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Was ist der Mensch?

Bericht über die Herbsttagung des Lutherischen Konvents im Rheinland am 1. November 2012 in Brühl

Der Lutherische Konvent im Rheinland trat dieses Jahr zu seiner Herbsttagung im Gemeindezentrum an der Johanneskirche zusammen. Nach dem Abendmahlsgottesdienst, bei dem Pfarrer Berke, Mülheim/Mosel, über Gal 5,1-6 predigte, referierte Prof. Dr. Johannes von Lüpke (Archivfoto), Wuppertal, zum Thema "Homo iustificandus fide – der Mensch im Licht des Rechtfertigungsglaubens" über die Anthropologie Martin Luthers anhand seiner Thesen "de homine" (1536).

In dieser berühmten, von Gerhard Ebeling ausführlich kommentierten Thesenreihe, deren Entstehung zeitlich mit der Behandlung der Schöpfungsgeschichte in der Genesisvorlesung (1535-45) und den 5 Thesenreihen über Röm 3,28 (1535/6) zusammenfällt, diskutiert der Reformator zunächst die um die Formel „animal rationale“ kreisende philosophische Anthropologie. Anhand der vier aristotelischen causae zeigt er, daß der Mensch ein aus Leib (causa materialis) und Seele (causa formalis) zusammengesetztes, durch die Vernunft über das Tierreich erhobenes Wesen ist. Doch kann die Vernunft die entscheidenden Fragen, woher der Mensch kommt, was seine bewirkende Ursache ist (causa efficiens), was seine Bestimmung und sein Ziel sein soll (causa finalis), nicht beantworten. Unsere Herkunft und Zukunft liegen deshalb im dunkeln.

Die theologische Anthropologie zeigt dagegen, daß der Mensch als Geschöpf aus Gottes Hand kommt, durch die Sünde von Gott abgefallen ist und der Rechtfertigung durch Jesus Christus bedarf, wenn er zum ewigen Leben bei Gott gelangen soll. Diese anhand weniger Bibelstellen, besonders Römer 3,28 – „hominem iustificari fide – der Mensch wird durch den Glauben gerechtfertigt“ - entwickelte, aber die ganze Hl.Schrift zusammenfassende Definition des Menschen könne wie die reformatorische Rechtfertigungslehre zwar mit wenigen Worten gelehrt, müsse aber ein Leben lang immer neu gewonnen und im Glauben eingeübt werden.

Der Mensch, so führte von Lüpke aus, komme seiner Existenz nicht selbst, aus eigener Vernunft auf den Grund. Im Hören auf Gottes Wort öffne sich aber in der Seele ein verborgener, unendlicher Raum, in dem wir uns zugleich selbst entzogen und in Gott gegründet erfahren. Nicht in uns, sondern aus dem Wort Gottes und in Jesus Christus lebt der Mensch! Nur so werden Schöpfer und Geschöpf richtig unterschieden und kommen doch in Wort und Glauben zusammen.

In der theologischen Anthropologie habe sich Luthers Erkenntnis, daß der Mensch nicht als isolierte Substanz zu betrachten sei, sondern als Beziehungswesen, in Relation zu Gott zu verstehen sei, zwar allgemein durchgesetzt. Diese formale Auffassung sei jedoch inhaltlich mit der Rechtfertigungslehre zu füllen. Luther habe sowohl die Sünde und das durch sie gestörte Gottesverhältnis, als auch die Gnade und die durch sie versöhnte und geheilte Gottesbeziehung, radikal gedacht. Damit widersprach er nicht nur der gängigen, an Aristoteles orientierten scholastischen Anthropologie seiner Zeit, sondern unterscheidet sich auch von den säkular-philosophischen Konzepten der Neuzeit, die den Menschen idealistisch, materialistisch, naturwissenschaftlich oder subjektorientiert beschreiben, aber von seiner Gottesbeziehung absehen. Der Mensch ist jedoch primär nicht sein eigener Täter oder Entwurf, sondern Geschöpf und Werk Gottes im Hinblick auf sein zukünftiges Reich, „pura materia Dei ad futurae formae suae vitam – Gottes bloßer Stoff für das Leben in seiner zukünftigen Gestalt“, wie Luther sagt.

Diese bibelorientierte Auffassung des Menschen werde in manchen neueren theologischen Entwürfen, die das Gottesverhältnis als Selbstverhältnis auszulegen versuchten und Gottes Wort nur zur Selbstorientierung und „Selbstdurchsichtigkeit“ des Menschen bräuchten (von Schleiermacher über Ulrich Barth bis zu Christian Danz und Notger Slenczka) verlassen. Aber das Evangelium, etwa Jesu Seligpreisungen, sei kein Beitrag zum besseren inneren Selbstverständnis des Menschen, der in seiner Selbstrechtfertigung ende, sondern ein externer Zuspruch und Freispruch Gottes, der unsere Existenz trotz unserer Sünde rechtfertige. Gerade angesichts unserer Geburt, unserer seelischen Abgründe und unserer Sterblichkeit sei Gott das erste und letzte Wort zu überlassen. Luther zeige etwa in seinem „Sermon von der Bereitung zum Sterben“ (1519), wo er den Tod als Wiedergeburt zum ewigen Leben beschreibe, und in seiner 2. Psaltervorrede (1528), wo er das menschliche Herz mit einem Schiff auf dem sturmbewegten Meer der Affekte vergleiche, wie die Bestimmung des Menschen nur aus Gottes Wort zu erfassen sei. Im diesem Wort waren wir vor unserer Geburt, durch dieses Wort wird unsere Seele getragen, in diesem Wort finden wir im Tod das Leben!

Die anschließende lebhaften Diskussion kreiste besonders um das Verständnis der menschlichen Sünde im Wandel der Zeiten, ihre moralische Engführung und pharisäische Verborgenheit, und um die Fragen der Schöpfungstheologie, ob und auf welcher Ebene die Kirche dem herrschenden Darwinismus, der die qualitativen Sprünge der Entstehung des Lebens und des Geistes nicht erklären könne, entgegentreten könne. Danach wurden Für und Wider des Aufrufs „Ökumene jetzt!“ von Bundestagspräsident Lammert u.a. und des Kölner Beschneidungsurteils besprochen.

Auf der Frühjahrstagung am 3.3.2013 wird Pfr. Dr. Wolfhard Schlichting, Obertraubling (Bayern), einen Vortrag zum Thema „Ist der Gott des Islams und der Bibel derselbe Gott?“ halten.

Pfr. Winfrid Krause, Thalfang, Vorsitzender, 03.11. 2011



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