Die fast
gleichzeitige Entzifferung des menschlichen Genoms durch das internationale
"Human Genom Project"(HUGO) und die amerikanische Firma "Celera Genomics"(Craig
Venter) im Sommer 2000 hat weltweit eine große bioethische Diskussion
ausgelöst. Die mit der Genmanipulation von Pflanzen und Tieren verbundenen
Fragen kehren hier zugespitzt wieder. Das reproduktive Klonen von Menschen
anstelle der familiärem Fortpflanzung, Designerbabies von Samenbanken,
Brutkastenschwangerschaften, Kinder nach Katalog, der Mensch als Dutzendware,
das Arbeitsheer Millionen gleichgezüchteter, entmündigter "Homunkulusse",
wie Goethe sie im "Faust" bereits sah, wird von allen Kulturen und Religionen
der Welt, von UNESCO und Europarat, als der Menschenwürde widersprechend
abgelehnt. Wie das Beispiel der eineiigen Zwillinge zeigt, ist der Mensch
auch mehr als die Summe seiner Gene. Unsere Individualität bildet
sich in einem lebenslangen Prozeß der Wechselwirkung von Erbanlagen,
Erziehung, Umwelt, Erfahrungen und Entscheidungen heraus. Wenn 98,4% unseres
Genoms mit dem des Schimpansen identisch sind, ist das Menschsein des Menschen
weder genetisch determiniert noch biologistisch reduzierbar.
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Die medizinische
Forschung hat schnell die neuen Möglichkeiten der Heilung von Erbkrankheiten
erkannt. Die seltenen, ca.7.000 Mendelschen Krankheiten, die auf einem
einzigen defekten Gen beruhen (Mukoviszidose, Chorea Huntington, Phenylketonurie
u.a.), könnten vielleicht durch einen gezielten Eingriff in die Keimbahn
aus der Welt geschafft werden. Bei den Volkskrankheiten Diabetes, Krebs,
Alzeimer, Parkinson, Ostereoperose, Arteriosklerose, die auf eine genetische
Disposition zurückgeführt werden, hängen Ausbruch und Verlauf
neben dem Zusammenspiel vieler Gene noch von weiteren, z.T. unbekannten
Faktoren ab. Ihre Gentherapie wäre hochkompliziert und wohl niemals
ohne anderweitige Schäden durchführbar. Stattdessen könnten
die Injektion oder Implantation von Stammzellen bzw. Ersatzgewebe hier
Heilungschancen eröffnen. Da fremdes Gewebe jedoch von der körpereigenen
Immunabwehr abgestoßen wird, will man - nach dem sog. Dolly-Verfahren
- Embryonen mit dem Genom des jeweiligen Patienten klonen und als Stammzellenlieferanten
nutzen. Das britische Unterhaus hat am 19.12.2000 das therapeutische Klonen
von Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrigbleiben,
freigegeben. Aber darf man eine befruchtete Eizelle, die sich zu einem
Menschen entwickeln könnte, als Ersatzteillager oder Organspender
ausschlachten? Der amerikanische Präsident Bush hat deshalb am 9.8.2001
nach reiflicher Überlegung entschieden, staatliche Fördermittel
nur für die Forschung an schon getöteten, nicht aber für
noch lebende Zygoten zu vergeben. Weltweit soll bereits an 10 verschiedenen
Instituten mit 64 menschliche Zelllinien experimentiert werden.1 In Deutschland
ist durch das Embryonenschutzgesetz von 1990 (ESchG) nicht nur das Klonen
von Menschen und Eingreifen in die menschliche Keimbahn, sondern auch jegliche
Erzeugung und Verwendung von Embryonen außer zum Zweck der Herbeiführung
einer Schwangerschaft verboten. Dennoch soll es auch bei uns 71 tiefgefrorene,
sog. "überzählige" Embryonen geben, die aus irgendeinem Grund
nicht ihrer "Mutter" eingepflanzt werden konnten.2 Die Deutsche Forschungsgemeinschaft
(DFG) empfahl am 11.5.2001, die Forschung an solchen überzähligen
Embryonen für hochrangige Therapieziele freizugeben. In Politik und
Öffentlichkeit ist seither ein lebhafter Streit um die Zulässigkeit
solcher verbrauchender Embryonenforschung entbrannt. Heftig umstritten
ist auch die pränatale Diagnostik von Embryonen im Mutterleib, die
in mehr als 90% der Fälle, in denen ein Gendefekt festgestellt wird,
zur Abtreibung führt, bei Down-Syndrom (Mongoloismus) sogar in 95%.
Behinderte Kinder haben praktisch kein Lebensrecht mehr! Noch schlimmer
wäre die - vom Embryonenschutzgesetz nicht erlaubte - Präimplantationsdiagnostik
bei künstlich befruchteten Zygoten, die erst einen Gencheck bestehen
müßten, bevor sie in den Mutterleib eingepflanzt würden,
bzw. bei Nichtbestehen verworfen würden; nach Ansicht von Justizministerin
Däubler-Gmelin "Selektion pur".
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II
Für
die ethische Beurteilung dieser Embryonenexperimente ist die Frage grundlegend:
Wann beginnt überhaupt menschliches Leben? Von welchem Zeitpunkt an
kommt ihm menschliche Würde zu? Hier werden die verschiedensten biologischen
Termine genannt:
- Die
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, bei der ein neues, einmaliges, individuelles
Genom entsteht.
- Das
Acht-Zellen-Stadium, ab dem die bis dahin totipotenten Zellen, aus denen
je ein vollständiger Mensch entstehen könnte (Mehrlinge), durch
weitere Zellteilung in spezialisierte Körperzellen übergehen
(Präembryo?).
- Die Nidation
in die Gebärmutter, mit der nach ca.14 Tagen die Schwangerschaftssymbiose
von Mutter und Kind einsetzt.
- Die Herausbildung
einer erkennbaren menschlichen Gestalt aus dem Zellgewebe der Zygote in
der 4.-6.Woche.
- Die Entwicklung
von Nerven, Schmerzempfinden und Gehirn ab der 7.Woche ("70.Tag").
- Die ersten
spürbaren Bewegungen des Fötus im Mutterleib in der 16.-18.Schwangerschaftswoche.
- Die Geburt,
bei der das Kind aus dem Mutterleib in die Welt hinaustritt.
- Das Erwachen
des spezifisch menschlichen Bewußtseins und Selbstbewußtseins,
wenn das Kind im Alter von 2-3 Jahren das erste Mal "ich" sagt.
Gegenüber
der alten, auf Aristoteles zurückgehenden Theorie der Sukzessivbeseelung
des Embryos (1.vegetative, 2.sensitive, 3.rationale Seele), die zuletzt
von namhaften Theologen wie Karl Rahner, Franz Böckle oder Richard
Schröder vertreten wurde, hat die moderne embryologische Forschung
gezeigt, daß sich das Kind im Mutterleib seit der Verschmelzung von
Ei- und Samenzelle kontinuierlich entwickelt. Ein qualitativer Sprung,
mit dem das Menschsein erst später einsetzen würde, ist nicht
erkennbar. Eine spätere ethische Grenzziehung ist daher naturrechtlich
nicht begründbar und willkürliche Setzung. "Der Mensch wird nicht
Mensch, sondern ist Mensch. Er entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern
als Mensch."3 Gerade das uns von den übrigen Lebewesen unterscheidende,
spezifisch menschliche, geistige Vermögen ist bereits in dem individuellen
menschlichen Genom angelegt. Unbeschadet seiner Angewiesenheit auf den
nährenden und schützenden Mutterleib liegt hier "eine funktionelle,
sich selbst organisierende und differenzierende Einheit", ein "dynamisches
und autonomes 'System'"4, ein vollständig programmierter, sich selbst
steuernder Lebensprozeß, eine genetische Identität, eine einzigartige,
unersetzliche menschliche Existenz vor. Egal ob durch Zeugung, In-vitro-Fertilisation
oder Klonierung entstanden, ist der Embryo naturwissenschaftlich betrachtet
ein Exemplar der Gattung Mensch und als solcher von Anfang an als Mensch
zu behandeln.
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III
Im Vorfeld
politischer Entscheidungen und rechtlicher Regelungen werden ethische Fragen
in unserer pluralistischen Gesellschaft von unterschiedlichen philosophischen,
religiösen und weltanschaulichen Standpunkten her beantwortet. Es
geht in der heutigen Bioethikdebatte jedoch nicht nur um Sachfragen sondern
um Lebensfragen, ja um das Menschsein des Menschen selbst. Schon die Diskussion
um die militärische und zivile Nutzung der Atomkraft hat gezeigt,
daß der neuzeitliche Mensch nicht mehr alles tun darf, was er kann.
Sind wir mit der Entschlüsselung unseres Erbguts nun in das "anthropotechnische
Zeitalter" eingetreten? Hat unsere Vernunft das Vermögen, "das Spiel
aktiv aufzugreifen" und "Regeln für den Menschenpark" bzw. einen "Codex
der Anthropotechniken" aufzustellen, wie Peter Sloterdijk in seiner Elmauer
Rede meinte?5 Oder gilt der skeptische Einwand Hans Blumenbergs6 "zu glauben,
mit der Vernunft stünde es so, daß man ihr jederzeit aus Vernunft
Einhalt gebieten könne", sei eine "Selbsttäuschung"? Wie weit
dürfen hier in einer Güterabwägung Chancen und Risiken,
Kosten und Nutzen, Vorteile und Nachteile gegeneinander aufgerechnet werden?
Wo stehen absolute Werte auf dem Spiel und sind insofern unbedingte, kategorische
Verbote auszusprechen und gesetzlich zu verankern? Die am größtmöglichen
Nutzen aller Menschen orientierte utilitaristische Ethik7 wägt das
Leben des Embryos gegen das Lebensinteresse Kranker ab, die durch embryonale
Stammzellen geheilt werden könnten. Sofern das ungeborene Leben noch
nicht über ein "aufgeklärtes Lebensinteresse" (Norbert Hoerster)
oder bewußte "Selbstachtung"(Staatsminister Nida-Rümelin) verfüge,
komme ihm weder Menschenwürde noch Lebensrecht zu. Zwischen "lebenswertem"
und "lebensunwertem" Dasein wird nach den Kriterien von "Schmerz" und "Wohlbefinden"
unterschieden. Selbst die Differenz von Mensch und Tier wird hier eingeebnet.
Das Leben eines gesunden Schimpansen gilt als wertvoller als das eines
geistesgestörten Menschen. Wer wie der Embryo oder der Demente noch
nicht oder nicht mehr über ein menschliches Bewußtsein zu verfügen
scheint, bekommt das Menschsein aberkannt. Ob Komapatienten oder Schlafende,
die kein aktuelles Bewußtsein haben, noch ein Lebensrecht genießen,
ist fraglich. Wie die Euthanasiedebatte zeigt, kann die utilitaristische
Ethik jedenfalls keinen unbedingten Schutz des menschlichen Lebens begründen.
Trotz aller Beschwörung des geistigen Wesens des Menschen ist ihr
Grundansatz materialistisch und mündet in das nackte "Recht des Stärkeren",
der seinen Lebenswillen auf Kosten des Schwächeren rücksichtslos
durchsetzt. Das ethische Dilemma zwischen "gutem" Heilen Kranker und "bösem"
Töten Ungeborener kann jedenfalls nicht so einfach aufgelöst
werden. Sowenig es ein Recht auf ein gesundes Kind gibt, sowenig einen
Anspruch auf Heilung um jeden Preis. Darf man um vager, zukünftiger
Heilungschancen willen heute einen Embryo, der sich zu einem normalen Menschen
entwickeln würde, opfern? Jens Reich hat zurecht bemerkt: "Ich kann
einen andern nicht heilen auf Kosten eines andern."8
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In ähnliche
Schwierigkeiten führt das "gradualistische Modell" einer "abgestuften
Schutzwürdigkeit" des ungeborenen Lebens, wie Andreas Beyer es am
18.3.2001 vor dem Lutherischen Konvent im Rheinland vertreten hat.9 Dieser
der Theorie der Sukzessivbeseelung verwandte Ansatz will dem Embryo in
dem Maße, wie er "im Laufe seiner Entwicklung langsam und Stück
für Stück Humanitas gewinnt", zunehmend Lebensrecht und Menschenwürde
zuerkennen. Die Zäsuren der "Menschwerdung" werden in der kontinuierlichen
Entwicklung allerdings willkürlich gesetzt. In seinem biologistischen
Reduktionismus übersieht dieses Modell, daß das Menschsein nicht
auf augenblickliche, sichtbare, meßbare Zustände verengt werden
darf, sondern als Leib-Seele-Einheit immer eine sichtbare und eine unsichtbare
Seite hat. Aus der Tatsache, daß ein Embryo sich noch nicht und ein
Dementer sich nicht mehr äußern kann, kann und darf nicht auf
das Nichtvorhandensein seiner Seele bzw. seines spezifisch menschlichen
Empfindens geschlossen werden. Zwischen sichtbarer Gestalt und unsichtbarem
Wesen des Menschen ist vielmehr stets, gerade bei einer Zygote und einem
Sterbenden, zu unterscheiden, und doch gehören beide aufgrund der
psychosomatischen Einheit unserer Existenz untrennbar zusammen. Weil wir
Menschen nicht nur Natur, sondern auch Geschichte haben, kann unser Dasein
nicht punktuell-statisch erfaßt, sondern muß dynamisch-geschichtlich,
in seiner zeitlichen Erstreckung gesehen werden. Der Mensch ist nicht nur
im Mutterleib, sondern von Anfang bis Ende, von der Zeugung bis zum Tod,
immer "im Werden", hat insofern nicht nur Gegenwart, sondern auch Vergangenheit
und Zukunft, nicht nur Aktualität, sondern auch Potentialität
und Historizität. Wie immer man über den Wert oder Unwert einer
bestimmten Lebensphase denken mag, als Menschen haben wir, auch als Ungeborene
und Sterbende, eine Würde, die uns von anderen Menschen nicht verliehen
noch genommen werden kann. So wie man noch dem toten Leichnam, der einmal
ein Mensch war, Pietät entgegenbringt, so hat bereits die befruchtete
Eizelle, um der menschlichen Zukunft willen, die in ihr lebt, unbedingte
Würde. Nur wenn diese Würde jedem Exemplar der Gattung Mensch,
jedem Mitglied der Gesellschaft von Anfang bis Ende, uneingeschränkt
gilt, nicht aufgrund bestimmter Zustände oder Leistungen, nicht aufgrund
gesellschaftlicher Zuschreibung oder Definition, sondern von Natur aus,
auch dem Behinderten, Kranken, Verbrecher, Sterbenden, jedem der menschliches
Antlitz trägt, einen menschlichen Leib10 hat und über ein menschliches
Genom verfügt, ist die Menschenwürde menschlicher Willkür
entzogen und wirklich "unantastbar".
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Philosophisch
ist diese Ethik der Menschenwürde am klarsten von Immanuel Kant formuliert
worden. Als vernünftiges, freies, sich Zwecke setzendes, seinen Willen
dem moralischen Gesetz unterwerfendes Wesen - "Handle so, daß die
Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könne!"(kategorischer Imperativ)11 - existiert
der Mensch "als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen
Gebrauch"12. Würde ein noch so kleiner Mensch wie der Embryo nach
der Keimzellenverschmelzung, womöglich nur zu diesem Zweck künstlich
hergestellt, als Mittel zur Therapie anderer Menschen mißbraucht,
würde seine Menschenwürde frevlerisch angetastet. Er würde
zum Objekt degradiert, instrumentalisiert, verdinglicht, verbracht, getötet.
Mit therapeutischem Klonen, verbrauchender Embryonenforschung und embryonaler
Stammzellentherapie ist man, etwa in England, "bei der Herstellung derer,
die nie geboren werden sollen, zur Erhaltung derer, die nie sterben wollen."13
Hier ist der Embryo nicht nur ein Versuchskaninchen, sondern wird in medizinischem
Kannibalismus massenweise verbraucht und auf den Altären von Fortschritt
und Gesundheit geopfert. In der Nachfolge Kants haben deshalb Reinhard
Löw, Robert Spaemann und Gerold Prauss darauf insistiert, daß
der Mensch "ganz natür- lich durch Vereinigung von Ei- und Samenzelle
entsteht"14, daß "die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch das einzige
zweifelsfreie Kriterium" des Menschseins ist15, daß der Embryo durch
sein spezifisch menschliches Genom zur Menschheit gehört, daß
ihm Lebensrecht und Menschenwürde insofern nicht erst von der Gesellschaft
zuerkannt werden - dann könnten sie ihm auch aberkannt werden - ,
sondern von Natur her eigen sind und als soche von anderen Menschen anerkannt
und respektiert werden müssen16. Angesichts der neuen Möglichkeiten
gentechnischer Manipulation des Menschen fordert Rüdiger Safranski
eine neue "Ehrfurcht vor dem Ungeheuren der Natur" sowie "ein Recht darauf,
geboren und nicht gemacht zu werden"17. Jürgen Habermas befürchtet
eine mit dem Willen zur "Selbstoptimierung" einhergehende "Selbstinstrumentalisierung"
und "Selbstverdinglichung" des Menschen. Die Freiheit und Gleichheit der
Menschen untereinander werde zerstört, das Verhältnis von Eltern
und Kindern in einer Art genetischem "Paternalismus" in das von "Designer
und Produkt" verkehrt, die bisher "unverfügbare natürliche Basis"
unseres Daseins, die an der "Differenz von Schöpfer und Geschöpf"
hängt, in eine soziale umfunktioniert.18 Angesichts der verschiedenen
philosophischen Positionen ist es jedoch fraglich, ob eine absolute Begründung
der Menschenwürde mit den Mitteln der säkularen Vernunft, ohne
den "Horizont der Transzendenz" und den Rückgang auf einen Schöpfergott,
überhaupt möglich und gesellschaftlich wirksam ist, ob der Mensch
nicht letztlich nur durch den Glauben an Gott vor seinesgleichen geschützt
werden kann.19 Der sich bisher zu den "religiös Unmusikalischen" zählende
Habermas hat diese Frage jedenfalls in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises
des Deutschen Buchhandels jüngst unüberhörbar gestellt.
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IV
Nach dem
geltenden Recht und der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVG)
kommt auch dem Embryo von Anfang an das Recht auf Leben und die Menschenwürde
zu: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."(Art.1,1 GG) Jeder hat
das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit."(Art.2,2 GG) Das
nach dem ersten deutschen Retortenbaby (1986) 1990 erlassene Embryonenschutzgesetz
(ESchG) verbietet alle Fortpflanzungstechniken, die nicht der Herbeiführung
einer Schwangerschaft dienen (Erzeugung überzähliger Embryonen,
extrakorporale Verwendung, Klonen, Eingriffe in die Keimbahn, Chimären-
und Hybridbildung). "Als Embryo im Sinne des Gesetzes gilt bereits die
befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt
der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embrypo entnommene totipotente
Zelle, die sich...zu einem Individuum zu entwickeln vermag."(§ 8 ESchG)
Zuvor hatte
sich bereits das Bundesverfassungsgericht in seinen beiden Urteilen von
1975 und 1993 zur Abtreibung über den Status des ungeborenen menschlichen
Lebens geäußert: "Das sich entwikkelnde Leben nimmt an dem Schutz
teil, den Art.1 Abs.1 GG der Menschenwürde gewährt. Es ist nicht
entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewußt ist
und sie selbst zu wahren weiß. Die von Anfang an im menschlichen
Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde
zu begründen."20 "Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen
Leben zu, nicht erst dem menschlichen Leben nach der Geburt oder bei ausgebildeter
Personalität (vgl. bereits § 10 I ALR: 'Die allgemeinen Rechte
der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von
der Zeit ihrer Empfängnis.'). Es bedarf im vorliegenden Verfahren
keiner Entscheidung, ob, wie es Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie
nahelegen, menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei und
Samenzelle entsteht...Jedenfalls in der so bestimmten Zeit der Schwangerschaft
handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen
Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit
bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des
Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als
Mensch entwickelt...Wie immer die verschiedenen Phasen des vorgeburtlichen
Lebensprozesses unter biologischen, philosophischen, auch theologischen
Gesichtspunkten gedeutet werden mögen und in der Geschichte beurteilt
worden sind, es handelt sich jedenfalls um unabdingbare Stufen der Entwicklung
eines individuellen Menschseins. Wo menschliches Leben existiert, kommt
ihm Menschenwürde zu."21
Therapeutisches
Klonen, verbrauchende Embryonenforschung, Erzeugung von Stammzellen aus
überzähligen Embryonen u.ä. sind in Deutschland gesetzlich
verboten. Allerdings wird angesichts der neuen Möglichkeiten von Forschung
und Therapie eine Änderung des Embyonenschutzgesetzes erwogen. Während
Bundespräsident Rau in seiner Berliner Rede für den unbedingten
Schutz des ungeborenen Lebens eintrat,22 forderte Bundeskanzler Schröder
eine Diskussion "ohne ideologische Scheuklappen".
Nach Auffassung
des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig
Winnacker, erfolgte der ethische "Dammbruch" bereits mit der Zulassung
der künstlichen Befruchtung.23 In der Tat wird hier für die Herbeiführung
einer Schwangerschaft der Tod vieler Embryonen in Kauf genommen: In der
Tiefkühlkonservierung sterben viele Zygoten; ca.80% der übertragenen
Embryonen gehen wieder ab; in England und Amerika gibt es Tausende überzähliger
Embryonen. Sollte man diese ungeborenen Kinder nicht unfruchtbaren Müttern
zur Adoption anbieten? Haben diese kleinen Menschen nicht ein Recht, zu
sterben, anstatt zu therapeutischen Zwecken instrumentalisiert und ausgeschlachtet
zu werden? Heiligt der noch so verständliche Kinderwunsch alle, auch
tötliche Mittel?
Durch die
Liberalisierung des § 218 StGB, die geltende "Fristenlösung mit
Beratungspflicht" mit ihrer sophistischen Unterscheidung zwischen "rechtswidrig"
und "straffrei" und die praktische Freigabe der Abtreibung in den ersten
12 Wochen der Schwangerschaft ist das Unrechtsbewußtsein breiter
Massen längst schwer erschüttert. Das Lebensrecht des Embryos
ist in den ersten 14 Tagen vor der Nidation, ebenso wie in den anschließenden
ersten 12 Wochen der Schwangerschaft, in unserer Gesellschaft in großer
Gefahr und droht, dem Therapieverlangen kranker Erwachsener geopfert zu
werden.
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V
Obwohl
die biologische Entwicklung des Embryos und die neuen gentechnischen Möglichkeiten
früheren Zeiten unbekannt waren, liegen doch in der Bibel genügend
Aussagen über das ungeborene menschliche Leben vor, um eine Gottes
Willen entsprechende ethische Entscheidung hinreichend begründen zu
können. Neben dem alles menschliche Leben schützenden Gebot des
Dekalogs: "Du sollst nicht töten!"(Ex 20,13; Dtn 5,17; Gen 9,5f.;
Mk 10,19) sind hier vor allem die Worte vom Leben im "Mutterleib" anzuführen:
- Gott
schuf den Menschen zu seinem Bilde; zum Bilde Gottes schuf er ihn; und
er schuf sie als Mann und Frau.(Gen 1,27)
- Bin
ich doch nicht Gott, der dir deines Leibes Frucht nicht geben will.(Gen
30,2)
- Ich bin
ein Geweihter Gottes von Mutterleib an.(Ri 16,17)
- Und Elkana
erkannte Hanna, seine Frau, und der HERR gedachte an sie. Und Hanna ward
schwanger.(1.Sam 1,19f.)
- Hat nicht
auch ihn (sc.Knecht) erschaffen, der mich im Mutterleib schuf, hat nicht
der Eine uns im Mutterschoß bereitet?(Hi 31,15)
- Du hast
mich aus meiner Mutter Leib gezogen; du ließest mich geborgen sein
an der Brust meiner Mutter. Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an,
du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.(Ps 22,10f.)
- Siehe,
Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk.(Ps
127,3)
- Denn du
hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleib. Ich danke
dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine
Werke, das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen,
als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der
Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle
Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen
keiner da war.(Ps 139,13ff.)
- Der HERR
hat mich berufen von Mutterleib an; er hat meines Namens gedacht, als ich
noch im Schoß der Mutter war.(Jes 49,1)
- Ich kannte
dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, und sonderte dich aus, ehe
du von der Mutter geboren wurdest.(Jer 1,5)
- Gott,
der mich von meiner Mutterleibe an ausgesondert und berufen hat durch seine
Gnade, daß er seinen Sohn offenbarte in mir.(Gal 1,5)
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Die Bibel Alten und Neuen Testaments bezeugt mit diesen und anderen Stellen wie ein
Chor, daß Gott nicht nur jedes menschliche Leben im Mutterleib zu
seinem Ebenbild geschaffen hat, sondern "im Verborgenen" - "ehe" es zur
tatsächlichen Bildung des Lebens kam - jeden einzelnen Menschen als
solchen von Ewigkeit her "erkannt", geplant und geliebt hat. Diese unüberhörbaren
prädestinatianischen Anklänge weisen darauf hin, daß es
hier keineswegs nur um die zeitliche Erschaffung des Menschen durch Gott
geht.
Vielmehr zielt der Schöpfer von Anfang an bei der Erschaffung des
Menschen auf seine ewige Gemeinschaft mit Gott hin, die zwar durch die
Sünde in Frage gestellt, aber durch das Erlösungswerk Jesu Christi
wieder eröffnet worden ist. Jesus Christus nimmt nicht nur als Schöpfungsmittler
an der Erschaffung des Menschen teil, sondern nahm selbst zu unserer Erlösung
im Mutterleib der Jungfrau Maria menschliche, kindliche, embryonale Gestalt
an (Mt 1,18ff.;Lk 1,26ff.). Entsprechend sind Jes 49,1 und Ps 22,10f. messianisch
zu deuten. Und ebenso ist die dritte Person der Gottheit, der Heilige Geist,
an Schöpfung, Erlösung und Vollendung des Menschen beteiligt
(Gen 1,2; Mk 1,10;Röm 8,11). Wie man die großartige, hochkomplizierte
Genprogrammierung des Menschen als Werk des Schöpfergeistes verstehen
kann, so die damit geschaffene Möglichkeit und Verwirklichung der
personalen Zuwendung und Gemeinschaft mit Gott in der Erleuchtung des rechtfertigenden
Glaubens und in der Auferweckung der Toten. Gott Vater, Sohn und Heiliger
Geist, die ganze Fülle des biblischen, trinitarischen Gottesglaubens
drängen so zu der Einsicht, daß das menschliche Leben von Anfang
an und von Ewigkeit her als Gottes Geschöpf absolut zu achten ist,
weil es von Gott unbedingt und in Ewigkeit geliebt wird, ja das Gott in
Jesus Christus sich selbst zu eigen gemacht hat. Auch das Leben eines menschlichen
Embryos ist von Anfang an von Gott geschaffen, geplant, gewollt und geliebt
und steht insofern unter dem Schutz seines Gebots. Wird dieser Glaube auch
nicht von allen Menschen dieser Erde geteilt, so gilt er doch aus der Sicht
des Glaubens für alles, was menschliches Antlitz trägt. Wenn
der Mensch, nachdem er durch die Entschlüsselung des menschlichen
Genoms eine neue Frucht vom "Baum der Erkenntnis"(Gen 2,9) gepflückt
hat, nun in titanenhaftem Übermut "Gott spielen"(James Watson, Jeremy
Rifkin), seine Hand nach dem "Baum des Lebens" ausstrecken und "ewiglich
leben"(Gen 3,22) will, gerät er in tödlichen Konflikt mit dem
"Gott des Lebens" (1.Joh 1,2), der der Herr über Leben und Tod bleibt.
Entsprechennd
dieser biblischen Vorgaben fällt das Zeugnis der christlichen Kirchen
überraschend einhellig aus. Seit Pius IX 1869 der alten, aristotelischen
Unterscheidung von unbeseeltem und beseeltem Zustand des Embryos endgültig
den Abschied gab, fordert die Katholischen Kirche den ungeteilten Schutz
des menschlichen Lebens von Anfang an. So heißt es in der Gemeinsamen
Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der
Deutschen Bischofskonferenz "Gott ist ein Freund des Lebens"(1989): "Beim
vorgeburtlichen Leben handelt es sich somit nicht etwa bloß um rein
vegetatives Leben, sondern um individuelles menschliches Leben, das als
menschliches Leben immmer ein werdendes ist. Es kann darum auch nicht strittig
sein, daß ihm bereits ein schutzwürdiger Status zukommt und
es nicht zum willkürlichen Objekt von Manipulationen gemacht werden
darf...Jedes menschliche Leben erhält einen eigenen Wert und Sinn,
indem Gott es schafft, ruft, achtet und liebt; der Mensch hat eine unverlierbare
Würde, weil Gott ihn berufen hat, sein Gegenüber zu sein, und
ihn in Jesus Christus unbedingt angenommen hat; ungeborene Kinder sind
dabei mitgemeint...Die Würde des menschlichen Lebens verbietet es,
daß es bloß als Material und Mittel zu anderen Zwecken genutzt
und - erst recht - gar nur erzeugt wird... Schon die kleinste Bewegung
in der Richtung auf die Zulassung 'verbrauchender' Forschung an Embryonen
überschreitet eine wesentliche Grenze. Es geht hier um den Schutz
oberster Rechtsgüter, letzten Endes um die Achtung vor der Würde
des Menschen und seines Rechtes auf Leben, die in Art.1 und 2 des Grundgesetzes
verankert sind.24
In diesem
Sinne treten die führenden Repräsentanten beider Kirchen in Deutschland,
Präses Kock und Kardinal Lehmann, für den unbedingten Schutz
der Embryonen und das Verbot aller verbrauchenden Experimente mit ihnen
ein. Eine neue, vielleicht ökumenische Denkschrift zu den Fragen der
Bioethik ist angesichts der neuen Herausforderungen jedoch ein dringendes
Desiderat. Am überzeugendsten hat sich bisher in der Öffentlichkeit
der Heidelberger Theologieprofessor Klaus Berger geäußert, der
zwei einfache Grundsätze aufgestellt hat: 1)"Verändern ja, Töten
nein" - "Strenge beim Tötungsverbot mit einem relativ großen
Freiraum bei verändernden Eingriffen". 2)"Verhinderung vermeidbaren
großen Leidens" ja, "Optimierung irgendwelcher Eigenschaften" nein,
wobei "lebensnotwendige Funktionen" das "Kriterium" wären.25 Kirchenleitungen,
Synoden, Kirchentage und Christen müssen ihre Stimme erheben, wenn
unsere postchristliche, säkularisierte, pluralistische Gesellschaft
vor schlimmen, inhumenen Irrwegen bewahrt werden soll. Angesichts der neuen
Bedrohung des Menschen durch den Gentechnik sollten wir Christen ein klares
Bekenntnis für den Embryo als Gottes Geschöpf ablegen!26
1) FAZ 29.8.01.
2) FAZ 25.6.01.
3) So der
Nestor der modernen Embryologie, Prof.D.E.Blechschmidt, Daten der menschlichen
Frühentwicklung: P.Hoffacker u.a.(Hg.), Auf Leben und Tod, 19915,
43.
4) Wolfram
Höfling, FAZ 10.7.01.
5) DIE ZEIT
16.9.00.
6) Vgl.Michael
Naumann, Der Staat und die Heiligkeit des Lebens. Rede auf dem Kirchentag
in Frankfurt/Main: DIE ZEIT 21.6.01.
7) Peter
Singer, Praktische Ethik, 1979, dt.1984.
8) FAZ 5.3.01.
9) Lutherische
Nachrichten 21/3, S.11-31.
10) Vgl.
M.Honecker, Genetische Eingriffe und Reproduktionsmedizin: ZThK 84,1987,121:
"Diese frühen Stadien, Embryonen, sind auf das Personwerden hin angelegt.
Insofern sind sie schon in den Schutz der Menschenwürde einbezogen.
Eine ausschließliche Bestimmung des Menschen mit Hilfe der Begriffe
Freiheit, Vernunft und Verantwortung verfehlt das Leibsein des Menschen.
Menschliches Leben wird fundamental konstituiert durch seine Leibhaftigkeit.
Der Mensch ist zunächst einmal Leib. Ohne Leib ist der Mensch auch
nicht der Vernunft, Freiheit und Verantwortung fähig und mächtig.
Das ungeborene menschliche Leben verweist auf ein Leibapriori, das dem
Menschen zeitlich vor und unabhängig von aller Geistigkeit und sprachlichen
Artikulationsfähigkeit eignet. Die Menschlichkeit ist vor allem Verstehen
und aller Selbstexplikation zunächst einmal eine biologische, natürliche
Gegebenheit."
11) Kritik
der Praktischen Vernunft, 1788, 54.
12) Grundlegung
zur Metaphysik der Sitten, 17862, 64; vgl. Kritik der praktischen Vernunft,
aaO., 155f.
13) Ulrich
Lüke, FAZ 21.8.00.
14) Gerold
Prauss, FAZ 5.7.01.
15) Reinhard
Löw, FAZ 3.1.85.
16) Robert
Spaemann, FAZ 30.8.89;21.3.01; Versuch über Ethik, 1989.
17) FAZ 23.9.99.
18) FAZ
30.6.01;15.10.01.
19) Giovanni
B.Sala (SJ), FAZ 16.8.01.
20) 1975;
BVerfGE 39,41.
21) 1993;
BVerfGE 88,252.
22) FAZ
19.5.01.
23) FAZ
5.5.01.
24) Gott
ist ein Freund des Lebens, 1989, 43f.64f.
25) FAZ
20.4.00.
26) In ähnlicher
Weise und mit demselben Ergebnis verknüpft Oswald Bayer biologische,
philosophische, juristische und theologische Aspekte; besonders beeindruckend
seine Exegese von Psalm 8: Selbstschöpfung? Von der Würde des
Menschen: Schöpfungsglaube - von der Bioethik herausgefordert. Veröffentlichungen
der Luther-Akademie Ratzeburg 32, 2001, 179-199.
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