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Martin Luther – ein kirchliches Weichei?
Kritik an einer katholischen Lutherdarstellung
Wilhelm Drühe

Der junge Martin Luther sei ein frommer Christ des Spätmittelalters gewesen. Er tritt ins Kloster der Augustiner-Eremiten ein, gerät damit aber zunächst in sehr persönliche geistliche Probleme. Er sei übertrieben ernsthaft, ja skrupulös gewesen, also voller Ängste. Er hätte dafür aber die denkbar „objektivsten“ Gründe gehabt. „Denen hätte er sich entziehen können, wenn er es mit seinem Christsein und erst recht mit seinem klösterlichen Leben etwas weniger ernst genommen und wenn er sich auf ermäßigende Kompromisse eingelassen hätte. Doch dazu war er nicht der Charakter.“

Das schrieb Otto Hermann Pesch, emeritierter Professor, von 1975 bis 1998 römisch-katholischer Theologe an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Hamburg jetzt in einer Zeitschrift des katholischen Herder Verlages in Freiburg im Breisgau. Sein Engagement galt und gilt besonders der Ökumene, er ist sicher einer der wenigen katholischen Lutherforscher der Gegenwart. Dafür stehen seine Hauptwerke: „Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin: Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs“ (1967) und „Hinführung zu Luther“ (1982). In diesem Jahre machte er den Vorschlag, anlässlich des Reformationsjahres 2017 Martin Luther aus katholischer Sicht kirchenrechtlich vollständig zu rehabilitieren. Was wird der Vatikan dazu sagen – vor allem der frühere Universitätskollege Professor Joseph Ratzinger?

Es ist mir schwer verständlich, wie Professor Pesch, den ich immer auch verehrt habe, einen derartige Unsinn schreiben kann, auch wenn er weiter über Luthers Entwicklung als Kirchen-Reformator ausführt: „Nun wird das persönliche und inzwischen theologisch und exegetisch durchdachte Problem für Luther zum kirchlichen.“Gut hat mir an dem Zeitschriften-Beitrag (Christ in der Gegenwart) von Otto Hermann Pesch gefallen – Überschrift „Der Ablass – Luthers unerledigte Anfrage“ - , wie er zunächst von einer Darstellung der Entwicklung des Ablasses ausging, was schließlich bis auf den heutigen Tag in eine „theologische Sackgasse“ führe. Pesch: „Das engste Ende der Sackgasse liegt in dem dahinter stehenden Gottesbild.“ Genau an diesem Punkt sei Luthers frühe Theologie mit dem Ablass-System zusammengestoßen. Nur weil er ein theologisches Weichei war, der das kirchliche System seiner Zeit zu ernst nahm? Zu sensibel als Mensch, der besser nicht ins Kloster gegangen wäre?

Es ist auf der einen Seite gut, dass heute ein römisch-katholischer Theologe das Ablass- und Luther-Problem seiner Kirche so aufgreift und dann auch noch schreibt, er wisse keinen Rat zu dem „unerledigten Problem hinter dem in der Tat erledigten Problem des Ablasses in der ökumenisch belastenden Gestalt.“ Auf der anderen Seite hat sich, wie die letzten Ablass-Erklärungen des gegenwärtigen Papstes gezeigt haben – so zum Paulus-Jubiläum mit dem „vollkommenen Ablass in Rom“ und dem Ablass beim Weltjugendtreffen in Australien – , dass sich grundsätzlich theologisch zwischen 1517 und 2008 nichts geändert hat. Das Problem ist das Gottesbild in der Verfügbarkeit des Papstes als Stellvertreter Jesu Christi über den „Schatz im Himmel.“ Der Papst beansprucht eine Verfügungsgewalt über Gottes Gnaden! Die schmutzigen Finanzgeschäfte des späteren Erzbischofs von Mainz sind kirchliche Vergangenheit. Sein verstärkter Ablasshandel veranlasste Martin Luther 1517 zu seinen 95 Thesen. Es waren die schlimmen Vorgänge in der Kirche seiner Zeit, die Luther zu dem Versuch einer Kirchen-Reformation brachten. Der Angsthase im Kloster habe – so Professor Pesch – diese Angst in die viel zitierte Frage gegossen: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Dann habe er aber erkannt, dass diese Frage falsch gestellt war. „Wir müssen keinen gnädigen Gott ‚kriegen’, wir dürfen um Christi willen glauben, dass wir ihn haben.“ So der katholische Lutherforscher.

Darüber kann ich nur den Kopf schütteln! Konnte der Augustinermönch in seiner Zeit mit seinen Erfahrungen angesichts der kirchlichen Auflagen bei der „Gnadenvermittlung“ eine andere Frage stellen? So steht Luther für mich in einer langen Tradition der Kirche Roms mit vielen Reform-Versuchen. 1417 wurde Jan Hus, der tschechische Theologe, ausgerechnet auf dem Konzil zu Konstanz öffentlich verbrannt. Er hat aufgenommen, was der englische Theologe John Wycliffe (+ 1384) zu den kirchlichen Missständen gelehrt hatte, auch über die päpstliche Gewalt. Das Konstanzer Konzil erklärte diesen 1415 posthum zum Ketzer und ließ seine Gebeine 1418 verbrennen. Für mich stellt sich die Frage, die ich auch in dem Beitrag von Professor Pesch gefunden haben: „Kann der Papst letztlich bestimmen, wer und in welchem Ausmaß der Gnade Gottes teilhaftig wird und wer nicht?“ Für mich hat ein Mensch, wenn er sich auch durch die kirchliche Hierarchie als Papst wählen lässt und dieses Amt ausübt, grundsätzlich keine Kirchen-Gewalt dieser Art. Darin folge ich Martin Luther – nicht nur weil er ein Mensch war, der mit seiner Zeit und seinem Kloster nicht fertig wurde. Er hat den Missbrauch in der Kirche seiner Zeit erkannt – ich erkenne diese auch heute noch in der Papst-Kirche!

Pfr. i.R. Wilhelm Drühe, Mettman, 6. August 2008



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