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Lichtmess – die dunklen Tage gehen zu Ende, und es wird wieder hell um uns
Pfr. Robert Stratmann, Ulm-Jungingen

Eine der biblischen Zahlen ist die 40. Für die Zeit der Wüstenwanderung der Kinder Israel werden uns 40 Jahre angegeben. 40 Tage und Nächte habe Jesus in der Wüste im Süden des Heiligen Landes verbracht, so erzählt uns die Geschichte von der Versuchung des Herrn. Wenn also die Zahl 40 angegeben wird, dann wird uns gesagt: Gott formt neues. Er formt sich sein Volk. Und – darf ich sagen: Er erzieht seinen Sohn zu unserer Rettung? Auch wenn sich das seltsam anhört, und es vielleicht auch nicht die Sprache unserer Verkündigung werden sollte, zumindest wird deutlich, dass Gott zu unserem Heil neues anfängt und sich Zeit lässt, es zu formen und sich entwickeln zu lassen.

Damit ist die Zahl 40 die Vorgabe für die Dauer unserer christlichen Festzeiten: 40 Tage dauert die Passionszeit, denn von Aschermittwoch bis Karsamstag sind es 46 Tage. Sonntage aber sind keine Fastentage, und so müssen wir die Sonntage der Passionszeit abziehen – Invokavit, Reminiszere, Okuli, Lätare, Judika, Palmarum und wir sind wieder bei den 40 Fastentagen. Als Konfirmanden lernten wir die Reihenfolge der Passionssonntage mittels des Merkspruchs: „In rechter Ordnung lerne Jesu Passion.“

Für die Osterzeit gilt dasselbe: 40 Tage sind es von Ostersonntag bis zum Fest der Himmelfahrt Christi, dann wird die Osterkerze gelöscht und nur noch bei der Feier der Sakramente entzündet. Für die Weihnachtszeit gilt ursprünglich dasselbe. Vom 25. Dezember an müssen wir 40 Tage rechnen, dann fällt das Ende der Weihnachtszeit auf den 2. Februar. Marien Lichtmess ist das Fest des Tempelgangs von Joseph und Maria mit ihrem Stammhalter nach den Tagen der Reinigung (es sind 40 Tage, was sonst?) zum Eintrag ins Register der Geschlechter Israels. Der biblische Hintergrund ist die merkwürdige Weihnachtsgeschichte Lukas 2, 22 – 39: Simeon und Hanna, Prophet und Prophetin, die beiden würdigen Alten, stehen dabei wie Paten, und als sie den Kleinen in die Arme schließen, erleben sie es auf merkwürdige Weise, wie es hell in ihrem Leben wird.

Für uns endet die Weihnachtszeit am Erscheinungsfest oder Dreikönigstag, dem 6. Januar. Das ist freilich berechtigt, denn dieser Tag ist ja der ursprüngliche Weihnachtstermin, der in den Ostkirchen bis zum heutigen Tag begangen wird. Ich kann mich aber auch daran erinnern, dass in meiner Kindheit in einigen ländlichen Gemeinden auf der Ulmer Alb der Christbaum bis Lichtmess die gute Stube schmückte. Am Escheinungsfest wurden Kugeln und Sterne abgenommen, nur die Kerzen blieben am Weihnachtsbaum, aber diesen schaffte man erst am Abend des 2. Februar aus der Stube. Aus diesem Brauch, den man, so weit ich weiß, nur noch in der katholischen Kirche kennt, spricht die Ahnung, dass wir auch für das Fest der Geburt unseres Herrn 40 Tage brauchen, denn die Hilfe Gottes gegen Not und Tod können wir nicht eben mal geschwind in zweieinhalb Tagen feiern, wenn sich denn die Sehnsucht der Menschen des Alten Testaments – Hirten, Königen und Propheten – über 40 mal 40 Jahre hin erstreckt, und wenn es auch uns manchmal so vorkommt, dass wir auf Gottes Hilfe aus Not wohl ebenso lange warten müssen.

Wen das nicht betrifft, der hat die Möglichkeit, Gott für die Gabe seines glücklichen Lebens zu danken. Wen es betrifft, der kann darüber meditieren, dass Gott sich und uns Zeit lässt, manchmal bis an die Grenze des Erträglichen. Denn so tröstet er nun einmal: meistens langfristig, selten mit einem Sofortprogramm. Als natürliches Zeichen können wir es nehmen, dass ab Lichtmess die Tage merklich länger werden und es nach dunkler Zeit wieder hell um uns wird, denn, wie man in Württemberg sagt: „Mariä Lichtmess – bei Tag zu Nacht ess.“

Dass es wieder hell um uns wird, die wir mehr Erfahrungen mit Dunkelheit gemacht haben, als uns lieb ist, das ist die Botschaft dieses Festes. Und das ist sowohl wörtlich als auch bildlich gemeint, sowohl auf die dunkle Jahreszeit, die sich dem Ende zuneigt, als auch auf dunkle Erfahrungen, deren Ende uns in Aussicht gestellt wird.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass ausgerechnet an Lichtmess unsere Vorfahren das Heilige Römische Reich Deutscher Nation gründeten – am 2. Februar 962. Der neugekrönte Kaiser Otto der Große und seine Herzöge schenkten damit den Menschen im ostfränkischen Reich das Ende der Stammesfehden und den Frieden für fast 300 Jahre.

Nach dem Niedergang des alten römischen Imperiums und der Entstehung der christlichen Germanenreiche auf seinem Boden fehlte die Zentralmacht, die alles zusammenhielt und den Frieden zu erhalten imstande war. Und so fiel Europa zu Beginn des frühen Mittelalters in eine Phase des Unfriedens und der Fehden zurück. Aber die Germanen östlich des Rheins – Sachsen, Alemannen und Ostfranken – übernahmen die Verantwortung für das römische Reich, das sie selber zu Fall gebracht hatten. Denn sie ahnten, dass die Volksstämme Europas nicht alleine gelassen werden durften. Und so standen sie für Roms politisches Erbe ein und übernahmen selber die Zentralgewalt. Deswegen kann man mit Fug und Recht sagen, dass unsere germanischen Vorfahren wieder das Licht des Friedens in Europa zum Leuchten brachten. So war es konsequent, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation am Lichtmess-Tag ins Leben zu rufen.

Damals ist mit dem Licht Christi vor Augen Weltgeschichte geschrieben worden – ausgerechnet von Menschen, die die mediterranen Völker der Antike in einer gewissen Arroganz für Barbaren hielten.

Etwas weniger als 1000 Jahre später gebärdeten sich Nachkommen von ihnen wirklich wie Barbaren. Aber das soll uns jetzt nicht beschäftigen. Denken wir für heute nur daran, dass das Licht Christi – ohne Bild: das Vertrauen auf Christi Kreuz und Auferstehung – einmal in der Lage war, Frieden nach Europa zu bringen. Warum also nicht auch in unsere kleineren Lebensverhältnisse?

Pfr. Robert Stratmann, Ulm-Jungingen, 30.01.09



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