Zu Anfang
der 90er Jahre entbrannte die Debatte um eine Anerkennung der Homosexualität
in der evangelischen Kirche in Deutschland. Die Ursprünge
dieser Entwicklung begannen schon etliche Jahre zuvor in den USA. In Deutschland
wurde sie massiv vorangetrieben durch die Evangelischen Kirchentage und
das Auftreten der Gruppe „Homosexuelle und Kirche“, die dort auf steigende
Sympathie und weitgehende Förderung rechnen durfte.
Die kirchliche Entwicklung
passte sich, was etliche Verantwortliche auch ausdrücklich so wollten,
dem gesellschaftlichen Trend an. Im Zuge der Revolution der „68er-Generation“
wurden die Werte von Ehe und Familie relativiert und die sexuelle Freizügigkeit
in jeder Hinsicht propagiert. Ein Ziel unter mehreren war die gesellschaftliche
und kirchliche Anerkennung homosexueller Praxis.
Die rheinische Kirche
tat sich aufgrund der Aktivität ihres Theologischen Ausschusses als
besonders „fortschrittlich“ hervor mit ihrer Handreichung „Homosexuelle
Liebe“ aus dem Jahr 1992. Darin wurden die Gemeinden zum Umdenken und zur
Anerkennung „echter“ und „liebevoller“ Homosexualität aufgerufen.
Ausdruck solch einer Anerkennung sollte eine gottesdienstliche Segnung
gleichgeschlechtlicher Paare sein.
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Ein Jahr später
kamen Vertreter fast aller im Rheinland existierender pietistischen, evangelikalen
und konservativen Gruppen zusammen und formulierten die "Bonner Erklärung“,
die 1994 veröffentlicht wurde. In ihr lehnten sie aufgrund des klaren
Befundes in der Heiligen Schrift die Anerkennung bzw. kirchliche Segnung
homosexueller Beziehungen eindeutig ab. Sie stellten fest: Gott liebt den
Sünder, den homosexuellen genauso wie jeden anderen, aber er wehrt
durch sein Wort der Sünde.
In den Leitungsgremien
der rheinischen Kirche fanden die Gruppen der „Bonner Erklärung“ kein
Gehör. Die Landessynode der rheinischen Kirche ging 1996 auf dem oben
beschriebenen Weg mit noch mehr Nachdruck weiter durch eine weitere Handreichung
für die Gemeinden „Sexualität und Lebensformen sowie Trauung
und Segnung“ (SuLTuS). Ihr folgte im selben Jahr die „Zweite Bonner Erklärung“
mit dem Blick auf Ehe und Familie als deutliche Bekräftigung der ersten
„Bonner Erklärung“.
Allerdings war die
Koalition der oppositionellen „bekennenden“ Gruppen nicht mehr so geschlossen
wie zu Beginn: Einige Gemeinschaftsverbände und der CVJM-Westbund
bevorzugten eigene Stellungnahmen gegenüber der Kirchenleitung, inhaltlich
ähnlich wie die Aussagen der Gruppen der „Bonner Erklärung“,
in der Form zurückhaltender formuliert.
Mit dem SuLTuS-Papier
sollten sich nach dem Wunsch der Kirchenleitung die Gemeinden und Kirchenkreise
befassen. Unzählige Arbeitsstunden in Presbyterien, Gemeindegruppen,
Gemeindeversammlungen und Kreissynoden wurden mit diesem in weiten Teilen
extrem einseitigen, sachlich falschen und theologisch erschreckend niveaulosen
Papier verbracht. Unfriede und Streit waren in vielen Gemeinden das Ergebnis,
ebenso wie Kirchenaustritte und tiefe Enttäuschungen engagierter Mitarbeiter,
denn mancherorts wurde mit massivem Druck und einseitiger Manipulation
versucht, das gewünschte Beratungsergebnis „Pro Segnung“ zu erzielen.
Im Ergebnis lähmten
die offiziellen Papiere der Kirchenleitung den gebotenen Gemeindeaufbau
und förderten vielfach einen Gemeindeabbau. Missionarische Initiativen
kamen gar nicht erst zustande, wo man Konfrontationen über Homosexualität
austrug.
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Bemerkenswert ist,
daß die Theologischen Fakultäten im Bereich der rheinischen
Kirche dem SuLTuS-Papier ein vernichtendes Zeugnis ausstellten, vor allem
die Bonner Fakultät. Durch ausführliche schriftliche Gutachten
wurde die Haltlosigkeit zentraler Aussagen durch die Theologieprofessoren
dargelegt und begründet. Einen spürbaren
Einfluß auf das Vorgehen der kirchenleitenden Gremien und der Landessynode
hatten diese Gutachten nicht.
Nach einigen Jahren
verschwand der SuLTuS-Text in den kirchlichen Aktenschränken, aber
die Absicht der Segnungsgottesdienste wurde weiter vorangetrieben.
Daran änderte
auch das Ergebnis der erbetenen Rückmeldungen der rheinischen Kirchengemeinden
nichts: Mehr als die Hälfte antwortete gar nicht und wollte sich offenbar
mit dem Thema nicht befassen. Eine Minderheit der sich äußernden
Gemeinden (22%) befürwortete eine Segnung, eine Mehrheit (32%) lehnte
sie ausdrücklich ab, und der Rest sah sich zu einer Festlegung nicht
in der Lage.
Auch die Evangelische
Kirche in Deutschland (EKD) meldete sich zu Wort, auf den ersten Blick
deutlich gemäßigter als die rheinischen Papiere. Doch mit ihrer
Stellungnahme „Mit Spannungen leben“ aus dem Jahr 1996 empfahl auch die
EKD trotz des zugestandenen eindeutigen ablehnenden Befundes in der Bibel,
homosexuelle Beziehungen nach dem „Liebesgebot“ Jesu auszurichten und diese
in der Kirche zu akzeptieren. Eigene Segnungsgottesdienste sollten aber
nicht eingeführt werden.
Die rheinische Landessynode
fand einen vorläufigen Abschluß der jahrelangen Diskussionen
im Januar 2000, als sie per Beschluß den Gemeinden freistellte, homosexuelle
Paare „gottesdienstlich zu begleiten“ und somit auch als ebensolche Paare
zu segnen.
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Die rheinische Kirche
drückt mit ihrem Beschluß eine grundsätzliche Bejahung
homosexueller Praxis und Partnerschaft aus. Damit steht sie gegen
die eindeutigen Aussagen der Heiligen Schrift und rechtfertigt die Sünde,
statt die Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben an Christus
zu verkünden. Sünder werden dadurch in ihrer Gottesferne bestärkt
und belassen ( vgl. 1. Korinther 6, 9!). Ohne mit der Wimper zu zucken
und gegen alle Mahnungen und Warnungen setzt sich die rheinische Landessynode
damit über ihre eigene Kirchenordnung hinweg, wo es im Grundartikel
heißt: Die Heilige Schrift ist „alleinige Quelle und Richtschnur
des Glaubens, der Lehre und des Lebens“.
Einige Monate nach
der Landessynode veröffentlichte die Kirchenleitung „Liturgische Bausteine“
für eine „gottesdienstliche Begleitung gleichgeschlechtlicher Paare“.
Darin wurden Texte, Gebete und Lieder vorgeschlagen. U.a. soll bzw. kann
für das homosexuelle Paar „in einer verbindlichen Lebensgemeinschaft“
gebetet und Gottes Segen ihrer Verbindung ausdrücklich zugesprochen
werden.
Präses Kock versuchte
in einem Brief an alle Gemeinden und Einrichtungen der rheinischen Kirche
abzuwiegeln mit dem Hinweis, es handele sich bei der beschlossenen „gottesdienstlichen
Begleitung“ nicht um eine Amtshandlung und nicht um eine Trauung. Pfarrer
und Gemeinden würden nicht gezwungen. Man solle trotz unterschiedlicher
Auffassungen in dieser ethischen Frage als Kirche im Glauben an Jesus Christus
beieinander bleiben.
Wenig überzeugend
wirken solche kirchenleitenden Windungen. Denn selbstverständlich
ist in einem weiten Sinn alles, was in der Kirche „von Amts wegen“ geschieht,
auch eine Amtshandlung, und selbstverständlich ist ein gemeinsamer
Glaube an Christus aufgehoben, wenn die Grundlage, nämlich das klare
Zeugnis der Bibel, als unerheblich erklärt wird.
Daß nur ein verschwindend
geringer Teil homosexuell empfindender Menschen von der Möglichkeit
einer „gottesdienstlichen Begleitung“ und Segnung Gebrauch macht, spielt
für die Sache selbst keine Rolle mehr. Der Kirchenleitung sind in
den ersten eineinhalb Jahren nach dem Beschluß noch keine zehn Gottesdienste
dieser Art offiziell bekannt geworden.
Aber darauf kommt
es der Segnungs-Lobby nicht an. Entscheidend ist der Durchbruch nach der
nordelbischen auch in der rheinischen Kirche, ein Durchbruch durch den
Maßstab der Schrift und durch eine 2000jährige christliche Tradition
für eine Relativierung von Ehe und Familie und eine sexuelle Beliebigkeit,
nun auch mit kirchlichem, allerdings nur evangelischem, Segen.
Der Staat konnte vor
diesem Hintergrund problemlos seinen Part erfüllen: Im Sommer des
Jahres 2002 löste die rot-grüne Bundesregierung ihr Wahlversprechen
ein und legte ein Gesetz zur rechtlichen Anerkennung „Eingetragener Lebenspartnerschaften“
vor.
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Weder die EKD als
ganze noch Präses Kock als Ratsvorsitzender sind dazu in der Lage,
die Bundesregierung glaubwürdig vor den Folgen ihres Tuns zu warnen.
Sie haben selbst indirekt dazu beigetragen, daß homosexuelle Verbindungen
in einem stetigen Prozeß der Ehe gleichgestellt werden.
Wie viele Menschen aufgrund
der geschilderten Entwicklung aus der Kirche ausgetreten sind, läßt
sich nicht abschätzen. Zu vermuten ist eine Art „innere Emigration“
von biblisch orientierten Christen aus Gemeinden und Gruppen, die solche
Segnungsgottesdienste befürworten. Nur wenige stellen sich und kämpfen
für die Geltung der biblischen Maßstäbe. Viele bürgerlich
geprägte evangelische Christen ziehen sich resignierend zurück,
manche gehen zu Freikirchen oder landeskirchlichen Gemeinschaften und hoffen,
dort von Debatten dieser Art verschont zu bleiben.
Die Gruppen der „Bonner
Erklärung“ haben sich von 1993 bis 2000 mit begrenzten Kräften
intensiv bemüht, die Verantwortlichen in der rheinischen Kirche und
in den Gemeinden zur biblisch begründeten theologischen Vernunft zu
rufen. Dies geschah durch viele Briefe und Gespräche, öffentliche
Podiumsdiskussionen, Flugblätter, Broschüren und ausführliche
Textsammlungen, durch Gespräche mit Vertretern der Kirchenleitung
und des Theologischen Ausschusses, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen
vor der Landessynode und manches andere mehr.
Fazit: Die Entwicklung
wurde nur verzögert, vielleicht etwas abgeschwächt, aber nicht
aufgehalten. Manche in der Kirche wurden nachdenklich, vielen war die Debatte
unangenehm, etliche in den Gemeinden empfanden Ärger über diese
Vergeudung von Kräften, aber die Mehrheiten in den entscheidenden
Gremien schienen fest betoniert zu sein und ließen sich nicht durch
begründete Argumente vom Ziel einer kirchlichen Anerkennung homosexueller
Praxis abhalten.
Pfarrer Wolfgang Sickinger, Mülheim an der Ruhr, Sprecher der Gruppen der „Bonner Erklärung“, Januar 2003