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Wie ein Adler sein Gefieder über seine Jungen streckt
Gedanken zum Fest des Heiligen Geistes
Reiner Vogels

Die zweite Strophe des Paul-Gerhardt-Liedes "Sollt ich meinem Gott nicht singen ..." (eg 325) beginnt mit den Worten: "Wie ein Adler sein Gefieder ...". Paul Gerhardt greift ein Bildwort aus dem "Lied des Mose", 5. Mose 32, 11 auf. Mose nimmt Adler, die bei den ersten Flügen ihrer Jungen schützend über ihnen schweben und ihnen bei ihren Flugübungen helfen, als Bild für den Schutz, mit dem Gott sein Volk behütet und geleitet hat.

Ein ganz anderer und für die meisten überraschender Bezug von 5. Mose 32, 11 findet sich, wenn man in den hebräischen Text der Bibel schaut: Das hebräische Verb ('rachaph'), mit dem Mose in seinem Lied das schützende Schweben des Adlers besingt, findet sich nur noch ein einziges Mal im Alten Testament. Es steht in 1. Mose 1, 2. Luther übersetzt diese Stelle mit den Worten: " ... und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser." Ganz offensichtlich nimmt die Bibel den Adler, der über seinen Jungen schwebt, nicht nur als Bild dafür, wie Gott sein Volk bei seinem Auszug aus Ägypten begleitet und geschützt hat, sondern auch als Bild dafür, wie der Geist Gottes von Anfang an die entstehende Schöpfung Gottes begleitet, gefördert und geschützt hat. Der Heilige Geist ist also Mitschöpfer und aktiver Gestalter der Schöpfung. Diese biblische Erkenntnis steht allen Versuchen entgegen, den Heiligen Geist bloß als unpersönliche Kraft, als "heilige Geistkraft", zu verstehen. Von Anfang an, vor aller Schöpfung von Himmel und Erde schon, war der Heilige Geist die dritte Person der Trinität. Und genau das bekennt die Christenheit Sonntag für Sonntag in ihren Gottesdiensten mit den Worten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.

Das Bild des Adlers, der seine Jungen bei ihren ersten Ausflugsversuchen unterstützt und behütet, läßt sich nun aber nicht nur trinitätstheologisch im Sinn christlicher Dogmatik interpretieren, es enthält noch eine ganz andere, unsere Hoffnung und unsere Erlösung betreffende Botschaft: Der Adler beschützt und beschirmt - wie viele andere Tiere auch - seine Jungen, und er bewahrt sie nach Kräften vor allen Gefahren. Auch bei uns Menschen ist es nicht viel anders. Es entspricht unseren elementaren Instinkten und Gefühlen, daß wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften unsere Kinder beschützen, sie fördern und sie lieben. Vor diesem Hintergrund wird uns das Schweben des Geistes auf dem Wasser zu Beginn der Schöpfung zu einem Sinnbild dessen, was der Heilige Geist eigentlich ist: Der Heilige Geist ist nichts anderes als die Liebe Gottes in Person. Der Heilige Geist ist das, was das Wesen Gottes von Grund auf bestimmt, nämlich die Liebe. Im Grunde sagt das Johanneswort (1. Joh. 4, 16) "Gott ist die Liebe" nichts anderes als der 2. Vers der Bibel, wenn er davon zu erzählen weiß, daß der Geist Gottes auf dem Wasser schwebt.

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. An diesem Tag, dem "fünfzigsten" nach Ostern, feiert die Kirche die Ausgießung des Heiligen Geistes und die Erschaffung der Kirche. Wenn dies jedoch der einzige Inhalt des Pfingstfestes wäre, wäre es ein rein rückwärtsgewandter Gedenktag. Besonders fröhlich wäre Pfingsten nicht. Zu einem wirklich fröhlichen und jubelnden Fest kann Pfingsten jedoch werden, wenn die Christenheit begreift, daß der Heilige Geist nichts anderes ist als die Liebe Gottes, wenn sie darüber jubelt und es besingt, daß der Heilige Geist von Anfang an die Welt in Liebe geschaffen hat, daß er sie in seiner Liebe erhält und beschützt, daß er auf Grund dieser Liebe zum unermüdlichen Tröster der Seinen wird und daß er in dieser Liebe die Seinen am Ende auferwecken wird zum ewigen Leben.

Pfr. i. ATD Reiner Vogels, Swisttal-Odendorf, 26. 05. 07



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