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Es kommt ein Schiff, geladen
Ein Adventslied voller Mystik und Symbole
Reiner Vogels

Im Evangelischen Gesangbuch findet sich unter Nr. 8 das berühmte Adventslied "Es kommt ein Schiff, geladen ..." Es ist ein Lied voller meditativer Mystik und Symbolik. Der deutsche Text stammt von Daniel Sundermann um 1626. Er geht auf ein altes mittelalterliches Marienlied zurück. Zur Einstimmung in den Advent soll versucht werden, einige der Symbole und Bilder des Liedes aufzuschlüsseln.

Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein' höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.
Menschen stehen am Meeresufer, vielleicht in einem Land, aus dem es kein Entkommen gibt, einem Land, in dem Dunkelheit und Tod regieren. So ist die menschliche Situation: Der Mensch lebt in einer unvollkommenen Welt voller Unrecht und ist dazu verdammt, nach einem kurzen und immer bedrohten Leben einen sinnlosen Tod zu sterben. Nichts anderes will die christliche Rede, dass der Mensch ein Sünder ist, besagen: Sündersein ist nicht in erster Linie ein moralischer Status, sondern ein ontologischer Status. Der Mensch ist von Gott getrennt und deshalb von jeder Hilfe und jeder echten Hoffnung abgeschnitten. Deshalb fragt er immerzu: "Woher kommt mir Hilfe?" (Ps. 121,1)

Sehnsüchtig blicken auch die Menschen am Meeresufer, an die man beim ersten Vers unseres Liedes denken muss, aufs Meer hinaus. Sie suchen den Horizont ab, getrieben von Angst und Sorge. Endlich erblicken sie ein Schiff, das langsam näherkommt. Alle Hoffnungen der Menschen ruhen auf diesem Schiff. Schwer liegt es im Wasser, bis oben ist es beladen. Es trägt nicht irgendeine Ware, sondern es trägt den Sohn Gottes, der in Gnaden kommt. Er kommt, um die Menschen im verlorenen Land zu retten.
Das Schiff geht still im Triebe;
es trägt ein teure Last
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.
Was im ersten Vers angedeutet wird, wird im zweiten vollends klar: Das Schiff, das langsam und still auf das Ufer zutreibt, ist ein Bild für Maria, die Mutter Gottes (dazu weiter unten), in den Monaten, in denen sie den Erlöser unter ihrem Herzen trug. So wie ein Kind im Mutterleibe langsam heranreifen muss, so hat das Erlösungswerk Gottes ruhig und ohne jede Hektik Gestalt angenommen, ruhig, aber gerade deshalb voller Kraft! Die Kraft ist die Liebe Gottes. Sie ist das Segel, das das Schiff sicher auf das Ufer zutreiben läßt.

Der Heilige Geist, sagt das Lied, ist der Mast. Dazu muss man wissen, dass in der Theologie der Heilige Geist oft als der gebündelte Wille Gottes in Person verstanden wird. Und der Wille Gottes, der das Schiff vorantreibt, der Wille, der den Sohn Gottes Mensch werden lässt, der den ewigen Advent der Welt herbeiführt, dieser Wille Gottes ist nichts anderes als die Liebe Gottes.
Der Anker haft' auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt.
Der Anker haftet. Das Werk Gottes ist fest und unwiderruflich. Das Schiff ist am Ufer festgemacht. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden. Gott hat sich ein für allemal und ohne Wenn und Aber mit uns verbunden. Die meisten der zentralen biblischen Sätze stehen im Perfekt! - Siehe: "Es ist vollbracht", "Des Menschen Sohn ist gekommen", "Heute ist diesem Hause Heil widerfahren", "Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten" - Perfekt, das bedeutet: Vergangenheit. Es ist geschehen. Es ist unverrückbar. Darauf ist Verlass. Das Perfekt Gottes ist sicherer und verlässlicher als alles irdische Sein, als alle menschlichen Ideen, Hoffnungen und Wünsche. Es steht fest in Zeit und Ewigkeit. Das Wort ist Fleisch geworden.
Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muß es sein.
Nachdem Vers drei die Verlässlichkeit von Gottes Handeln besungen hat, beschreibt Vers vier den Gang des Heilswerkes im einzelnen: Der Sohn Gottes, geboren als hilfloses Kind im Stall, als Sohn namenloser Eltern - nicht als Prinz im Königspalast zu Jerusalem! - gibt sich für uns verloren. Er nimmt auf sich unseren Tod und unsere Sünde, um uns von Sünde und Tod auf Ewigkeit zu erlösen. Dass er dafür "gelobet" sein muss, versteht sich von selbst. Das Kind im Stall weckt lauten Jubel, es macht groß die Freude (Jes. 9, 2). All unsere strahlenden und fröhlichen Advents- und Weihnachtslieder und Weihnachtsoratorien stimmen in diesen Jubel ein: "Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage".
Und wer dies Kind mit Freuden
umfangen, küssen will,
muß vorher mit ihm leiden
groß Pein und Marter viel,
Allerdings bleibt klar. Noch leben wir in der unerlösten Welt. Noch leben wir im Glauben und nicht im Schauen. In der Welt war das Kind von Bethlehem vom Anfang bis zum Ende seines Lebens verfolgt und gehasst, und am Ende stand das Kreuz. Niemand soll meinen, dass der christliche Glaube ein gutes Rezept sei für Glück und Erfolg in dieser Welt. Eher stellt er uns in Widerspruch zu den gottlosen Bindungen und Kräften, die diese Welt bestimmen. Und oft geht es nicht ohne Leiden. Es gibt auch heute noch Märtyrer des christlichen Glaubens. In vielen Ländern werden Christen verfolgt, und während diese Meditation geschrieben wird, geht durch die Nachrichten, dass sich die EU endlich bereitfindet, ein kleines Kontingent der Christen, die im Irak von Moslems verfolgt werden, aufzunehmen. Es war zu allen Zeiten so: Glaube schenkt Frieden mit Gott, aber er ist keine Garantie für Frieden mit der Welt.
danach mit ihm auch sterben
und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben,
wie an ihm ist geschehn.
Am Ende steht das ewige Leben. Ohne die Gewissheit, dass wir Christen dereinst zu den Erlösten gehören werden, wäre alles Christentum sinnlos. Im Advent geht es um die Ewigkeit. Darauf richten wir uns aus, und darauf bereiten wir uns vor.

"Es kommt ein Schiff, geladen" ist ein altes Marienlied. Es besingt die Mutter Gottes und vor allem den Sohn Gottes, den sie zur Welt gebracht hat. Viele evangelische Christen meinen, die Bezeichnung Marias als "Mutter Gottes" sei eine schlimme römisch-katholische Irrlehre. Dies ist falsch. Das Konzil von Ephesus, dem auch die Evangelische Kirche verpflichtet ist, hat im Jahre 431 festgelegt, dass Maria als "Gottesgebärerin" (griechisch 'theotokos') bezeichnet werden soll. Allerdings ging es damals nicht um eine Vergottung Marias oder gar um ihre Anbetung oder Verehrung als "Miterlöserin", wie es manche römisch-katholische Theologen heute wollen, sondern um das Bekenntnis zu der wahren Gottheit Christi. Und das ist genuin evangelisch. Auch die Evangelische Kirche bekennt, dass Jesus Christus nicht nur wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sondern auch wahrhaftiger Gott ist, vom Vater in Ewigkeit geboren.

Maria ist die Mutter Gottes. Der Ton liegt dabei nicht auf "Mutter", sondern auf "Gottes". Aber auch für evangelische Christen ist und bleibt Maria ein Vorbild des Glaubens. Ihr: "Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast" (Lk. 1, 38), ist bis heute Vorbild für alle, die mit Ernst Christen sein wollen. Eine junge Frau wie Maria, verlobt mit einem Mann, der als Zimmermann in Nazareth ein angesehenes Handwerk ausübte, hat sich gewiss ihr Leben anders vorgestellt, als es dann durch Gottes Eingreifen geworden ist. Aber sie hat sich in den Willen Gottes gefügt. Demütig hat sie Gott gehorcht. Darin wird Maria zu allen Zeiten unser Vorbild sein.

Pfr.i.R. Reiner Vogels, Swisttal, 29.11. 2008



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