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Vom Christomonismus zum Theomonismus

Zur kirchlichen Lage 80 Jahre nach Barmen



In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 heißt es in These 1: „Jesus Christus ist das eine Wort Gottes“. Karl Barth, von dem die Formulierung wohl stammt, wollte damit die Relevanz des Glaubens an Jesus Christus für ethisch-politische Fragen zum Ausdruck bringen. Im Hintergrund stand bei ihm das aus der reformierten Tradition stammende Modell der „Königsherrschaft Christi“. Der lutherische Theologe Werner Elert diagnostizierte in Barmen 1 bekanntlich einen „Christomonismus“. Ganz Unrecht hatte Werner Elert mit dieser Diagnose sicher nicht. Denn in der Folge von Barmen I wurden bis weit in die 80er Jahre hinein eine ganze Reihe von politischen Positionen christologisch begründet: Die Ablehnung der Atombewaffnung der Bundeswehr in den 50er Jahren, der friedlichen Nutzung der Atomkraft und der atomaren Abschreckung der NATO gegenüber der Sowjet-Union, der Kampf gegen die Apartheit, das Eintreten für den Sozialismus als angeblich Christus-gemäßere Gesellschaftsform usw. Der Lutherische Konvent im Rheinland hat in dieser Zeit immer wieder im Sinne der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre gegen eine christologische Überhöhung von politischen Fragen Stellung bezogen und klar gestellt, dass es keinen „usus politicus evangelii“ (Gerhard Ebeling) gibt.

Eigentümlicher Weise hat nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union und dem Fall der Mauer das Interesse an christologischen Begründungen politischer Positionen merklich nachgelassen. Hat das mit dem Scheitern des Sozialismus als Gesellschaftsmodell zu tun? Wurde Barmen I etwa deswegen so hoch gehalten, weil man damit eine christliche Präferenz für den Sozialismus zu begründen suchte ?

Schließt die Rede von Gott Jesus Christus mit ein?

Inzwischen sind weder Barmen I noch die christologische Begründung politischer Fragen ein Thema. Überhaupt befindet sich die Christologie in der Kirche auf breiter Front eher auf dem Rückzug. Stattdessen redet man lieber allgemein von „Gott“. Auf einer Qualitätsmanagement-Tagung für Kindergarten-Träger habe ich nachgefragt, warum in den religionspädagogischen Leitlinien für rheinische Kindertagesstätten mit dem Titel „Hoffnung leben“ (herausgegeben vom Rheinischen Verband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, Düsseldorf 2013) fast ausschließlich allgemein von Gott, kaum aber von Jesus Christus geredet wird. Ein rheinischer Superintendent entgegnete, es sei doch inzwischen allgemeiner Konsens, dass Gott inklusiv zu verstehen sei, also Jesus Christus immer mitenthalten sei, wenn von Gott die Rede ist. Interessanterweise haben Karl Barth, die dialektische Theologie und die Bekennende Kirche gerade gegen eine solche inklusive Auffassung von „Gott“ gefochten. In der Barmer Theologischen Erklärung hat dies seinen berechtigten Ausdruck gefunden.

Die Schrift „Hoffnung leben“ zeigt mit ihrem Schwerpunkt auf interreligiöser Erziehung die Interessen, die hinter diesem Theomonismus stehen. Es handelt sich um gesellschaftlich-politische Interessen:

• Da ist zum einen der vorauseilende Gehorsam gegenüber der sogenannten „political correctness“ zu nennen. In deren Sicht stört ein „solus Christus“ den gesellschaftlichen Frieden und steht sogar im Verdacht, diskrimierend gegenüber Andersgläubigen zu sein. Aber wer sich darauf einlässt, die „political correctness“ gleichsam als hermeneutisches Prinzip für die christliche Glaubensauffassung anzuwenden, der amputiert die biblische Botschaft mithilfe eines schriftfremden Prinzips. Erhält Barmen I hier nicht eine neue Aktualität in der gegenwärtigen kirchlichen und gesellschaftlichen Lage? Im Grunde trägt die „political correctness“ einen totalitären Zug in sich. Sie steht im Widerspruch zur verfassungsrechtlich garantierten positiven Religionsfreiheit, d.h. dem Recht, in religiösen Fragen dem eigenen Gewissen zu folgen und die eigene Religion im Rahmen der Verfassung frei zu leben.

• Zum anderen ist Jesus Christus ein Störfaktor im interreligiösen Dialog. Es ist ja viel einfacher, als Christ mit Juden und Muslimen ins Gespräch zu kommen, wenn man sich auf Gott bezieht und Jesus Christus, den Stein des Anstoßes, außen vor lässt. Auch hier wächst Barmen I eine neue Aktualität zu. Der Theomonismus steht für eine mit Barmen unvereinbare Geringschätzung von Trinitätslehre und Christusbekenntnis zugunsten einer „abrahamitischen Ökumene“. Da es im Rahmen des Einsatzes für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ letztlich der Mensch ist, der die Welt rettet und heilt, ist Jesus Christus eigentlich auch gar nicht mehr nötig. Ein allgemeiner „Gott“, der als religiöser Verstärker menschliches Tuns dient, reicht da völlig aus.

• Drittens spielen feministische Interessen eine Rolle. In dieser Weltanschauung hat Jesus Christus als Heiland keinen Platz, weil er ein Mann ist. Auch hier wird ein schriftfremdes Prinzip zum Maßstab für die Glaubenslehre gemacht. Aber gilt da nicht der Satz aus Barmen III „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“?

In all dem gibt es einen roten Faden: Weder Jesus Christus noch Gott sollte als religiöser Verstärker menschlichen Tuns oder menschlicher Ideen missbraucht werden. Dies ist ein unaufgebbares Anliegen der Barmer Theologischen Erklärung.

Weder Christomonismus noch Theomonismus sind wahr

Viele Lutheraner haben sich mit der Barmer Theologischen Erklärung schwer getan, weil sie in der Zeit nach 1945 für die Politisierung der Kirche in Anspruch genommen wurde. Heute kann es jedoch geschehen, dass Lutheraner Barmen hoch halten, um einem problematischen Theomonismus zu wehren.

Dabei sollten wir jedoch nicht vergessen, dass weder Christomonismus noch Theomonismus der biblischen Botschaft in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium gerecht werden. Denn das Evangelium enthält keine politischen Handlungsanweisungen, wie der Christomonismus meint. Es verkündigt nicht, was wir tun sollen (sonst würde es zum Gesetz), sondern es verkündigt uns, was Jesus Christus für uns getan hat. Das Evangelium ist also reiner Zuspruch der Vergebung und des ewigen Lebens. Dies erhalten wir jedoch nicht von einem „allgemeinen Gott“, wie der Theomonismus meint, sondern von dem einen Gott, der einzig in Jesus Christus Mensch wurde, allein in ihm zu uns hinunter kommt und der durch seinen Tod am Kreuz den Tod für uns besiegt hat.
Pfarrer Thomas Berke, Mülheim an der Mosel und Veldenz



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