zufällige, austauschbare Formel, sondern bezeichnet Gottes Selbstoffenbarung.
Diese Offenbarung setzt sich im Laufe der Geschichte fort. Gott teilt seinen
Propheten fortlaufend Offenbarungsinhalte mit, bis er sich in vollkommenster
Weise am Ende der Zeiten in Jesus Christus offenbart. Damit wird er für
den Menschen greifbar: In Jesus teilt er ihnen mit: hier könnt ihr
mein Wesen und Handeln erkennen. Die biblische Offenbarung schreitet also
fort, es bleibt nicht bei diesem „Ich bin der ich bin“. Gottes Wesen kann
erfahren und erfaßt werden.
Zwar kann der Mensch auch nach christlicher Auffassung
nicht von sich aus zu Gott kommen. Aber Gott - und das ist ja gerade die
Botschaft des Evangeliums - ist zum Menschen gekommen. Er hat die fehlende
Brücke geschlagen. Er hat von sich aus den Schritt auf die menschliche
Ebene gemacht, das wird im Neuen Testament beschrieben, bezeugt, erklärt
und in vielen Bildern und Gleichnissen beschrieben. So sagt etwa der Schreiber
des Hebräerbriefes über Jesus Christus: „Er schämt sich
nicht, sie (die Menschen) Brüder zu nennen.“ An anderer Stelle werden
Christen „Freunde“ Gottes genannt. Gott stellt von sich aus eine gemeinsame
Ebene mit dem Menschen her.
Aus diesem Unterschied - daß im Islam Gott sich
eigentlich selbst nicht offenbart hat und im Christentum gerade darauf
das Hauptgewicht liegt – ergeben sich Konsequenzen: So etwa die, daß
im Islam das einzelne Koranexemplar geradezu eine kultische Verehrung erfährt.
Von Gott ist außer seiner Botschaft und den Zeichen wie der Schöpfung
- nichts bekannt geworden. Nur im Koran kann der Mensch seinen Willen
erfahren. Von sich selbst, seiner eigenen „Person“ (dieser Begriff ist
für den Islam eigentlich nicht zutreffend) hat Gott nichts mitgeteilt.
Er tritt aus seiner Verborgenheit und Transzendenz nicht heraus. So wird
das einzelne Koranexemplar - vielleicht könnte man sagen, als das,
was der Mensch von Gott übermittelt bekam – sehr verehrt.
Man darf einen Koran nur im Zustand der Reinheit berühren
und benutzen. Den Koran zu lesen, gilt als verdienstvolles Werk vor Gott.
Den Koran zu beschmutzen oder zu zerreißen oder despektierlich zu
behandeln, gilt als Sünde, bzw. in einigen Ländern auch als Verbrechen,
das z. B. das pakistanische Strafgesetzbuch mit lebenslanger Gefängnisstrafe
bedroht. Im Volksislam wird der Koran auch für magische Rituale benutzt.
Und in der Theologie gilt seine Rezitation, die Wiederholung seiner Worte,
das Auswendiglernen (nicht dagegen unbedingt das Verständnis des Textes)
als verdienstvolles Werk, das angenehm vor Gott macht. Und in vielen theologischen
Hochschulen wird gerade dieses Auswendiglernen, das sich Aneignen dieses
Textes, sehr geübt und zur hohen Kunst perfektioniert. Der Koran selbst
als solcher ist ein heiliges Buch, aber nur in seiner arabischen Form,
in einer statischen Art und Weise sozusagen.
Dagegen betont die Bibel von der ersten bis zur letzten
Seite, daß das Wort Gottes lebendig ist, daß Gott sein Wort
sendet und daß es Menschen verändert. Es hat Kraft, es richtet
etwas aus, es setzt Menschen und Dinge in Bewegung. Diese Kraft zieht Kreise
in der Familie, die nach christlichen Maßstäben lebt, sowie
in einer christlichen Gemeinde, die nicht nach denselben Maßstäben
leben soll wie Menschen, die Gott nicht in ihr Leben mit einbeziehen. Das
alles ist nur möglich, wenn das Wort Gottes Kraft hat. Wenn das biblische
Gedankengut nur eine gute Idee ist, ein theoretisches Gedankengebäude,
wird es nicht möglich sein, wirkliche Veränderung in Gang zu
setzen und zu spüren.
Eine Konsequenz aus dem unterschiedlichen Schriftverständnis,
die mir von noch größerer Bedeutung zu sein scheint, ist die
Frage nach der Gewißheit des Glaubens und der Gewißheit der
Erlösung und Befreiung von Sünde. Denn im Islam ist unbestritten,
daß ein unumschränkter, souveräner Gott, der allmächtig
ist, dessen Entscheidungen man nicht vorhersehen und nicht beschreiben
kann, weil man als Mensch nicht dazu berufen ist, sie zu verstehen, sich
nicht auf seine letztgültige Entscheidung über einen Menschen
festlegt. D. h., daß sich niemand vor seinem Tod sicher sein kann,
ob er Vergebung und Erlösung erreichen wird, ob Gott ihm als Sünder
gnädig sein wird. Gott bleibt die Freiheit, sich im Gericht auch anders
zu entscheiden, er legt sich vorher nicht fest.
Erst vor kurzem bestätigte bei einer Moscheeführung
ein junger Mann auf die Frage, ob er sich über seinen Eingang ins
Paradies sicher sein könne, daß er darüber keine Gewißheit
habe. Er hoffe zwar auf Gottes Gnade, aber er wisse nicht, ob Gott sich
für ihn entscheiden werde. Er wisse nicht, ob seine guten Werke seine
bösen überwiegen werden und ob sein Glaube vor Gott ausreichen
werde.
Gott läßt sich also im Islam nicht auf ein
vorhersagbares Handeln oder auf einen bestimmten Ausgang der Geschichte
mit dem Menschen festlegen. Demgegenüber legt die Bibel von Anfang
an großes Gewicht auf Gottes Verläßlichkeit und Treue.
Die Bibel berichtet zwar auch von einem allmächtigen Gott, der unumschränkt
herrscht, dem niemand etwas vorzuschreiben hat, aber doch von einem Gott,
der sich selbst beschränkt und selbst festgelegt hat. Er schwört
bei sich selbst und sagt zu, was er ganz gewiß tun wird. Er gibt
Versprechen, er gibt Verheißungen, er schwört bei sich selbst,
daß er verläßlich und treu ist. Und diese Treue bedingt,
daß auch Menschen treu und verläßlich sein sollen. Das
Neue Testament fordert zur Wahrhaftigkeit heraus („Euer Ja sei ein Ja,
euer Nein ein Nein“). Gottes Treue ist im Alten wie im Neuen Testament
ein ganz zentraler Punkt. Meiner Meinung sollten Christen und Muslime gerade
über diesen Punkt der Gewißheit des Glaubens mehr ins Gespräch
kommen: Über Gottes verändernde Kraft und seine Vergebung, sein
Wesen, das er nach christlichem Verständnis offenbart hat, auf welche
Weise er sich offenbart hat, wie er heute mit Menschen handelt und gerade
dem auch Hoffnung und Trost gibt, der in einer verzweifelten Situation
ist und diese Kraft Gottes in seinem Leben spüren möchte. Von
dieser Erfahrung der lebendigen Hoffnung und der Kraft Gottes in Jesus
Christus wünsche ich mir, daß sie in unserer Umgebung sichtbar
wird und noch mehr auf andere Menschen ausstrahlen kann.
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