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Liturgische Betrachtungen I

"Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes - Gruß zum Eingang und Segen zum Ausgang"
Robert Stratmann

Bevor die Kommentarserie "Liturgische Verwerfungen" fortgesetzt wird, werden drei "Liturgische Betrachtungen" von Pfr. Robert Stratmann eingeschoben.

Diese beiden Zusprüche – der Gruß zum Eingang und der Segen zum Ausgang des Gottesdienstes – sind nicht der unmittelbare Beginn und Schluss des Gottesdienstes. Sie sind das erste und das letzte gesprochene Wort, besser gesagt: der erste und der letzte Zuspruch des Liturgen bzw. der Liturgin an die Gemeinde.

Ehe ich die Gemeinde im Namen des dreieinigen Gottes, der uns einlädt, grüße, hat der Gottesdienst bereits begonnen mit der Musik zum Eingang und dem Lied der Gemeinde zum Eingang. Während dessen letzter Strophe gehe ich ohne Eile zum Altar, verharre vor den Stufen noch mal, verneige mich und steige dann die Stufen hinauf. Während die Gemeinde noch singt, bleibe ich in derselben Richtung stehen wie die Gemeinde: zum Altar hin. Ich weiß, was ich gelernt habe und was gilt: Gott können wir nicht lokalisieren, wie wir irdische Dinge orten können. Dennoch – ich bin anders als Gott an Raum und Zeit gebunden – behelfe ich mir mit einer räumlichen Vorstellung: in der unendlichen Verlängerung der liturgischen Hauptachse ahne ich Gottes Thron. Und so öffne ich aus der liturgischen Grundhaltung heraus langsam die Hände nach oben wie zum Empfangen. Meine Augen sind erwartungsvoll auf den Altar gerichtet.

Wenn die letzte Liedstrophe der Gemeinde verklingt, löse ich meine Haltung auf und wende mich der Gemeinde zu, die sich nun erhebt. Dann spreche ich: „Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und die Gemeinde bekräftigt: „Amen.“ Ja, das glauben wir, dass wir auf Einladung des dreieinigen Gottes zusammengekommen sind. Er schließt uns zusammen zu seiner Gemeinde.

Weder ist – entgegen einem alten Missverständnis – der Gottesdienst meine Veranstaltung (sodass man mich kränkt, wenn man nicht kommt), noch „halte“ ich Gottesdienst. Vielmehr feiert die Gemeinde Gottesdienst, und sie hat mich bestellt, ihn leiten zu dürfen. Darum enthalte ich mich im Normalfall jedes weiteren Wortes.

Wenn ich selber im Gottesdienst als Gemeindeglied bin, dann bekreuzige ich mich beim Eingangsgruß, nicht mit einem schnellen zackigen Haken in der Luft 10 cm vor meinem Körper, sondern langsam mit einem schönen ausladenden großen Kreuz: ich führe meine Hand zur Stirn, in die Mitte zur Brust, auf die linke Seite, dann auch die rechte, indem ich meinen Körper berühre, wie er am 10. November 1953 bei meiner Taufe berühre. Habe ich Taufwasser oder in einer katholischen Kirche Weihwasser (für mich kein Unterschied!) zur Verfügung, dann nehme ich es selbstverständlich mit der Hand auf und erinnere mich beim Kreuzzeichen an meine Taufe. Und so sage ich auch zum Abschluss: „Ich bin getauft“, sprich: ich bin gerettet zu neuem ewigem Leben durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi.

Als Liturg tue ich dies alles nicht, aber ich habe es im Gedächtnis. Meine Hände ruhen beim Eingangsgruß in der liturgischen Grundhaltung, sind also zu einem Körbchen ineinandergelegt und nach oben geöffnet. Zuallererst lebe ich selber wie die Gemeinde davon, von Gott her beschenkt zu sein.

Dass Gott ein dreieiniger Gott ist, ergibt sich aus der ganzen Heiligen Schrift. Er muss sich uns offenbaren, die wir von uns aus seine Existenz höchstens ahnen, jedoch nichts von seinem Wesen wissen können. Er offenbart sich in seinem Wort. Christus ist Gottes gültiges Wort für uns. Um es vernehmen zu können, muss er uns seinen Geist schenken. Deswegen sage ich: „Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Da ich das nicht einfach so obenhin sagen kann, bedarf die Gottesdienstleitung für mich gründlicher und eingehender Vorbereitung, fast eines kleinen Exerzitiums. Vor Gottesdienstbeginn brauche ich etwa eine Stunde für mich.

Wenn ich dies beharrlich und regelmäßig tue, dann kann ich von der Regel auch mal zur Ausnahme gehen, etwa bei einem Familiengottesdienst oder einem Gottesdienst im Grünen oder bei einem Konfirmationsgottesdienst. Es können da auch Willkommensworte folgen oder vorausgehen. Eine steife Feierlichkeit, die niemanden mehr abholt, will ich ebenso wenig wie den Eindruck, ich begrüßte die Gemeinde zu meiner Veranstaltung. Dies jedoch muss immer klar sein: wir feiern Gottesdienst auf Einladung und im Namen des dreieinigen Gottes.

Dem Gruß zum Eingang entspricht der Segen zum Ausgang. Es ist der aaronitische Priestersegen, welcher der Gemeinde und mir dreigliedrig (wie auch sonst?) den Frieden zuspricht, den die Welt nicht geben kann und der allen unseren menschlichen Friedensbemühungen vorausliegt. Im Normalfall formuliere ich ihn in der Form des Zuspruchs („Der Herr segne euch“), nicht in der Form der Feststellung („Der Herr segnet euch!), nicht in bloßer Wunschform („Der Herr segne uns“), nicht in Gebetsform („Herr, segne uns“). Denn der Zuspruch des Segens, zu dem Gott uns ermächtigt und beauftragt hat, ist wirkmächtiges Wort für dich und mich. Die Bitte um den Segen geht voraus, in Württemberg mit Luthers Antiphon „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (eigentlich dem Mittagsgebet entstammend) oder einem anderen Segenslied. Ich singe es am Altar mit, der ich den Segen ebenso wie die Gemeinde brauche, wieder mit nach oben offenen empfangenden Händen. Dann löse ich die Haltung auf, wende mich der Gemeinde zu, breite zunächst die Hände zur Gabengeste aus (vorderer mittlerer Bereich, Hände nach oben offen) und sagen: „Gehet hin im Frieden des Herrn.“ Dann kehren meine Hände in die liturgische Grundhaltung zurück. Sodann breite ich sie zur Segensgeste aus, die uns sofort an den Auferstandenen erinnern soll, der den Jüngern seine Nägelmale zeigt und sagt: „Siehe, ich bin bei euch, alle Tage, bis an das Ende der Welt.“ Denn er wird nicht an der Kirchentür zurückbleiben sondern mit dir und mir gehen und uns so auf seine Weise miteinander verbinden. Und so spreche ich: „Der Herr segne euch und behüte euch. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden.“ Dabei richte ich (wie übrigens auch beim Gruß zum Eingang) meinen Blick zuerst nach links, dann zur Mitte, zuletzt nach rechts, denn die Gemeinde soll sich angesprochen fühlen. Weder starre ich geradeaus, noch schließe ich die Augen.

Im dritten Teil des Segenswortes hole ich zum Kreuzzeichen aus. Den linken Arm nehme ich hierfür herunter, mit dem rechten führe ich zunächst eine kleine Dirigentenbewegung nach oben, bei der ich mich wieder zur Mitte wende, und zeichne dann ein schönes großes Kreuz, den Querbalken etwas von den Stamm gesetzt, sodass die Gemeinde das Kreuz auf sich zukommen sieht. Beim Amen der Gemeinde(in Württemberg ein dreifaches Amen), das ich natürlich nicht mitsinge, kehre ich in die liturgische Grundhaltung zurück.

So steht der Gottesdienst im Namen des dreieinigen Gottes, der mit uns durch die Woche geht.

Pfr. Robert Stratmann, Ulm-Jungingen, 16.08. 09



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Liturgische Betrachtungen II

"Gnade sei mit euch und Friede ... "
Kanzelgruß und Kanzelsegen
Robert Stratmann

Bevor die Kommentarserie "Liturgische Verwerfungen" fortgesetzt wird, werden drei "Liturgische Betrachtungen" von Pfr. Robert Stratmann eingeschoben.

Apostolischer Gruß und apostolischer Segen eröffnen und schließen einen Paulusbrief. Und so halten wir es auch im Gottesdienst. Wer es sich also angewöhnt hat, jeden Gottesdienst zu beginnen: „Guten Morgen liebe Gemeinde, an diesem wunderschönen sonnigen Sonntagmorgen begrüße ich Sie recht herzlich“, der müsste eigentlich dann konsequent sein und den Gottesdienst mit einem „Tschüß“ beschließen, „einen schönen Sonntag noch und eine gute Woche und kommen Sie doch am nächsten Sonntag wieder, ich würde mich freuen, Sie wieder begrüßen zu dürfen.“

Wir sind keine Apostel. Wir müssten ja sonst den auferstandenen Herrn gesehen und gehört haben. Aber den apostolischen Gruß und Segen dürfen wir einander zusprechen. Denn wir sind apostolisch, weil wir in der Apostel Lehre geblieben sind: dass Gott ein dreieiniger Gott ist und dass Jesus Gottes Sohn ist. Und so stehen Gruß und Segen nicht nur am Anfang und am Schluss des ganzen Gottesdienstes, sondern sie stehen auch am Anfang und am Schluss der beiden Zentralstücke Predigt und Abendmahl. Und so betrachten wir nun den Kanzelgruß und den Kanzelsegen.

Während der letzten Strophe des Hauptliedes steige ich auf die Kanzel. Ich habe keine Angst, weder vor diesem exponierten Platz, noch vor der größeren Entfernung von der Gemeinde. Auch bilde ich mir nicht ein, nun über den Gemeindegliedern zu stehen. Ich verabscheue es, die Gottesdienstbesucher und –besucherinnen „abzukanzeln“, „in den Zenkel zu stellen“, ihnen zu sagen, wo es lang geht. Die Hörer und Hörerinnen wissen, dass ich ihnen nahe bin, auch wenn ich einen Talar trage und nun an diesem exponierten Platz stehe. Sie wissen vor allem, dass die Botschaft, die ich nun gleich wieder weitersage, Energie aus mir freisetzt, und so ist es nicht falsch, den Platz auf der Kanzel einzunehmen, denn die Gemeinde soll nicht – salopp gesagt – „den vollen Strahl abkriegen“. Wie es ein Zu-Weit-Weg gibt, so gibt es auch ein Zu-Nah-Dran.

Während die Gemeinde noch singt, verharre ich in der liturgischen Grundhaltung (die Hände zu einem Körbchen zusammengelegt). Dann lasse ich einen kurzen Augenblick verstreichen, breite die Hände zur Gabengeste aus und sage: „Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt.“ Damit habe ich die Richtung vorgegeben, in der ich gehen und mit den Hörern und Hörerinnen umgehen möchte. Gottes Gnade für ihre Sünde und seinen Frieden für ihr Leben möchte ich ihnen verkündigen. Das war gestern so, heute ist es so, und es wird in Zukunft nicht anders sein. Und weil es ein Zuspruch ist, richte ich wieder den Blick in drei verschiedene Richtungen in der Kirche, sodass klar wird: zu uns sagt er es, uns meint er. Beim Kanzelsegen werde ich es ebenso machen.

Nun lese ich den Predigttext. Ich enthalte mich erklärender Einfügungen. Ich möchte das Wort der Heiligen Schrift stehen lassen. Während des Lesens habe ich die Nase in der Bibel. Ich schaue nicht auf. Denn nun hat der biblische Autor das Wort, noch nicht ich. Wenn ich danach noch ein Kanzelgebet spreche, dann tue ich es kurz und entlehne mir hierfür ein biblisches Wort, etwa: „Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.“ Denn ich präsentiere in solch exponierter Position nicht meine innerste Frömmigkeit. Sonst spiele ich mich – ob bewusst oder unbewusst – damit selber in den Vordergrund. Ich erinnere mich der silbernen Taube, die unter dem Schalldeckel der Kanzel unserer Kirche hängt, bzw. der kleinen leeren Kanzel in dem gotischen Türmchen über der Kanzel des Ulmer Münsters. Der Heilige Geist ermächtigt uns zum Reden. Auf uns kommt es letztlich nicht an.

Sodann stelle ich mir eine Fußmatte von einem Quadratmeter vor, die ich nicht verlassen darf, stelle die Beine locker nebeneinander, bringe die Hände mit den Handflächen nach oben in den vorderen mittleren Bereich. Dort bleiben sie. Und dann rede ich mit Leidenschaft, aber ohne falsches Pathos. Wenn ich ins Manuskript schauen muss, dann schweige ich. Wenn ich rede, dann schaue ich die Gemeinde an (nicht ins Manuskript). Entweder ins Manuskript schauen oder predigen – eines von beidem geht nur.

Eine Predigt ist ja kein Referat, mit dem ich Wissen vermitteln will. Sie ist auch nicht einfach eine Rede (wiewohl diese Definition schon ein wenig treffender ist), denn in einer Rede geht es ja hauptsächlich um die Person des Redners. Predigt ist Anrede. Sie geht auf du und du. Ich sage weiter, was ich vernommen habe: „Du bist in Gottes Augen recht, nicht durch das, was du tust oder nicht tust, sondern allein durch Gottes Gnade, die in Jesu Kreuz und Auferstehung manifest wurde. Glaube das und du hast es!“

Trotzdem fließt genug von meiner Person ein. Die gottesdienstliche Predigt wird von vielen Faktoren mitbestimmt, die allesamt schlicht menschlich und weltlich sind. Ich habe meine Biografie, meine Familie, meine Erziehung, meine Sozialisation, meine Prägung, meine Bildung, die soziale Schicht, der ich entstamme, und meinen Freundeskreis, meine Eigenheiten, meine Unarten, meine Fähigkeiten und meine Unzulänglichkeiten. Dies alles wird mitpredigen. Ich habe meinen politischen Standpunkt und meine gesellschaftliche Position. Ich habe meine Gefühle, die mich an eben diesem Sonntagmorgen überkommen. Ich habe meine Lebenserfahrung, die sich mir für alle Zeiten eingeprägt hat. Das wird unweigerlich mitpredigen. Es ist die Gemeinde präsent. Die einzelnen Hörer in der Gemeinschaft der gottesdienstlichen Versammlung mit ihren Erfahrungen, ihren Gefühlen und ihrem Ergehen werden das Predigtgeschehen mitbestimmen.

All dies, was auch abgesehen vom Evangelium präsent ist, können wir summieren unter dem Begriff „Gesetz“. Wir benutzen ihn auch für den Dekalog, also die Weisung Gottes zum Leben. Deswegen dürfen wir ruhig so weit gehen und ihn auf unsere gesamte Lebenswirklichkeit ausweiten. Aber das Gesetz erlöst uns nicht von unserer Sünde und vom Tod. Erlöst sind wir allein durchs Evangelium. Vergebung der Sünde und ewiges Leben gewinnen wir nicht aus den Erfahrungen unseres jetzigen Lebens, sondern allein aus Kreuz und Auferstehung Jesu Christi.

Wenn ich gesagt habe, was ich zu sagen hatte, ja: sagen musste, öffne ich wieder die Hände zur Gabengeste und sage: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.“ Denn Gott vermag es, sich unserer menschlichen Vernunft – seiner Gabe – zu bedienen, die ihn nie wird fassen können. So ist dieser Zuspruch zugleich ein Fragezeichen hinter alles, was wir – ich als Prediger zuerst – für vernünftig halten. Und dass das Wort der Heiligen Schrift wieder und wieder zu Gottes Wort für dich und mich wird und sich mit unserem Leben verbindet, das fällt nicht mehr in die Verantwortung des Predigers. Das hat sich der Heilige Geist vorbehalten.

So zeigen Kanzelgruß und –segen an, was in der Predigt geschehen wird und geschehen ist.

Pfr. Robert Stratmann, Ulm-Jungingen, 28.08. 09



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Liturgische Betrachtungen III

Heilig, heilig, heilig ist Gott, der Herre Zebaoth
Präfation und Dankpsalm
Robert Stratmann

Predigt und Abendmahl sind die beiden Zentralstücke eines evangelischen Gottesdienstes. Das ist auch dann so, wenn in unseren Kirchen das Abendmahl nicht jeden Sonntag gefeiert wird. Ich persönlich behelfe mir da so, dass ich eben eine Art offenen Platz in dem kleinen Augenblick zwischen Fürbitten und dem Gebet des Herrn empfinde.

Predigt und Abendmahl sind jedoch nicht zwei voneinander isolierte Gottesdienstteile. Ich denke, die Unsitte, das Abendmahl ein- bis zweimal jährlich im Anschluss an den Gottesdienst für die besonders Disponierten zu feiern (die protestantische Form einer Winkelmesse!), haben wir endlich hinter uns gelassen. Vielmehr sind die beiden Zentralstücke Predigt und Abendmahl aufeinander bezogen, und sie korrespondieren miteinander.

Ist die Predigt Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, so ist das Abendmahl die Austeilung des Evangeliums schlechthin. Denn wir empfangen da ja – was für ein ungeheuerlicher Gedanke! – Leib und Blut Jesu Christi, unseres auferstandenen Herrn. Dein und mein Leben und das neue göttliche Leben des Auferstandenen, sie liegen künftig ineinander. Allerdings ist uns die göttliche Gabe als Brot und Wein geschenkt, denn würden wir sehen, was wir da empfangen, es wäre dasselbe, als würden wir Gott sehen. Und so würde es uns gehen wie Jesaja im Tempel, den die Ahnung des göttlichen Thrones schon fast das Leben gekostet hätte.

Es liegt auf der Hand, dass das Heilige Abendmahl ebenfalls mit einem Gruß eingeleitet wird. Der Segen am Schluss ist identisch mit dem Segen zum Ausgang des Gottesdienstes. Denn nach solcher Erfahrung göttlicher Gegenwart muss alsbald das Ende des Gottesdienstes kommen. Das lässt sich durch nichts übertreffen. Doch hat nach der Kommunion ein Versikel seinen Platz, das mit dem Dankgebet zusammen das Heilige Mahl abschließt, das je nach Gemeinde oder Landeskirche auch verschieden lauten mag.

Während die Gemeinde ein Lied zur Gabenbereitung singt, bzw. während ein Chor singt oder der Organist einen Orgelchoral spielt, begebe ich mich in die Sakristei und lege das weiße Chorhemd an, das wir in Württemberg in vielen Gemeinden seit der Reformation bei der Feier der Sakramente bis zum heutigen Tag über dem Talar tragen. Dann begebe ich mich zum Altar und rüste Brot und Wein für die Feier des Abendmahls zu. Nach einem Gabengebet breite ich die Hände zur Gabengeste aus und sage: „Der Herr sei mit euch!“ „Und mit deinem Geist!“ antwortet die Gemeinde, denn ich bedarf wie sie der Gegenwart Gottes. „Erhebet eure Herzen!“ ist mein nächstes Wort; weg von euch selber, weg von eurer Verhaftung auf eure Schuld und Versäumnisse, heraus aus der incurvatio eurer Herzen in seipso, aus eurer Verkrümmung, aus eurer Nabelschau (und ich sage das in erster Linie zu mir selber!). „Wir erheben sie zum Herren“ antwortet die Gemeinde: wir lassen uns begradigen, ausrichten auf Gottes Gabe hin.

Dann folgt das Präfationsgebet mit dem Sanctus. So erinnern wir uns an Jesaja im Tempel. Wir vergessen es nicht, dass Gottes Gegenwart auch lebensgefährlich ist. Jesaja wäre vergangen, wäre ihm nicht ein Himmelsbürger zu Hilfe geeilt. Das zeigt uns, dass Gott uns selber vor seiner verzehrenden Heiligkeit schützt – der unser Leben will, der „Liebhaber des Lebens“, wie er im Sirachbuch genannt wird – und so kommt er zu uns in Gestalt seines Sohnes, „arm und reitet (wie ein Landarbeiter nach getaner Arbeit) auf einem Esel.“ Darum schließt sich an das Sanctus unmittelbar das „Hosianna, gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ an.

Und so hält der Herr bei uns Einzug, in deinem und meinem Herzen und in der Gemeinde, und bietet uns den Platz an seinem Tisch an, den wir zuvor mit den Gaben der Schöpfung decken durften. Indem diese Szene vor meinem inneren Auge steht, spreche ich das Eucharistiegebet mit den Gabeworten, bei denen ich selbstverständlich das Brot breche und mit dem Kreuzzeichen – ebenso wie den Kelch – segne. Denn was ich sage, tue ich auch: „ . . . nahm er das Brot, sagte Dank und brach’s . . . nahm er den Kelch, sagte Dank . . .“. Wenn wir dann das Gebet des Herrn sprechen, dann zeigt sich hier an schönsten und eindrücklichsten, dass wir der Leib Christi sind. Und wenn die Gemeinde daraufhin singt: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd’ der Welt, erbarm dich unser . . . gib und deinen Frieden“ zerbreche ich die Zelebrationshostie noch mal. Ich tue es langsam und mache mir dabei bewusst: wie das Brot zerbricht, so muss der Leib unseres Herrn zerbrochen und sein Blut vergossen werden – damit wir mit ihm leben. Die Erlösung unseres menschlichen Blutes geschieht durch Blut. Und im Leben des Sohnes Gottes geht es um eine Geschichte von Blut und Tränen. So ist künftig die Welt erlöst.

Vor der Kommunion sage ich: „Kommt, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Wohl dem, der auf ihn trauet.“ Denn es ist Gottes leibliches Gabewort, das wir nun austeilen und miteinander teilen. Bei der Distribution lasse ich mir viel Zeit. Dass ich nachher gleich in die nächste Gemeinde zum Gottesdienst davon muss und mir hierfür mich viel Zeit bleibt, vergesse ich völlig. Jedem Abendmahlsgast blicke ich in die Augen, halte ihm das gesegnete Brot vor Augen, sage: „Der Leib Christi“, lege es ihm in die offene Hand (mit einem leichten Druck): „Für dich gegeben.“ Ebenso bei der Austeilung des gesegneten Kelches: „Das Blut Christi, für dich vergossen.“ Du bist gemeint, für dich geschah es. Jede Gruppe entlasse ich mit einem Bibelwort und dem Segenswunsch: „Gehet hin im Frieden des Herrn.“ Denn Gottes Wort begleitet uns künftig auf unserem Weg. Zuletzt lasse ich mir selber das Abendmahl von einem Kirchengemeinderat reichen.

Ich habe mir vorgenommen, in jeder Gemeinde, in der ich Pfarrer bin oder war, mit Geduld, aber beharrlich die Unsitte zu beseitigen, beim Empfang von Brot und Wein „Danke“ zu sagen. Auf das Gabewort kann die Antwort nur „Amen“ lauten. Wie ich mich für die Einladung zu einem Festmahl beim Gastgeber und nicht beim Kellner bedanke, so erfolgt hier der Dank an den Gastgeber in dem folgenden Dankpsalm und einem unmittelbar anschließenden Dankgebet. Bei uns in Württemberg hat sich hier der Anfang des 103. Psalms eingebürgert: „ . . . vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“

„Da sie den Lobgesang gesprochen hatten, gingen sie hinaus . . .“ – den Weg zur Verhaftung, in die Gerichtssäle und ans Kreuz aber geht unser Herr allein. Dieser Weg ist von uns nicht gefordert. Wir würden nur einschlafen wie die Jünger am Ölberg, aufgescheucht das Verkehrte tun wie Petrus und schließlich türmen wie „alle Jünger“. Und so findet für der Satz der Passionsgeschichte die Fortsetzung: „ . . . gingen sie hinaus in ihren Alltag an den Ort ihres Lebens.“ Denn Gott hat den Gekreuzigten auferweckt, und so gilt für uns: „Dort (am Platz eures Lebens) werdet ihr ihm begegnen“ – im nächsten Gottesdienst, in der Begegnung mit dem Nächsten, in einem schlichten Trostwort, das mir zugesprochen wird . . .

Pfr. Robert Stratmann, Ulm-Jungingen, 15.09. 09



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