Liebe Schwestern und Brüder,
Ein Jahr, nachdem in Augsburg Vertreter
des Vatikan und des Lutherischen Weltbundes die Gemeinsame Erklärung
zur Rechtfertigungslehre unterschrieben haben, gehört, so meine ich
einiges an Mut dazu, zu einem Vortrag zum Thema „auf ewiglich geschieden
und widereinander“ einzuladen. Dies gilt um so mehr, als dieses Thema festgelegt
festgelegt worden ist, bevor Kardinal Ratzinger und die römische Kongregation
für Glaubensfragen in ihrer Erklärung „Dominus Iesus“ die ökumenischen
Träumerein, die in der evangelischen Kirche weit verbreitet sind,
wie eine Seifenblase haben zerplatzen lassen. Kardinal Ratzinger hat zwar
in dem besagten Papier nur das gesagt, was die römisch-katholischen
Kirche immer schon gesagt hat, er hat aber diesmal mit besonderer Öffentlichkeitswirkung
deutlich gemacht, daß nach römischem Denken die römisch-katholische
Kirche nach wie vor die alleinseligmachende ist und daß die evangelischen
Gebilde, die sich selbst „Kirche“ nennen, keinesfalls Kirchen, sondern
lediglich kirchliche Gemeinschaften sind. Zitat Ratzinger in einem Gespräch
mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
"Zur Redlichkeit gehört zum
Beispiel auch, daß wir uns nicht vormachen, der Begriff Kirche sei
im gleichen Sinne angewandt, wenn wir von Nordelbischer Kirche und von
katholischer Kirche sprechen."
Ihr Mut, liebe Schwestern und Brüder,
zu einem derartigen Vortragsthema einzuladen, hat inzwischen durch die
Erklärung des Vatikan eine glänzende Bestätigung gefunden.
Ich möchte heute versuchen, meinerseits Ihrem Mut gerecht zu werden.
Zunächst ist jedoch eine Vorbemerkung
erforderlich: Ich bitte Sie, bei allem, was ich Kritisches über die
römisch-katholische Kirche sagen werde, streng zu beachten, daß
ich damit vor allem die offizielle Amtskirche und ihre Theologen kritisieren
möchte, nicht die einfachen katholischen Christen. Es gibt in der
katholischen Kirche eine große Zahl von außerordentlich achtenswerten
und rechtschaffenen Christen, mit denen wir als ernsthafte evangelische
Christen mehr Gemeinsamkeiten haben als mit manchen Vertretern der unbiblischen
Theologie, die in unserer evangelischen Kirche weithin das Sagen haben.
Die Gemeinschaft mit diesen Schwestern und Brüdern in der katholischen
Kirche müssen wir suchen. Das heißt allerdings nicht, daß
wir auf eine klare und biblisch begründete Kritik an der offiziellen
römischen Kirche und ihrer ganz gewiß höchst unbiblischen
Theologie verzichten dürfen.
Mein Vortrag wird drei
Teile haben. Der erste Teil ist überschrieben: „Theologie und Machtanspruch
– die römische Meßopferlehre“. In diesem Teil soll am Beispiel
der Meßopfertheologie gezeigt werden, daß Grundlage der römischen
Theologie nie nur theologische Erkenntnisse, sondern immer auch der Machtanspruch
der Hierarchie ist. Der zweite Teil trägt die Überschrift: „Bleibende
Gegensätze“. In diesem zweiten Teil soll überblicksweise der
Zusammenhang von Machtanspruch und Theologie an einzelnen theologischen
Unterschieden von evangelischer und katholischer Lehre gezeigt werden.
In einem kleinen Schlußteil soll dann eine Betrachtung zum Wort vom
Felsen aus Matthäus 16.
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Theologie und Machtanspruch - die römische Meßopferlehre
Bei Prozessionen der katholischen Kirche
ist es oft so, daß vorne an der Spitze der Prozession Vertreter der
sogenannten Eucharistischen Ehrengarde hoch erhoben über ihren Köpfen
die Monstranz tragen. Die Monstranz ist, wie Sie wahrscheinlich wissen,
ein kunstvoll geschmückter Behälter, in dem eine konsekrierte
Hostie zur Schau gestellt wird. Aber natürlich wird die Hostie nicht
nur zur Schau gestellt, sondern sie wird in Liedern besungen und Gebeten
gepriesen, und sie wird bei den einzelnen Stationen der Prozession den
Gläubigen ringsum gezeigt, so daß die Gläubigen Gelegenheit
haben, vor der Monstranz bzw. vor der geweihten Hostie auf die Knie zu
gehen und sie anzubeten.
Uns evangelischen Christen ist Zeremonie
nicht nur fremd, sie zeigt auch überdeutlich, wie weit wir doch trotz
aller ökumenischen Bemühungen und aller feierlichen Unterzeichnungen
von Konsenspapieren als evangelische und katholische Kirche in der Wirklichkeit
voneinander getrennt sind. Das wäre ja in der evangelischen Kirche
unvorstellbar, daß ein Stück Abendmahlsbrot zur Anbetung und
Verehrung der Gemeinde ausgestellt würde. Götzendienst, Magie
und Aberglauben wären da noch die harmlosesten Vorwürfe, mit
denen die Gemeinde auf dergleichen reagieren würde. Eine solche Zeremonie
stünde einfach in solchem Widerspruch zu allem, was wir als evangelische
Christen aus unseren Gottesdiensten und unser Frömmigkeit gewohnt
sind, daß wir auf sie nur mit Ablehnung und Protest reagieren würden.
Das ist kein Zufall. Es geht dabei
auch nicht nur um unterschiedliche Frömmigkeitsformen und unterschiedliche
kirchliche Traditionen, sondern es geht um das Zentrum des Glaubens und
den entscheidenden Punkt. Dieser Punkt trennt nach wie vor und auf absehbare
Zeit evangelische und katholische Kirche und verweist jeden Gedanken an
Wiedervereinigung der Kirche oder auch nur gemeinsame Abendmahlsfeiern
in das Reich der Träume.
Ich möchte das erklären: Die
Monstranz mit der geweihten Hostie ist die sichtbar gemachte römische
Meßtheologie. Es ist die Lehre von der Transsubstantiation, von der
substanzhaften Verwandlung von Wein und Brot in Leib und Blut Christi,
die das Zentrum der römischen Messe ist. Und selbstverständlich
ist es die Lehre der römischen Kirche, daß die geweihten Hostien
ihre Substanz auch nach der gottesdienstlichen Feier noch behalten. Das
heißt: Die geweihte Hostie, die da in der Monstranz bei der Prozession
zur Schau gestellt wird, ist tatsächlich, dinglich und substanzhaft
Leib Christi. Sie ist gewissermaßen Christus selbst. Und deshalb
gebührt ihr – eigentlich müßte man sagen:
Ihm -
Anbetung und Lobgesang.
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Diese Transsubstantiationslehre ist für die römische Kirche deshalb so wichtig, weil sie für
den Charakter der römischen Meßfeier unentbehrlich ist. Die römische
Meßfeier ist eine Opferfeier. Die katholische Theologie redet mit
Bedacht vom „heiligen Meßopfer“. Das Zentrum der Meßfeier besteht
darin, daß am Altar etwas dargebracht wird, nämlich tatsächlich
und substantiell Leib und Blut Jesu Christ. Das einmalige Opfer, das Jesus
Christus am Kreuz für uns Sünder vollbracht hat, wird im römischen
Meßopferverständnis bei jeder neu Meßfeier repräsentiert.
Das heißt: Es ist so, als ob es von neuem vollzogen würde. Und
selbstverständlich ist deshalb die Darbringung des Meßopfers
durch die Kirche ein gutes Werk, ein Werk, mit dem der Priester selbst
etwas zur Versöhnung der sündigen Menschen mit Gott beiträgt.
Nach evangelischem Verständnis
dagegen ist die Feier des Heiligen Abendmahls eine Einbahnstraße:
Die Vergebung der Sünden, die Christus durch seinen Tod am Kreuz einmal
und ein für allemal erworben hat, wird denen, die mit bußfertigem
Herzen in mit und unter Brot und Wein Fleisch und Blut Jesu Christi zu
sich nehmen, geschenkt. Sie wird ihnen einseitig zugesagt und zugesprochen.
Diesen Sinn haben die Spendeformeln: „Nimm hin und iß!“ und „Nimm
hin und trink!“ Die Gläubigen werden mit Gott versöhnt, und zwar
rein passiv, ohne daß sie selbst zu dieser Versöhnung etwas
beitragen würden oder beitragen könnten.
Die römische Meßopferfeier
jedoch ist keine Einbahnstraße, sondern eine Straße mit Gegenverkehr.
Zwar betont auch die römische Theologie, die die Vergebung der Sünden
ein unverdientes Geschenk der Gnade ist, sie hält aber daran fest,
daß auch die Kirche in der Meßfeier handelt, daß sie
gewissermaßen mitwirkt am Zustandekommen der Versöhnung, und
zwar dadurch, daß sie die reinen Opfergaben des Altar darbringt und
so das Opfer Christi repräsentiert. So heißt es z.B. im ersten
Hochgebet des römischen Meßkanons:
"Dich, gütiger Vater,
bitten wir durch deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus: Nimm diese
heiligen makellosen Opfergaben an und + segne sie ... Mache sie uns zum
wahren Opfer im Geiste."
Und im dritten Hochgebet lesen wir:
"So bringen wir dir mit Lob und Dank
dieses heilige und lebendige Opfer dar. Schau gütig auf die Gabe deiner
Kirche. Denn sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und
uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat."
Mit anderen Worten: Die
katholische Meßfeier ist bis auf den heutigen Tag ein typisches Beispiel
für das Prinzip der römischen Theologie. Es handelt sich in allen
Fälle immer um ein differenziertes Miteinander von Werk Christi und
Werk des Menschen. Immer wieder hält die katholische Theologie daran
fest, daß der Mensch in irgendeiner Form selbst mitwirken kann und
soll an seiner Erlösung. Daß der Mensch gerecht wird vor Gott
allein aus Glauben, rein passiv, wobei der Glaube nur darin besteht, daß
der Mensch das Geschenk der von Christus erworbenen Gnade annimmt, das
kann und wird die römische Theologie niemals zugestehen. Gerade am
Verständnis des heiligen Abendmahls läßt sich das exemplarisch
zeigen. Nach evangelischem Verständnis ist das Heilige Abendmahl eine
Einbahnstraße: Der Christ wird beschenkt. So wie er passiv in mit
und unter Brot und Wein Fleisch und Blut Jesu Christi empfängt, so
wird ihm passiv die Vergebung der Sünden geschenkt und die Türe
zum ewigen Leben aufgestoßen. Nach römischem Verständnis
jedoch handelt es sich beim Meßopfer um eine Straße mit Gegenverkehr.
Der Christi empfängt den Leib Christi und die Vergebung der Sünden,
die Kirche trägt aber durch aktives Handeln, nämlich durch Darbringung
des Meßopfers selbst etwas bei zur Versöhnung der Gläubigen
mit Gott.
Daß eine solche
Deutung des Heiligen Abendmahls um Jesu Christi willen nur abgelehnt werden
kann, versteht sich von selbst. Wenn es nicht auf Christus allein, sondern
auch auf das priesterliche Handeln der Kirche ankäme, dann wäre
Christus umsonst gestorben. Siehe Galater 2, 21. Martin Luther hat dazu
bereits das Entscheidende gesagt:
"Nu aber die Messe nichts anderes ist
noch sein kann denn ein Werk der Menschen (auch böser Buben), damit
einer sich selbs und andere mit sich gegen Gott versuhnen, Vergebung der
Sunden und Gnade erwerben und verdienen kann (denn so wird sie gehalten,
wenn sie aufs beste wird gehalten. Was sollt' sie sonst?), so soll und
muß man sie verdammen und verwerfen; denn das ist stracks wider den
Häuptartikel, der da sagt, daß nicht ein Messknecht mit seinem
Werk, sondern das Lamb Gottes und Sohn Gottes unsere Sunde trägt."
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Mein Vorgänger im Vorsitz des Lutherischen
Konvents im Rheinland, Ernst Volk, hat kürzlich in einem Artikel in
den Lutherischen Nachrichten
darauf
hingewiesen, daß sogar der Name "Messe" mit dieser römischen
Meßtheologie zusammenhängt. Das Wort "Messe" kommt ja vom Schlußsatz
der lateinischen Meßliturgie. "Ite, missa est", ist dort zu lesen.
Das bedeutet übersetzt: "Geht, es ist gesandt." Oder "Geht, es ist
geschickt." Volk verweist auf eine Bemerkung des Normaltheologen der römischen
Kirche Thomas von Aquin, nach der das Abendmahl deshalb "Messe" genannt
werde, weil
"der Priester die Gebete durch einen Engel zu Gott hinsende"
Tatsächlich steht Thomas von Aquin mit dieser Einschätzung in
einer uralten theologischen Tradition, die bis ins 2. Jahrhundert nach
Christi Geburt hineinreicht, nämlich zu Justin dem Märtyrer.
Justin der Märyrer hat in der Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christi
Geburt eine Verteidigungsschrift für das Christentum verfaßt.
In dieser Schrift finden wir die älteste Beschreibung eines christlichen
Gottesdienstes, die wir haben. Dort wird auch die Abendmahlsfeier beschrieben.
Und es ist gut möglich, daß die Formulierung des Justin ein
Vorläufer der Formel "Ite, missa est" ist. Dort steht nämlich,
daß der Vorsteher im Gottesdienst, nachdem ihm Brot und Wein und
Wasser gereicht worden ist, Gebet und Danksagungen mit aller ihm zur Verfügung
stehenden Kraft "emporsendet", bzw. "emporschickt."
Ganz ohne Frage steht hinter dieser Formulierung des Justin die Vorstellung,
daß der dem Gottesdienst vorstehende Priester Gebete und Danksagung
wie eine Opfergabe zu Gott emporsendet. Es ist gut vorstellbar, daß
sie daraus die römische Meßtheologie entwickelt hat, nach der
die Messe eine Emporsendung und Darbringung von Opfergaben ist. Die Schlußformulierung
des Meßkanons „Geht, es ist gesandt“, würde dann die Bedeutung
haben: „Geht nach Hause, die Gaben des Opfers sind zu Gott emporgesandt.“
Wie gesagt, diese Herleitung des Namens „Messe“ ist eine Vermutung. Ich
persönlich halte sie aber für eine sehr plausible Vermutung,
die sich ganz klar auf die offenkundige römische Meßtheologie
stützen kann.
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Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe Ihnen das nicht nur deshalb so
genau erklärt, weil nach der Unterzeichnung der sogenannten "Gemeinsamen
Erklärung zur Rechtfertigungslehre" vom letzten Jahr in Augsburg jetzt
der nächste Schritt der ökumenischen Konsensgespräche der
Erstellung einer ähnlichen gemeinsamen Erklärung zum Abendmahlsverständnis
sein wird und auch diesmal wieder zu befürchten ist, daß die
Vertreter der evangelischen Seite wie in Augsburg grundlegende reformatorische
Wahrheiten preisgeben und verraten, sondern ich habe Ihnen das deshalb
so ausführlich erklärt, weil am Beispiel der Meßopfertheologie
ein, vielleicht sogar das Grundprinzip der römischen Theologie greifbar
wird. Ich möchte das erklären: Es kommt den römischen Theologen
beim Insistieren darauf, daß das Geschehen beim Sakrament des Altars
keine Einbahnstraße ist sondern daß auch die Kirche in Gestalt
ihrer Priester Entscheidendes zum Versöhnungsgeschehen beiträgt,
ja nicht etwa nur darauf an, daß der Mensch mitwirkt und daß
er nicht bloß rein passiv die Gnade Christi empfängt, sondern
es kommt der römischen Theologie vor allem auch darauf an, daß
die Mitwirkung der Kirche, also des von einem römischen Bischof geweihten
Priesters notwendig ist.
Die römische Meßopfertheologie
dient nicht zuletzt dazu, den Machtanspruch der Hierarchie sichern. Denn
es ist ganz klar: Wenn es bei der Abendmahlsfeier nicht entscheidend auch
auf die Mitwirkung der Priester ankäme, dann brauchte man keine geweihten
Priester, dann brauchte man keine römischen Bischöfe mit dem
Papst an der Spitze, die angeblich, wie Kardinal Ratzinger neulich in einem
Interview mit der FAZ gesagt hat,
"in der Nachfolge der Apostel im Bischofsamt"
stehen. Wenn nämlich, wie es der Lehre des Neuen Testaments entspricht,
die Feier des Heiligen Abendmahls eine Einbahnstraße ist, bei der
die Gläubigen rein passiv Vergebung der Sünden geschenkt bekommen,
wobei weder die Gläubigen selbst noch der die Sakramentsfeier leitende
Pastor etwas zum Versöhnungsgeschehen beitragen können, dann
ist es zu einer rechtmäßigen und wirksamen Sakramentsfeier nur
erforderlich, daß die Feier entsprechend dem neutestamentlichen Einsetzungsbericht
vollzogen wird. Um dies sicherzustellen, verlangt die Evangelische Kirche,
daß die Feier von einem ordinierten, das heißt ordentlich ausgebildeten
und von der Kirche rechtmäßig beauftragtem Diener am Wort geleitet
wird. Irgendwelche heiligen Weihen, die nur ein in apostolischer Sukzession
verleihen kann, sind dazu nicht erforderlich. Und wenn das so ist, dann
ist es um die Macht des katholischen Bischofs von Rom geschehen.
Kein geringerer als Martin Luther hat den
Zusammenhang von Theologie und päpstlichem Machtanspruch schon in
der Reformationszeit klar erkannt und unmißverständlich formuliert,
und zwar in den Schmalkaldischen Artikeln, die zu den Bekenntnisschriften
der Lutherischen Kirchen gehören. Die Schmalkaldischen Artikel sind
entstanden, weil der Papst für den Mai 1537 zu einem Konzil nach Mantua
eingeladen hatte, auf dem die Religionsfrage endgültig geklärt
werden sollte. Dies Konzil hat im übrigen nie stattgefunden. Dennoch
wollten die Evangelischen eine schriftliche Zusammenfassung ihres Bekenntnisstandes,
das sie beim Konzil als ihre Position vorlegen wollten. Sie haben Martin
Luther beauftragt, dieses Papier zu erstellen. Auf einem Treffen im Februar
1537 in Schmalkalden – daher der Name "Schmalkaldische Artikel" – sollte
es dann beraten und beschlossen werden. In diesen von Martin Luther verfaßten
Artikeln finden sich die Sätze, aus der auch die Themenformulierung
für meinen heutigen Vortrag stammt. Ich zitiere:
"Dieser Artikel von
der Messe wird's ganz und gar sein in Concilio; denn wo es muglich wäre,
daß sie uns alle andere Artikel nachgeben, so konnen sie doch diesen
Artikel nicht nachgeben ... So werde ich mich auch mit Gottes Hulfe ehe
lassen zu Aschen machen, ehe ich einen Messeknecht mit seinem Werk lasse
meinem Heilande Jesu Christo gleich oder hoher sein. Also sind und bleiben
wir ewiglich gescheiden und widernander. Sie fuhlen's wohl: wo die Messe
fällt, so liegt das Bapsttum. Ehe sie das lassen geschehen, so toten
sie uns alle"
Mit anderen Worten: Rom, so Luther, wird an der Meßopfertheologie
festhalten, weil es genau weiß, daß die römische Hierarchie
und das Paptstum sich selbst überflüssig machen und sich selbst
aufgeben, wenn sie diese Meßtheologie fallen lassen.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich glaube,
es ist deutlich geworden, daß hinter römischer Theologie nicht
nur die Theologie selbst, sondern auch der römische Machtanspruch
steht. Und daraus folgt, daß Luther recht hatte: Solange die römische
Kirche diesen Machtanspruch nicht aufgibt, solange sie nicht aufhört,
Ökumene nur als Rückkehrökumene zu verstehen, solange sie
nicht von ihrem hohen Roß herabsteigt und ihren römischen Triumphalismus
aufgibt, solange sind evangelische und katholische Kirche „auf ewiglich
geschieden und widereinander“. Solange wird es auch keine gemeinsame Abendmahlsfeier
und keine ökumenischen Gottesdienste an Sonntagen geben. Solange werden
alle Träume von einer Wiedervereinigung der Kirche nichts anderes
sein als Träumereien und Illusionen. Das ist so. Ich füge hinzu:
Leider ist das so. Wir Evangelischen können es nicht ändern.
Es ist an Rom, den entscheidenden Schritt zu tun.
Ich komme zum zweiten Teil meiner Ausführungen.
Bleibende Gegensätze
In diesem Teil möchte ich überblicksweise
zwei Streitfragen im einzelnen behandeln, nämlich das Verhältnis
von Schrift und kirchlichem Lehramt und die Frage der Rechtfertigung des
Sünders. Bei beiden Fragen wird zu zeigen sein, daß es hier
nicht nur um Theologie, sondern auch um die Macht der Kirche geht.
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1. Schriftprinzip und Lehramt
In der großen Disputation
zwischen Eck und Luther in Leipzig im Jahre 1519 ist der Gegensatz zwischen
reformatorischem und römischem Umgang mit der Schrift zum ersten Mal
in aller Öffentlichkeit deutlich geworden. Johannes Eck, seines Zeichens
Professor aus Ingolstadt, vertrat dabei kompromißlos den Primat des
Papstes. Er erklärte, daß alles, was er zu sagen habe, dem Urteil
des Bischofs von Rom unterworfen sei. Luther dagegen erklärte, daß
er nicht Menschen als Richter über die Schrift, sondern die Schrift
als Richter über die Lehren der Menschen anerkennen wolle. "Allein
die Schrift!" ist dann der Kampfruf der Reformatoren gegen Rom gewesen.
Sie haben damit gemeint, daß allein die Schrift Richtschnur und Norm
der kirchlichen Lehre sein dürfe und nicht die kirchliche Tradition,
nicht die Lehren der Kirchenväter und der kirchlichen Autoriäten.
Von Anfang an ging der Streit also nicht nur um eine wissenschaftliche
Auslegungsmethode für die Heilige Schrift, sondern auch um eine Machtfrage.
Es ging nämlich darum, wer die Auslegungs- und Deutungskompetenz für
die Bibel hatte. Die Reformatoren erklärten, niemand anderes als die
Schrift selbst könne sich auslegen. Rom jedoch beharrte darauf, daß
die Schrift widersprüchlich und in mancher Hinsicht unklar sei und
daß es daher notwendig sei, daß die Kirche die Schrift gültig
auslege. Wir sehen: Die Forderung nach einem verbindlichen kirchlichen
Lehramt ergibt sich zwangsläufig, wenn man annimmt, daß die
Bibel unklar sei, daß die Bibel also nicht für sich selbst sprechen
könne. Auf der anderen Seite kann man nur dann auf ein verbindliches
kirchliches Lehramt verzichten, wenn die Schrift eindeutig und klar ist,
wenn also die Schrift, wie es Luther formuliert hat, ihr eigener Dolmetscher
und Ausleger sein kann.
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Sechs Jahre nach der Leipziger Disputation,
also im Jahre 1525, hat Luther in seiner Streitschrift gegen Erasmus von
Rotterdam "Vom unfreien Willen" die reformatorische Position grundsätzlich
begründet. Auch Erasmus hatte ja die These vertreten, daß die
Schrift unklar sei und daß es daher der Autorität und des Sachverstandes
der Kirche bedürfe, sie richtig auszulegen. Luther tritt dem mit der
These von der Klarheit der Schrift entgegen. Die Schrift ist klar und eindeutig.
Nur Verblendung und Irrtum können etwas anderes behaupten. Luther
unterscheidet zwischen der inneren Klarheit und der äußeren
Klarheit. Die innere Klarheit meint dabei die Klarheit der Schrift, die
sich dem Glauben unmißverständlich und eindeutig erschließt.
Luther selbst hat das in der Vorrede zur Ausgabe seiner lateinischen Schriften
kurz vor seinem Tode im Jahre 1545 am Beispiel seiner reformatorischen
Entdeckung, nämlich an der richtigen Übersetzung von Römer
1, 17 erläutert
:
"In ihm [im Evangelium] wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart", steht
dort. Lange Zeit hatte Luther geglaubt, mit dem Begriff "Gerechtigkeit
Gottes" sei eine Eigenschaft Gottes gemeint, nämlich die Tatsache,
daß Gott selbst gerecht sei. Dies jedoch hatte Luther in tiefste
Verzweiflung gestürzt. Denn ihm als gewissenhaftem Menschen hatte
immer deutlich vor Augen gestanden, daß er selbst vor einem Gott,
der gerecht ist, nicht würde bestehen können, da er trotz aller
Klosterübungen und aller Frömmigkeit keineswegs gerecht war.
Mit einmal Mal jedoch sind ihm die Augen aufgegangen, und er hat begriffen,
daß mit dem Wort "Gerechtigkeit Gottes" nicht die Gerechtigkeit gemeint
ist, durch die Gott selbst gerecht ist, sondern, wie die Lutherübersetzung
bis auf den heutigen Tag formuliert, „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“
Sonst wäre es ja kein Evangelium, keine frohe Botschaft gewesen, in
der sich die Gerechtigkeit offenbarte, sondern eine furchtbare, bedrohliche
und deprimierende Drohbotschaft.
Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die
Gerechtigkeit, die dem Menschen um Christi willen im Glauben geschenkt
wird, die eine fremde und unverdiente Gerechtigkeit ist der eindeutige
klare Sinn der Schrift. Sie ist das Zentrum der Schrift. Von diesem Zentrum
her muß alles in der Schrift bewertet und kritisch untersucht werden.
Dafür jedoch braucht man kein kirchliches Lehramt, sondern lediglich
die unbefangene Erkenntnis dessen, was tatsächlich in der Schrift
steht. Man sieht, daß Luther an die Stelle der kirchlichen Auslegungshoheit
über die Schrift, die der Papst und die römischen Bischöfe
für sich beanspruchen, die Autorität Jesu Christi selbst gestellt
hat. „Was Christum treibet“ wird zum obersten Auslegungsprinzip der Schrift.
Von diesem Zentrum her konnte Luther sich sogar zu einzelnen Schriften
der Bibel wie z.B. zum Jakobusbrief, zum Hebräerbrief und auch zur
Offenbarung des Johannes ausgesprochen kritisch äußern. Zur
Not, so hat er später in einer Disputation gesagt muß man, wenn
die Gegner die Schrift gegen Christus anführen, mit Christus gegen
die Schrift argumentieren.
Diese Lehre von der Klarheit der Schrift
erschließt sich natürlich zunächst nur dem Glauben. Denn
nur der Glaube kann wirklich die um Christi willen geschenkte Gerechtigkeit
ergreifen. Wenn es also nur diese innere Klarheit der Schrift gäbe,
könnte die römische Kirche immer noch behaupten, diese lutherischen
Deutung der Schrift sei eine mögliche Deutung unter vielen, andere
hätten die Schrift ganz anders interpretiert. Und weil dies so sei,
müsse am Ende doch eine kirchliche Autorität stehen, die mit
einem verbindlichen Lehramt ausgestattet sei und die Widersprüche
klären könne.
Demgegenüber jedoch müssen wir
wie Luther daran festhalten, daß es nicht nur eine innere, sondern
auch eine äußere Klarheit der Schrift gibt. Und das ist auch
so. Der unbefangene Leser wird es zugeben müssen. Trotz aller Widersprüche,
die die Bibel enthält, schließlich ist sie Gotteswort im Menschenwort,
trotz mancher unterschiedlicher theologischer Akzente die von den verschiedenen
Autoren der Bibel gesetzt werden, kann man doch im Ganzen feststellen,
daß die Bibel in den wesentlichen Lehren mit einer Stimme spricht.
Daß Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, daß der
ewige Gottessohn unser Fleisch und Blut angenommen hat, um uns mit Gott
zu versöhnen, daß er am Kreuz von Golgatha als das Lamm Gottes
hinweggetragen hat die Sünde der Welt, daß er auferstanden ist
am 3. Tage und ein Erstling geworden ist derer, die da schlafen, daß
der Mensch im Glauben an Jesus Christus unverdient und allein aus Gnade
vor Gott gerecht wird, daß ihm die Sünden vergeben und er, obwohl
er bei sich selbst ein Sünder bleibt, gleichzeitig um Christi willen
vor dem Angesicht Gottes ein Gerechter ist und daß er auf diese zum
Kind Gottes adoptiert und zum Erben der künftigen Herrlichkeit wird,
das, liebe Schwestern und Brüder, lehren die biblischen Schriften
einmütig und klar. Das lehrt Jesaja ebenso wie Paulus, Matthäus
ebenso wie Markus, die Psalmen und die Mosebücher ebenso wie der Hebräerbrief.
Es gibt nicht nur eine innere, es gibt auch eine äußere Klarheit
der Schrift. Jeder, der die Schrift vorbehaltlos liest, muß das erkennen.
Und wenn die römische Kirche dennoch behauptet, die Schrift sei unklar
und widersprüchlich und deshalb müsse das Lehramt der Kirche
für Ordnung sorgen, dann werde ich den Verdacht nicht los, daß
die römische Kirche das vor allem deshalb behauptet, weil sie auf
diese Weise ihre geistliche Macht zu sichern versucht.
Es bleibt dabei. Die Heilige Schrift ist
klar und eindeutig. Sie ist ihr eigener Ausleger und Dolmetscher. Es bedarf
keines verbindlichen kirchlichen Lehramts, das zwischen den angeblich unterschiedlichen
Auslegungsmöglichkeiten der Schrift zu entscheiden hätte. Zwar
muß es auch in der evangelischen Kirche ein Lehramt geben. Es muß
ja Menschen geben, die den Auftrag haben, die Botschaft der Bibel weiterzusagen
und öffentlich zu verkündigen. Nach evangelischem Verständnis
sind das die ordinierten Diener am Wort. Diese Diener am Wort jedoch haben
keineswegs die Vollmacht, unfehlbar und gegen jede kritische Nachfrage
gefeit die Wahrheit verkündigen zu können, sondern sie sind in
ihrer Lehre streng an der Heiligen Schrift zu messen. Das bedeutet, daß
die gläubige Gemeinde nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht
hat, die Predigt der Kirche, ja die Predigt jedes einzelnen Pfarrers, jedes
Theologieprofessors, jedes Bischofs und jedes Oberkirchenrats daran zu
messen, ob sie mit der Lehre der Heiligen Schrift übereinstimmt oder
nicht. Und wenn sie nicht mit der Lehre der Heiligen Schrift übereinstimmt,
dann ist es die Aufgabe der Gemeinde, der Lehre der kirchlich Beauftragten,
also auch der ordinierten Diener am Wort, der Theologieprofessoren, der
Bischöfe und der Oberkirchenräte entgegenzutreten und sie unter
Hinweis auf die klare Botschaft der Heiligen Schrift zur Umkehr zu rufen.
Dies ist schon in den Bekenntnisschriften der Reformation, nämlich
in der CA, Artikel 28 eindeutig so bestimmt.
"Wo sie [die Bischöfe]
aber etwas dem Evangelio entgegen lehren, setzen oder aufrichten, haben
wir Gotts Befehl in solchem Falle, daß wir nicht sollen gehorsam
sein ... Und Sankt Augustin schreibt in der Epistel wider Petilianum, man
soll auch den Bischofen, so ordentlich gewählet, nicht folgen, wo
sie irren oder etwas wider die heilige göttliche Schrift lehren oder
ordnen."
In der römisch-katholischen Kirche
dagegen ist eine solche kritische Aufgabe der Gemeinde gegenüber den
Bischöfen und dem Papst unvorstellbar. Die Bischöfe haben in
Gemeinschaft mit dem Papst das Lehramt und die Gläubigen haben die
von den Bischöfen und dem Papst verbindlich definierte Lehre gläubig
im Gehorsam anzunehmen. Und das gilt auch für die Lehren der römischen
Kirche, die offensichtlich überhaupt keine Grundlage in der Heiligen
Schrift haben, wie die großen Mariendogmen, wie die Lehre von der
unbefleckten Empfängnis Mariens, die Lehre von der leiblichen Aufnahme
Mariens in den Himmel und die geradezu unglaubliche Lehre von der Unfehlbarkeit
des Papstes. Auf wenn römische Theologen immer wieder versichern,
diese Lehren stünden zwar nicht wörtlich in der Bibel, sie seien
aber implizit in ihr enthalten und ihre Dogmatisierung durch die Kirche
sei lediglich eine Entfaltung dessen, was ohnehin immer schon in der biblischen
Wahrheit mitgemeint sei, so müssen wir als Evangelische doch, gestützt
auf den klaren und offenbaren Sinn der Schrift feststellen, daß die
römische Kirche hier etwas hinzuerfunden hat. Sie hat sich zur Herrin
der Schrift gemacht und hat sich nicht damit begnügt, ihre Dienerin
zu sein. Diese Art des Umgangs mit der Schrift wird immer zwischen evangelischer
und römisch-katholischer Kirche stehen.
Diese Frage ist im Vorfeld der Unterzeichnung
der gemeinsamen Erklärung ausführlich öffentlich erörtert
worden. Die meisten von Ihnen werden sich daran erinnern. Ich kann mich
zu diesem Punkt also mit ein paar kurzen Hinweisen begnügen. Der Hauptunterschied
zwischen römischer und reformatorischer Rechtfertigungslehre ist in
meiner Sicht, daß die römische Lehre Rechtfertigung als einen
Prozeß der Gerechtwerdung versteht, während die reformatorische,
und das heißt biblische Lehre davon redet, daß der Sünder
durch einen unverdienten Gnadenerweis gerecht gesprochen wird. Bei sich
selbst bleibt der Sünder auch dann, wenn er Christ geworden ist, ein
Sünder. Vor Gott aber ist er um Christi willen gerecht. Die reformatorische
Lehre spricht daher von der Rechtfertigung des Gottlosen, während
die römische Lehre davon redet, daß der Glaube durch die Liebe,
also durch die Heiligung, vollendet wird.
Um es im Bilde zu sagen. Rechtfertigung
ist nach reformatorischem Verständnis wie eine Amnestie von Gefangenen.
Bei einer Amnestie sitzen die Gefangenen ja zu Recht im Gefängnis
und haben keine Gnade verdient. Dann jedoch entscheidet der Staat, daß
sie vorzeitig und unverdient freigelassen werden. Die Gefängnistore
tun sich auf, und die Gefangenen sind frei. Sie sind wirklich frei. Sie
müssen diese Freiheit nicht noch durch eigenes Tun vollenden. Sondern
sie können das Gefängnis verlassen und als freie Menschen ihrer
Wege gehen. Nach römisch-katholischer Lehre ist die Rechtfertigung
jedoch ein Prozeß der lebenslangen Heiligung. Dieser Prozeß
ist in den meisten Fällen noch nicht einmal mit dem Tode zu Ende.
Deshalb braucht die römische Kirche die Lehre vom Fegefeuer. Dort
wird gewissermaßen der letzte Feinschliff, die letzte Politur vollzogen,
damit der Mensch am Ende schließlich nach entsprechender Wartezeit
in die ewige Herrlichkeit aufgenommen werden kann. So schreibt der Katechismus
der Katholischen Kirche in Nr. 1030:
Wenn das so wäre, liebe Schwestern und Brüder, dann wäre
Christus umsonst gestorben, denn dann wäre sein Opfer am Kreuz nicht
ausreichend gewesen. Gewiß, das hat Rom immer gesagt, geschieht dieser
Prozeß der Heiligung, der im Fegefeuer seinen krönenden Abschluß
bekommt, aus Gnade, gewiß ist er ein Werk des Heiligen Geistes, aber
es ist eben doch ein Prozeß, an dem der Mensch aktiv beteiligt ist.
Und gerechtgesprochen wird er erst dann, wenn er wirklich gerecht ist.
Kardinal Ratzinger hat im letzten Jahr in einem Interview mit der italienischen
Zeitschrift "Trenta Giorni" vom Juni 1999 die Sache auf den Punkt gebracht:
Es versteht sich, daß bei diesem
lebenslangen Prozeß der Rechtfertigung wieder einmal die Rolle Kirche
unverzichtbar ist. Denn die Kirche muß helfend und mahnend, aber
auch durch Spendung des Bußsakraments und der Eucharistie steuernd
eingreifen, damit der Christ auf dem Weg zur Gerechtwerdung nicht mutlos
wird oder sich verirrt. Er braucht die ständige Hilfe und Begleitung
der Kirche, sonst sieht es schlecht um ihn aus. Und wieder stellt sich
die Frage, ob diese ganze höchst fragwürdige Interpretation der
biblischen Rechtfertigungslehre nicht wenigstens zum Teil dem Ziel dient,
die Heilsnotwendigkeit der römischen Kirche und damit den kirchlichen
Machtanspruch zu sichern.
Im komme zum letzten Teil, zum Wort vom
Felsen aus Mt. 16. Alles, was ich bisher über den Machtanspruch der
römischen Kirche gesagt habe, könnte von römischer Seite
mit dem Wort vom Felsen pariert werden. Römische Theologen könnten
sagen und sagen auch, daß der von mir kritisierte Machtanspruch der
römischen Hierarchie ja von Jesus gewollt sei. Schließlich habe
er zu Petrus gesagt, daß er der Fels sei und daß er auf diesen
Felsen seine Kirche errichten wolle. Und in der Tat spielt dieses Wort
für die römisch-katholische Theologie eine entscheidende Rolle.
Wenn man in Rom den Petersdom besucht, sieht man, daß die römische
Kirche und auch diese Kirche selbst nach diesem Wort gebaut worden ist.
Das Zentrum des Petersdoms, wo sich Längsschiff und Querschiff treffen,
ist ja über den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus errichtet.
Über der Vierung erhebt sich die berühmte von Michelangelo gestaltete
Kuppel, und an der Basis der Kuppel ist in metergroßen Buchstaben
in lateinischer Sprache der berühmte Vers auch dem Matthäusevangelium
zu lesen:
Ganz und gar wörtlich haben die Erbauer des Petersdoms diesen Satz
verstanden: Die zentrale Kirche des Papstes, die Peterskirche in Rom, und
zwar nicht nur die weltweite dem Papst gehorsame römisch-katholische
Kirche, sondern geradezu buchstäblich auch das Kirchengebäude
in Rom, das in der Reformationszeit mit Ablaßgeldern erbaut worden
ist, ist die Kirche, die Jesus in seinem Wort an Petrus gemeint hat. Schließlich
ist diese Kirche über den Gebeinen des Petrus, also gewissermaßen
auf dem von Christus so genannten Felsen, errichtet.
ich bitte
Sie, lassen Sie sich von dieser römischen Interpretation von Matthäus
16 nicht in die Irre führen. So hat Jesus es nicht gemeint. Selbst
wenn wir einmal unterstellen würden, was, wie ich gleich zeigen werde,
falsch ist, daß Jesus mit dem Felsen, auf dem er die Kirche bauen
wollte, wirklich den Menschen Petrus gemeint hat, dann ist doch die Vorstellung,
daß diese mögliche Zusage Jesu an Petrus nicht nur für
den Apostel Petrus selbst, sondern für alle Zeit für alle römischen
Bischöfe nach ihm, also auch heute nach fast 2000 Jahren noch Gültigkeit
hätte, geradezu absurd. Es hat in der Geschichte der Päpste genügend
Amtsträger gegeben, die nun ganz gewiß keine würdigen Nachfolger
der Apostel, sondern Schurken, Verbrecher, Feiglinge und Irrlehrer gewesen
sind. Kaum vorstellbar ist, daß Jesus z.B. einen Papst wie Alexander
VI, den Vater von Cesare Borgia, der die Absicht hatte, das Papsttum zu
einer erblichen Dynastie zu machen und der politische Gegner durch Giftmord
aus dem Weg geräumt hat, als Felsen verstanden haben wollte, auf den
er seine Kirche hat bauen würde. Aber nicht nur diese Päpste
sprechen gegen die Vorstellung, daß Jesus ein für allemal das
römische Papstamt eingesetzt habe, auch die Worte Jesu aus dem Matthäusevangelium
selbst müssen ganz anders verstanden werden.
Jesus sagt diese Wort zu Petrus bekanntlich
in Reaktion auf das Bekenntnis zu ihm als dem Christus.
hatte Petrus gesagt und auf dieses Bekenntnis hin spricht Jesus die bekannten
Worte vom Felsen. Wenn man einmal unbefangen sein Sprachgefühl befragt
und untersucht, was mit dem Demonstrativpronomen dieser, diese, dieses
gemeint ist, dann ist doch folgendes klar: Wenn zwei Menschen miteinander
sprechen und einer das Wort „dieser“ benutzt, dann meint er damit doch
nicht seinen Gesprächspartner, sondern etwas anderes, etwas Drittes.
Jesus hat ja nicht zu Petrus gesagt: „Auf dich als einen Felsen will ich
meine Kirche bauen“, sondern er hat gesagt: „Auf diesen Felsen will ich
meine Kirche bauen.“ Mit dem Wort „diesen“ weist er gerade nicht auf Petrus
hin, sondern von ihm weg. Auch in diesem Punkt ist für einen unbefangen
Leser die Schrift klar und eindeutig. Das andere, das dritte, auf das Jesus
im Gespräch mit Petrus als auf einen Felsen hinweist, ist nun natürlich
nichts anderes als das Christusbekenntnis des Petrus. Nicht der Mensch
Petrus, der ein fehlerhafter und sündiger Mensch war wie wir alle,
sondern sein Bekenntnis, sein Ausruf :
ist der Fels, auf den die Kirche gebaut werden soll. Genauso
heißt es ja auch im 1. Korintherbrief:
Jesus Christus, des lebendigen Gottes Sohn,
wie Petrus es bekannt hat, ist der Grund der Kirche und der Grund unseres
Heils. Er ist der Fels, auf dem all unsere Hoffnung steht. Und nur der
Kirche, die an diesem Grund festhält und auf ihm allein ruht, gilt
die Verheißung Jesu, daß auch die Pforten der Hölle sie
nicht überwältigen werden, der Papstkirche hat Jesus diese Verheißung
nicht gegeben. Erst dann, wenn die römische Kirche diesen Grundsatz
anerkennt und daraus die Konsequenzen für ihr eigenes Kirchenverständnis
zieht, erst dann wird der Satz Luthers, daß wir auf ewiglich geschieden
und widereinander sind, nicht mehr gelten.