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Der unten stehende Aufsatz untersucht die Herausforderungen, denen sich die Christenheit in der Kultur des Todes gegenübersieht. Er legt dar, daß die westliche Industriegesellschaft eine Kultur des Todes ist. Er beschreibt die einzelnen Todesfaktoren, die zu den immanenten Gesetzen der westlichen Gesellschaftsordnung gehören. Insbesondere weist er nach, daß die Todesfaktoren ihre entscheidende Stütze im globalisierten marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem haben. Die Folgerung ist, daß die Kultur des Todes erst dann überwunden werden kann, wenn das marktwirtschaftliche System in seiner gegenwärtigen globalisierten Form überwunden worden ist.

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Damit auch wir in einem neuen Leben wandeln1

Die Christenheit und die Kultur des Todes
Reiner Vogels


Mehrfach wird im Neuen Testament die Existenz des Menschen, der sich von Gott abgewandt hat, als eine Todesexistenz gekennzeichnet. So schreibt z.B. der Apostel Paulus im Brief an die Kolosser: "Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden"2. Ganz ähnlich formuliert der Epheserbrief:"Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden."3 Von der Gemeinde in Sardes heißt es in der Offenbarung des Johannes:"Du hast den Namen, daß du lebst, und bist tot."4 Schließlich erklärt der gütige Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn: "Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden"5.

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Nun kann in all diesen Fällen kein Zweifel daran bestehen, daß die Menschen, von denen hier als von Toten die Rede ist, im biologischen Sinne lebendig gewesen sind. Wenn die Bibel sie dennoch als Tote bezeichnet, muß sie das in einem anderen als biologischen Sinne meinen. Worin jedoch besteht dieser andere Sinn? Die erste und einfachste Antwort ist die Erklärung, daß das Leben in der Gottferne in geistlichem Sinn als "totes" Leben, als Leben ohne Sinn und Hoffnung zu verstehen ist. So interpretiert z.B. Rudolf Schnackenburg in seinem Kommentar zum Epheserbrief: "Das 'Totsein' wird eher zum Charakteristikum einer 'heidnischen', ohne tieferen Sinn erfüllten, schuldhaft verstrickten, trostlos-düsteren Existenz."6 Er spricht von einem "metaphorischen"7 Gebrauch des Wortes "tot"“.

Ganz gewiß ist es nicht verkehrt, die Rede vom Totsein des Sünders in diesem oder ähnlichem Sinn als metaphorisch zu verstehen. Es ist aber die Frage, ob diese metaphorische Interpretation der biblischen Redeweise wirklich in ihrer ganzen Schärfe gerecht wird. Eine bloß symbolische Deutung erleichtert es dem Sünder ja, die Rede vom Totsein als übertrieben und unzutreffend abzuweisen. Genau das geschieht auch immer wieder: Der Sünder spottet über die Charakterisierung seiner Existenz als Totsein und nimmt sie nicht ernst. Das ist in der Gegenwart nicht zuletzt daran abzulesen, wie die Welt darauf reagiert hat, daß der römisch-katholische Papst die westliche Industriegesellschaft als eine "Kultur des Todes" bezeichnet hat. Aus Unverständnis und Spott hat die Reaktion der Welt bestanden. Diese Reaktion ist nur allzu verständlich. Der Sünder empfindet sich in gar keiner Weise als tot. Im Gegenteil, gerade im hemmungslosen Ausleben seiner "Übertretungen und Sünden"8 fühlt er sich in höchstem Maße lebendig und vital. Ja, oft wird gerade die äußerste Ausschweifung als etwas erlebt, was dem Leben erst die eigentliche Würze, den letzten "Kick", wie man heute sagt, verleiht.

In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, daß die allein metaphorische Interpretation der biblischen Redeweise vom Totsein des Sünders im Blick auf die Realität der heutigen Gesellschaft nicht mehr ausreicht. Die westliche Gesellschaft hat sich nicht nur metaphorisch, sondern ganz real zu einer Kultur des Todes entwickelt. Sie steuert, geleitet durch die in ihr wirksamen Kräfte, auf ihren eigenen Untergang zu.

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I Die Kultur des Todes – Beschreibung und Analyse

I, 1 Tatsachen

Daß die westliche Industriegesellschaft nicht nur symbolisch, sondern im wörtlichen Sinn eine Kultur des Todes ist, läßt sich leicht zeigen: Seit Jahrzehnten gibt es in den westlichen Ländern, übrigens unabhängig davon, ob eine sozialistische oder eine bürgerliche Regierung an der Macht ist, einen dramatischen Sterbeüberschuß. Als ein Beleg von vielen genügt ein Zitat aus der Presseerklärung von Ingo Richter, dem Vorsitzenden der Sachverständigenkommission des 11. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung vom Januar 2002:"Die deutsche Gesellschaft muß sich darauf einrichten, dass sich der Anteil der jungen Menschen an der Bevölkerung unter 20 Jahren in 50 Jahren fast halbiert: Er wird von 30 % im Jahre 1970 auf 17 % im Jahre 2020 sinken und der Anteil der alten Menschen von über 65 Jahren wird sich in diesem Zeitraum etwa verdoppeln, er wird von 10 bis 13 % im Jahre 1970 auf 22 % im Jahre 2020 steigen. Kinder und Jugendliche werden zu einem 'knappen Gut', zur 'Mangelware' ".9 Die Zahlen schwanken natürlich zwischen den einzelnen Staaten, insgesamt ist der Trend aber eindeutig: Der Sterbeüberschuß bzw. das Geburtendefizit führen zu einer gefährlichen Überalterung und Vergreisung der Bevölkerung. Rein statistisch kann man feststellen: Die westliche Gesellschaft ist ein Auslaufmodell. Sie und mit ihr die Bevölkerung, die in ihr lebt, stirbt allmählich aus.

Eine Zeitlang kann es den westlichen Staaten vielleicht noch gelingen, den allmählichen Tod durch künstliche Bluttransfusionen, nämlich durch Zuwanderung aus weniger industrialisierten Ländern, hinauszuzögern. Dies kann aber nur eine Atempause gewähren. Die zugewanderten Neubürger, die selbst noch aus Gesellschaften mit hohen Geburtenraten stammen, passen sich spätestens in der zweiten Generation an die Trends der westlichen Industriegesellschaft an und entwickeln ihrerseits den für die alteingesessene Bevölkerung üblichen Sterbeüberschuß. Und auch der Strom der Zuwanderung selbst wird auf Dauer versiegen. Im Zuge der „Globalisierung“, die ja nichts anderes ist als eine Übertragung des westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells auf alle Regionen der Erde, werden sich die Werte und die Verhaltensweisen der westlichen Gesellschaften weltweit ausbreiten. Wenn diese Globalisierung Erfolg hat, das heißt, wenn sie auch in den wenig industrialisierten Ländern Afrikas und Asiens und in den traditionell islamischen Staaten zur Herrschaft gekommen ist, wird die Folge sein, daß auch in den bisherigen Auswanderungsländern die Geburtenraten sinken und die Gesellschaft vergreisen wird. Am Ende wird die Kultur des Todes die gesamte Welt erfassen und die gesamte Menschheit zu einem Auslaufmodell werden lassen.

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In den entwickelten westlichen Gesellschaften, zu denen auch Europa gehört, kann man heute schon ablesen, wie das allmähliche Absterben aussehen könnte. Europa und Deutschland stehen am Anfang der Krise: Es beginnt damit, daß die sozialen Sicherungssysteme wie Renten- und Krankenversicherung finanziell zusammenbrechen. Wenn immer mehr Alte immer weniger Jungen gegenüberstehen, kann kein wie auch immer geartetes System von sozialer Absicherung funktionsfähig bleiben. Auch die heute von den Politikern favorisierten kapitalgedeckten Systeme können dann nicht halten, was sie versprechen: Das Wirtschaftssystem, das letztlich die Erträge der zur Alters- oder Krankensicherung angelegten Kapitalfonds erwirtschaften muß, kann mit immer weniger Menschen nicht funktionieren. Wenn Menschen als Konsumenten ausfallen – gerade alte Menschen konsumieren erfahrungsgemäß verhältnismäßig wenig – und wenn Menschen als Produzenten ausfallen, weil jahrzehntelang kaum noch Kinder geboren worden sind, werden die großen Industrieunternehmen und mit ihnen die gesamte Wirtschaft in die Krise geraten. Die Wirtschaft wird keine ausreichende Rendite mehr für die Kapitalfonds der Alters- und Krankenversicherungen erwirtschaften können. Papiernen Anwartschaften auf Rentenleistungen und Krankenversicherungsschutz werden keine realen Werte mehr gegenüberstehen. Auch das System der kapitalgedeckten Sozialversicherungssysteme wird nicht halten können, was die Politiker den Menschen heute versprechen. Autos kaufen nun einmal keine Autos, und Autos können auch keine Autos produzieren.

Vor diesem Hintergrund ist übrigens der verzweifelte Versuch der Interessenverbände der Wirtschaft zu erklären, die Politik dazu zu bewegen, ein großzügiges Zuwanderungsgesetz zu verabschieden. Zum Beleg für diese Versuche der Wirtschaft mag ein Zitat aus dem WALL STREET JOURNAL EUROPE dienen: "Fakt ist, dass die deutsche Bevölkerung in den nächsten zwei Generationen zahlenmäßig um ein Drittel schrumpfen wird. Wenn die Regierung diesen Prozess nicht aufhalten kann, dann werden der deutsche Wohlfahrtsstaat, das Gesundheitswesen und das gesamte Rentensystem in sich zusammenbrechen. Die Grenzen zu öffnen erscheint da als logischer Ausweg."10

Allein diese kurze Beschreibung läßt erkennen, daß die Kennzeichnung der westlichen Gesellschaft als einer Kultur des Todes in der empirisch meßbaren Entwicklung der Gesellschaft eindeutig bestätigt wird. Es ist nicht etwa ein aus religiösen Vorurteilen gespeistes Urteil des römisch-katholischen Papstes, daß die westliche Gesellschaft eine Kultur des Todes ist, sondern es ist ein empirischer Befund, es ist eine Tatsache: Die westliche Gesellschaft ist eine Kultur des Todes. Die westliche Gesellschaft hat den Namen, daß sie lebt, und sie ist tot11.

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I, 2 Todesfaktoren und ihre religiöse Deutung

Weniger evident sind die Ursachen, die dazu geführt haben, daß die westliche Welt eine Kultur des Todes ist. Es gibt zwar eindeutig sichtbare Todesfaktoren, die zum Sterbeüberschuß führen, aber eine Gesamtanalyse und Deutung dieser Faktoren ist schwierig. Zu den Todesfaktoren gehören die Dinge, die längst in diesem Zusammenhang öffentlich diskutiert werden: Abtreibungen, Zerfall der Familien, offene Pornographie in den Medien, eine zur sogenannten sexuellen Selbstverwirklichung neigende Sexualerziehung in den Schulen, Ehescheidungen, Materialismus, Förderung der Homosexualität und dergleichen.

Konservative, vor allem auch lutherische Christen haben diese Erscheinungen des modernen Lebens immer wieder kritisiert und sie mit vollem Recht als Sünde und Abfall von Gottes Wort gegeißelt. Auch der römisch-katholische Papst, der in seiner Enzyklika "Evangelium vitae" vom 25. März 1995 ausführlich die Kultur des Todes analysiert und angeprangert hat, führt die Entstehung dieser Kultur des Todes auf den Abfall von Gott zurück. So schreibt er in Kapitel 1 der Enzyklika, § 21: "21. Auf der Suche nach den tiefsten Wurzeln des Kampfes zwischen der »Kultur des Lebens« und der »Kultur des Todes« dürfen wir nicht bei der oben erwähnten perversen Freiheitsvorstellung stehen bleiben. Wir müssen zum Herzen des Dramas vorstoßen, das der heutige Mensch erlebt: die Verfinsterung des Sinnes für Gott und den Menschen, wie sie für das vom Säkularismus beherrschte soziale und kulturelle Umfeld typisch ist, der mit seinen durchdringenden Fangarmen bisweilen sogar christliche Gemeinschaften auf die Probe stellt. Wer sich von dieser Atmosphäre anstecken läßt, gerät leicht in den Strudel eines furchtbaren Teufelskreises: wenn man den Sinn für Gott verliert, verliert man bald auch den Sinn für den Menschen, für seine Würde und für sein Leben; die systematische Verletzung des Moralgesetzes, besonders was die Achtung vor dem menschlichen Leben und seiner Würde betrifft, erzeugt ihrerseits eine Art fortschreitender Verdunkelung der Fähigkeit, die lebenspendende und rettende Gegenwart Gottes wahrzunehmen."12

Die Kritik der vereinten Christenheit an dem der Kultur des Todes zu Grunde liegenden Abfall von Gott bleibt eine notwendige Aufgabe der Christenheit. Sie muß verbunden sein mit dem Ruf zur Umkehr zu Gottes Wort und Gebot. Ohne diese Umkehr wird die Kultur des Todes nicht überwunden werden können. Manche konservative Christen sind in ihrer Situationsanalyse noch ein Stück weiter gegangen. Sie haben die beschriebenen Todesfaktoren der westlichen Gesellschaft nicht nur als Abkehr der Menschen von Gottes Wort beschrieben, sondern sie sind über diese letztlich auf der rein menschlichen Ebene verbleibende Erklärung hinausgegangen und haben davon gesprochen, daß es nicht nur irgendeine menschliche Entwicklung des Zeitgeistes ist, die zum Abfall von Gott geführt und die Kultur des Todes errichtet hat, sondern daß es der Böse ist, der all diese Dinge befördert, weil er "ein Mörder [ist] von Anfang an".13 Wer wollte es angesichts der unglaublichen, geradezu strategischen Intelligenz, mit der die Kultur des Todes in der westlichen Welt in einem jahrzehntelangen geistigen Kampf die Herrschaft errungen hat, wagen, diese Möglichkeit kategorisch auszuschließen? Kann Fleisch und Blut allein14 wirklich derartiges bewerkstelligen?

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I, 3 Todesfaktoren und die marktwirtschaftliche Ordnung

In der Beschreibung der Kultur des Todes, in der Kritik an dieser "Kultur" und in der Analyse der Faktoren, die sie verursachen und vorantreiben, haben konservative Christen jedoch meist eine gesellschaftliche Grundkraft übersehen, die mit allen Todesfaktoren der westlichen Kultur verwoben ist und ihnen immer von neuem Kraft verleiht. Es sind die Kräfte, die das globalisierte marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem unserer Zeit bestimmen.

Die im folgenden dargelegten Zusammenhänge zwischen dem globalisierten marktwirtschaftlichen System und den Todesfaktoren, die die Kultur des Todes schaffen, sind nicht als monokausale Erklärung, sondern als Ergänzung der religiösen Erklärungen zu verstehen. Selbstverständlich haben gegen Gott gerichtetes Autonomiestreben des Menschen, Mißachtung von Gottes Wort und Gebot, das Streben nach Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf das Ganze, Herrschsucht und Verantwortungslosigkeit unabhängig vom jeweilig herrschenden Wirtschaftssystem zu allen Zeiten das menschliche Handeln bestimmt und immer wieder Kulturen des Todes errichtet. Schließlich ist der Mensch zu allen Zeiten ein Sünder gewesen. Selbstverständlich ist der Mensch zu allen Zeiten ganz persönlich für sein Handeln verantwortlich. Er kann sich für sein Fehlverhalten und seine Schuld daher niemals mit dem Hinweis auf die gesellschaftlichen Strukturen, die solches Verhalten fördern oder gar fordern, entschuldigen.

Dennoch ist es so, daß das globalisierte marktwirtschaftliche System nicht einfach neutral den negativen menschlichen Trieben gegenübersteht, sondern es nimmt sie auf, macht sie sich zu eigen und verhilft ihnen in globalem Maßstab zur Herrschaft. Die Menschen, die so sind, wie sie sind, haben sich in der globalisierten Marktwirtschaft ein Wirtschaftssystem geschaffen, das ihnen adäquat ist und das die beim Menschen immer schon vorhandenen Todesfaktoren zu seinem eigenen Grundgesetz macht. Es handelt sich um Beziehungsgeflecht, bei dem sich die Faktoren wie bei einer Rückkopplung zwischen Mikrophon und Lautsprecher gegenseitig verstärken, bis die Wirkung am Ende unerträglich wird.

Wenn man der Kultur des Todes entgegentreten will, reicht es daher nicht aus, die religiösen und anthropologischen Todesfaktoren zu benennen, die aus der Tatsache erwachsen, daß der Mensch ein Sünder ist. Es ist darüber hinaus erforderlich, die Zusammenhänge zwischen Todesfaktoren und Wirtschaftssystem aufzuweisen. Denn eine Überwindung der Kultur des Todes wird erst möglich sein, wenn auch die Todesfaktoren der globalisierten Marktwirtschaft überwunden worden sind.

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I, 3, 1 Der Geburtenrückgang

Der Zusammenhang von Todesfaktoren und globalisierter Marktwirtschaft soll zunächst an dem zentralen Todesfaktor belegt werden, der die größte zerstörerische Energie entwickelt, nämlich am Geburtenrückgang selbst. Es soll gezeigt werden, daß der Geburtenrückgang in den westlichen Industrieländern nicht zuletzt eine Folge der immanenten Gesetze des globalisierten marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems ist:

Das Grundgesetz der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung ist das Konkurrenzprinzip. Jeder Anbieter von Waren und Dienstleistungen steht im Wettbewerb. Dieser Wettbewerb zwingt alle Anbieter dazu, ihre Gestehungskosten möglichst niedrig zu halten. Das gilt in gleicher Weise für Sachkosten wie für Personalkosten. Die Anbieter werden zu dieser Kostenminimierung gezwungen, weil sie es dann, wenn sie in dieser Hinsicht nachlässig oder großzügig sind, sehr schnell erleben werden, daß andere, die die Kostenminimierung besser vorangebracht haben, im Konkurrenzkampf ihnen gegenüber einen Vorteil haben und sie letztlich vom Markt verdrängen. Dieses Kosten- und Konkurrenzprinzip gilt universell. Es gilt selbstverständlich nur für gleichwertige Angebote. Aber es gilt. Es hilft einem Anbieter auf Dauer nicht, wenn er dem Zwang zur Kostenminimierung dadurch ausweichen will, daß er mit qualitativ besseren Angeboten auf dem Markt ist als die Wettbewerber. Denn auch die Wettbewerber werden früher oder später in das durch höhere Qualitätsstandards geprägte Marktsegment vorstoßen und können dann eben auf diesem Nivau ihren durch besseres Kostenmanagement gegebenen Wettbewerbsvorteil ausspielen. Aus dem Wettbewerb und dem Zwang zur Kostenminimierung gibt es in der Marktwirtschaft kein Entrinnen.

Im Blick auf die Höhe der gezahlten Löhne und Gehälter ergibt sich aus diesem Zwang die folgende Konsequenz: Alle Unternehmen werden und müssen bestrebt sein, ihren Mitarbeitern nur den Lohn zu zahlen, den sie unbedingt zahlen müssen. Lohnzahlungen, deren Höhe über den von der Sache her geforderten und nicht unterschreitbaren absoluten Mindestlohn hinausgehen, würden ja die Unternehmen, die solche überhöhten Löhne zahlen, im Wettbewerb gegenüber den Unternehmen benachteiligen, die tatsächlich das Lohnniveau auf die Höhe des notwendigen Mindestlohns gesenkt haben. Gewerkschaftliche Interessenvertretungen der Arbeitnehmer und staatliche Schutz- und Mindestlohnvorschriften haben es bisher in den entwickelten Ländern des Westens verhindert, daß das Lohnniveau tatsächlich auf das Niveau des absoluten Mindestlohns abgesenkt werden konnte. Diese Schutzkräfte zugunsten der Arbeitnehmer verlieren nun aber im Zuge der Globalisierung in zunehmendem Maße ihre Kraft. In einer globalisierten Wirtschaft, in der den global operierenden Unternehmen keine global organisierten Schutzmechanismen für die Arbeitnehmer gegenüberstehen, wird auf Dauer das Lohnniveau tatsächlich auf das des absoluten Mindestlohns gesenkt werden müssen, wenn die Unternehmen im Wettbewerb überleben sollen.

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Der absolute Mindestlohn nun, der auf jeden Fall gezahlt werden muß, ist der Lohn, der den Arbeitenden in die Lage versetzt, seine Arbeitskraft auf Dauer zu erhalten. "Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Wertes der Arbeitskraft wird gebildet durch den Wert einer Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozeß nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel."15 Zu diesen "physisch unentbehrlichen Lebensmittel(n)" gehören nun selbstverständlich nicht nur die Lebensmittel im engeren Sinn. Damit der arbeitende Mensch seine Lebenskraft auf Dauer erneuern kann, muß er darüber hinaus über Mittel verfügen, mit denen er z. B. Wohnung und Kleidung bezahlen kann. Er muß zudem, und hier kommt die Familie ins Spiel, da er selbst durch Alter oder Tod eines Tages aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden wird, die Mittel zur Verfügung haben, die es ihm ermöglichen, Kinder zu ernähren und groß zu ziehen, und sie entsprechend den Erfordernissen der Arbeitswelt in Schulen und Hochschulen unterrichten zu lassen. Keine Wirtschaftsform kann auf Dauer überleben, wenn sie den Menschen diesen Minimallohn verweigert. Denn das Ergebnis würde sein, daß die Zahl derer, die für den Arbeitsprozeß zur Verfügung stehen, kontinuierlich sinkt, so daß am Ende kein Angebot von Waren und Dienstleistungen mehr erarbeitet werden könnte. Solange es noch möglich ist, das Defizit an Menschen durch verstärkte Zuwanderung auszugleichen, und das ist ja das, was heute von der Wirtschaft gefordert wird, wird man diese Konsequenz hinausschieben können. Wenn dieser Zustrom eines Tages versiegt, wird das System seinen eigenen Untergang ansteuern.

Einen Weg allerdings gibt es, den erforderlichen Minimallohn zu senken und sich im Wettbewerb auf diese Weise doch noch einen Kostenvorteil zu verschaffen. Diese Möglichkeit besteht darin, daß man von jeweils einer Familie, die Kinder erzeugt, heranwachsen und ausbilden läßt, nicht nur eine Person zur Arbeit bzw. zum Erwerb des für die Erhaltung der Arbeitskraft notwendigen Mindestlohns heranzieht, sondern mehrere. Es liegt also im ureigensten Interesse der im Wettbewerb stehenden Unternehmen, daß beide Elternteile und nach Möglichkeit auch die Kinder in den Erwerbsprozeß einbezogen werden. Mütter sollten nach dieser Maxime möglichst frühzeitig nach der Geburt eines Kindes wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. In der Frühzeit der Industrialisierung und in vielen Entwicklungsländern hat das Prinzip der Verteilung des notwendigen Mindestlohns auf mehrere Personen dazu geführt, daß nicht nur beide Eltern, sondern auch die Kinder für die Ernährung der Familien sorgen mußten. In den entwickelten Gesellschaften des Westens haben Schutzgesetze die Kinderarbeit weitgehend verboten, die Erwerbstätigkeit der Mütter jedoch ist erklärtes und mit allen Mitteln der Bewußtseinsbildung vorangetriebenes Ziel der Gesellschaft.

Selbstverständlich ist dieses betriebswirtschaftliche Kalkül nicht der einzige Grund dafür, daß die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile als wünschenswert erscheint. Viele Frauen haben von sich aus auf diesem Weg ein Stück Selbstverwirklichung und Befreiung gesucht. Angesichts der jahrhundertelangen Geschichte, in der Frauen oft nur auf das Gebären von Kindern reduziert worden sind, kann man diese Suche nach Selbstverwirklichung und Befreiung nicht einfach ablehnen. Im Gegenteil, Frauen haben ein ebenso großes Recht auf gesellschaftliche Teilhabe wie Männer. Nicht nur das: Frauen, die ihre Gaben und Leistungen in die Gesellschaft einbringen, sind eine Bereicherung der Gesellschaft. Es wäre töricht, auf diesen Beitrag der Frauen verzichten zu wollen. Von daher haben Frauen selbstverständlich das Recht, ihren Weg zwischen Familie und Beruf frei zu wählen.

Tatsache jedoch ist, daß die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile in der globalisierten Marktwirtschaft nicht deshalb angestrebt wird, weil die Gesellschaft etwas für die Befreiung und Emanzipation der Frauen tun und den Frauen die Freiheit der Wahl verschaffen möchte, sondern deshalb, weil das betriebswirtschaftliche Kalkül der Kostenreduzierung das verlangt. "Indem die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der Arbeitskraft über seine ganze Familie. Sie entwertet damit die Arbeitskraft."16

Weil diese betriebswirtschaftliche Rechnung hinter der Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile steht, ist das Ergebnis in den meisten Fällen auch alles andere als Befreiung und Emanzipation. Was hat es schon mit Befreiung zu tun, wenn Mütter den ganzen Tag an der Kasse eines Supermarkts sitzen oder in einem der klassischen "weiblichen" Helferberufe von der Arzthelferin bis zur Vorstandsassistentin den Chefs helfen dürfen?17 Das gilt in der Regel auch für die beruflichen Tätigkeiten, die hohe und höchste Qualifikationen voraussetzen. Auch die akademisch gebildeten Frauen steigen, wenn sie Kinder zur Welt gebracht haben, fast nie in die eigentlichen Führungspositionen der Wirtschaft auf. Im Wettbewerb um die Karriere unterliegen sie schon deshalb ihren männlichen Kollegen, weil sie den Verlust an Zeit und damit an Möglichkeit des beruflichen Fortkommens, den sie wegen der Geburt und Erziehung der Kinder zu verkraften haben, nicht aufholen können. Es ist oft beschrieben worden, daß diese Frauen gerade unterhalb der eigentlichen Führungspositionen in ihrer Karriere gestoppt werden. Wie durch eine Glasscheibe können sie von unten das Handeln in der eigentlichen Führungsebene beobachten, selbst gehören sie aber meist nicht dazu. Sollte darin Freiheit und Emanzipation bestehen?

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Wenn wirklich Emanzipiation und Befreiung die leitenden Prinzipien bei der Gestaltung des Verhältnisses von Familie und Beruf sein sollten, dann müßte es für die Familien und insbesondere für die Frauen eine echte Wahlfreiheit geben. Solche Wahlfreiheit wäre ein wirkliches Kennzeichen für eine Gesellschaft, die der Menschenwürde entspricht und die Kultur des Todes überwindet. Tatsache jedoch ist, daß in der globalisierten Wirtschaft für Frauen eine Wahlfreiheit zwischen Familie und Vollerwerbstätigkeit nicht besteht. Das Ziel der Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile wird nämlich keineswegs nur durch geistige Mittel angestrebt, also dadurch, daß in den Medien und in der Erziehung der Kinder entsprechende Leitmodelle verbreitet werden. Dieses Ziel wird über solche geistige Beeinflussung hinaus durch materielle Zwänge durchgesetzt. Der Mechanismus ist ganz einfach: Wenn das für die Erhaltung der Arbeitskraft unbedingt erforderliche Lohnniveau auf mehrere Familienmitglieder verteilt und somit für den Einzelnen ermäßigt wird, dann ist die logische Folge, daß der Lohn eines einzelnen Arbeitnehmers eben nicht mehr ausreicht, eine Familie zu ernähren. In Deutschland ist jedenfalls bei den Durchschnittsverdienern diese Absenkung des individuellen Lohnniveaus mittlerweile vollzogen. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten, insbesondere angesichts der hohen Mieten in den Großstädten, ist ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Lohnniveau heute kaum noch in der Lage, eine Familie mit einer für die nachhaltige Erhaltung der Arbeitskraft notwendigen Mindestzahl von Kindern zu ernähren. Die Erwerbstätigkeit beider Elternteile wird durch die finanziellen Verhältnisse de facto erzwungen. Eine Wahlfreiheit besteht jedenfalls in den durchschnittlichen Einkommensschichten seit langem nicht mehr.

Das Ergebnis ist: Der Druck des Wettbewerbs und der Zwang zur Kostenminimierung führen dazu, daß, von der Wirtschaft ausgehend, ein gesellschaftlicher Druck auf die Menschen erzeugt wird, daß alle Menschen möglichst lange in den Arbeitsprozeß einbezogen werden. Das heißt, daß sie während der gesamten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und möglichst für die gesamte Zeit, in der sie von ihrem Lebensalter her für den Arbeitsprozeß in Frage kommen, zur Verfügung zu stehen haben. Durch diese optimale Einbeziehung aller in den Arbeitsprozeß wird nämlich am Ende die kostengünstige Konsequenz erreicht, daß jeder Beschäftigte nur noch den Lohn zu erhalten braucht, der für die Erhaltung seiner individuellen Arbeitskraft erforderlich ist. Solange die Kinderarbeit in den westlichen Gesellschaften noch geächtet ist und deshalb nicht wieder eingeführt werden kann, wird zumindest die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile durchgesetzt.

Ausdrücklich muß an dieser Stelle gesagt werden, daß diese Entwicklung nicht Folge einer bewußten Verabredung, also gewissermaßen einer Verschwörung der Wirtschaftsführer, Politiker und Medienmacher ist, sondern eine Folge der immanenten Entwicklungsgesetze der globalisierten Marktwirtschaft. Eine Verschwörung von Übelgesonnenen in den Vorständen der großen Unternehmungen gibt es nicht. Auch die Vorstände und Aufsichtsräte sind nicht Herren des Geschehens. Auch sie können die Entwicklung nicht wirklich in den Griff bekommen, sondern sie sind genauso den Gesetzen der Wettbewerbswirtschaft unterworfen wie die einzelnen Arbeitnehmer und ihre Familien. Rein historisch ist die Einbeziehung vieler Frauen in die Arbeitsprozesse der Industriegesellschaft während des Zweiten Weltkriegs erfolgt, als in den Industriebetrieben die an der Front stehenden Männer durch Frauen ersetzt werden mußten. Diese historische Zufälligkeit ändert aber nichts an der Tatsache, daß die endgültige Durchsetzung und das Festschreiben der Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile auf Dauer durch die Gesetze der Marktwirtschaft erreicht wird.

Nun ist es völlig klar, daß die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile in den meisten Fällen zu einem Verzicht auf mehr als ein oder maximal zwei Kinder führt. Die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile erweist sich damit als einer der fundamentalen Todesfaktoren der Kultur des Todes.

Wie die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile zum Todesfaktor wird, kann im einzelnen in den folgenden Mechanismen erkannt werden. Daß dabei keine zwangsläufigen Zusammenhänge, sondern nur Tendenzen aufgewiesen werden, ist schon festgestellt worden. Der Mensch bleibt auch gegenüber gesellschaftlichen Tendenzen frei und für sein Tun verantwortlich. Dennoch haben die gesellschaftlichen Tendenzen durchaus eine nicht unbeträchtliche Wirkung.

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a) Ende der Mehr-Kinder-Familie
Die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile läßt sich nun einmal nicht mit den Erfordernissen einer Familie mit mehreren Kindern verbinden. Das wäre nur möglich, wenn die Kinder von der Geburt an in die Verantwortung und Betreuung des Staates übergeben würden.18 Ein solcher totaler Zugriff des Staates auf die nachwachsende Generation stünde aber nicht nur im Widerspruch zu allem natürlichen Empfinden der Menschen und zum christlichen Verständnis der Familie, er wäre auch ein signifikantes Kennzeichen eines totalitären Staates und würde das Ende der freiheitlichen Gesellschaft bedeuten.

In der schon zitierten Presseerklärung des Vorsitzenden des Deutschen Jugendinstituts Ingo Richter vom Januar 2002 wird diese Gefahr überhaupt nicht gesehen. Sie setzt weiter auf eine weitere Verstaatlichung von Kindererziehung und Kinderbetreuung. Da ein Ausbau der entsprechenden staatlichen Dienste große Kosten verursacht, ergibt sich für den 11. Kinder- und Jugendbericht der Kommission die notwenige Konsequenz, daß die finanzielle Ausstattung der Familien mit mehreren Kindern entsprechend eingeschränkt wird. "Dienst vor Geld"19 wird daher gefordert. Kinderreiche Familien sollen also genötigt werden, es selbst zu finanzieren, daß der Staat ihnen ihre Kinder enteignet. Damit erweist sich der 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung als effektives Element in der Kultur des Todes. Eine Verknappung der Finanzausstattung wird die Eltern gewiß nicht ermutigen, mehr Kinder zu haben. Außerdem ist die Forderung nach mehr Kinderbetreuung und Kindererziehung durch den Staat eine Bedrohung für die Freiheitlichkeit der Gesellschaft. Wenn der Staat ein Monopol auf Erziehung und Betreuung der Kinder hat, ist das Ende der geistigen Freiheit in der Gesellschaft in Sicht.

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b) Ungewollte Kinderlosigkeit
Immer hat es als wünschenswert gegolten, daß vor Eheschließung und Familiengründung die materielle Existenz der Familie gesichert war. Aus diesem Grunde haben die Menschen meist mit der Familiengründung gewartet, bis der Mann mit der Berufsausbildung fertig war und eine einigermaßen verläßliche berufliche Position errungen hatte. Die zunehmenden Ansprüche der Wirtschaft an die Ausbildung ihrer Arbeitnehmer führt dazu, daß die Ausbildungszeiten gegenüber vergangenen Generationen erheblich verlängert worden sind. Dies allein bewirkt, daß Eheschließung und Familiengründung heute in der Regel in höherem Lebensalter erfolgen als in früheren Zeiten. Die geforderte Vollerwerbstätigkeit auch der Frauen verstärkt diese Tendenz noch. Jetzt wird häufig mit der Familiengründung gewartet, bis sowohl der Mann als auch die Frau eine zuverlässige berufliche Position errungen haben. Das Eheschließungsalter steigt noch weiter. Diese Entwicklung führt aus rein biologischen Gründen zu einer Zunahme der Zahl unfruchtbarer Paare. Es ist nun einmal so, daß die Fruchtbarkeit der Menschen mit steigendem Alter abnimmt. Außerdem führt das höhere Alter, in dem die Partner eine Ehe schließen, dazu, daß die Zahl der höchstens gewünschten Kinder von Anfang an gering bleibt.
c) Geistige Abwertung der Mutterrolle
Damit die volle Einbeziehung beider Elternteile durchgesetzt werden kann, muß die Einstellung der Bevölkerung so beeinflußt werden, daß die Vollerwerbstätigkeit als etwas Erstrebenswertes, als Befreiung und Weg zur Selbstverwirklichung angenommen wird. In den Medien und in der schulischen Erziehung wird daher für das Leitbild der „partnerschaftlichen“ Ehe, in der „traditionelle Rollenvorstellungen“ überwunden werden und das Ziel einer gleichberechtigten Erwerbstätigkeit beider Ehepartner und Elternteile angestrebt wird, als einzig akzeptables, „emanzipatorisches“ Lebensmodell geworben. Notwendig verbunden ist mit diesem Leitbild natürlich eine gesellschaftliche Abwertung der Mutterrolle. Daß beides geschieht, läßt sich in den Medien und in den politischen Programmen aller (!) im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien seit Jahrzehnten beobachten.

Wichtig ist die Erkenntnis, daß die treibende gesellschaftliche Kraft, die dahinter steht und es gegen Widerstände durchsetzt, nicht die Idee von Emanzipation oder Befreiung der Frau ist – eine solche bloße Idee hätte sich ohne ihre Unterstützung durch die materiellen Interessen der marktwirtschaftlichen Ordnung niemals durchsetzen können – sondern die immanenten ökonomischen Interessen der auf Kostenreduzierung ausgerichteten Wirtschaftsunternehmen. Was in der veröffentlichten Meinung als Gewinn an Freiheit und Emanzipation für Frauen dargestellt wird, ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine an der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen orientierte und durch die Medien gesteuerte Umerziehung der Bevölkerung.

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d) Materialismus und Konsumdenken
Die volle Einbeziehung beider Elternteile in das Erwerbsleben führt psychologisch dazu, daß beide Elternteile sich mehr als in Familien, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist, die Wertmaßstäbe des Wirtschafts- und Berufslebens subjektiv zu eigen machen. Dadurch wird von der Werteorientierung her die Bereitschaft der Paare, Kinder zu erzeugen und zu erziehen, weiter eingeschränkt. Denn es ist offenkundig, daß Materialismus und Konsumdenken wesentliche Wertmaßstäbe des Wirtschaftslebens sind. Kinder jedoch werden den Eltern immer materielle Verzichte und Nachteile in ihren Konsummöglichkeiten auferlegen. Öffentliche Ausgleichsleistungen wie Kindergeld und Steuerermäßigungen werden schon wegen des Konkurrenzdrucks in der globalisierten Wirtschaft niemals so erhöht werden können, daß sie diese Benachteiligungen ausgleichen könnten. Denn Kindergeld und Steuerermäßigungen müssen aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. Wenn ein wirklicher Ausgleich für Familien mit mehreren Kindern auf diese Weise finanziert werden sollte, müßten die Steuern erheblich erhöht werden. In der globalisierten Wirtschaft jedoch ist gerade die Höhe der Steuerquote ein entscheidender Faktor im internationalen Standortwettbewerb. Die weltweit operierenden Unternehmen müssen nämlich ihre Standortentscheidungen für Investitionen nicht zuletzt auf Grund der Höhe der Steuerlast in den Ländern treffen, die für die Errichtung von Betriebsstätten in Frage kommen.

An dieser Stelle wird es besonders deutlich, daß es nicht nur auf ökonomische Zwänge, sondern auch auf die Wertvorstellungen der Menschen ankommt. Auch in einer Wirtschaftsordnung, in der Materialismus und Konsumdenken vom System her gefördert werden, können sich einzelne Menschen natürlich von diesem gesellschaftlichen Druck befreien. Man kann um der Kinder willen bewußt auf Konsummöglichkeiten verzichten, und viele Paare tun das. Wenn sie das jedoch tun, dann stellen sie sich damit im Zeitalter der globalisierten Marktwirtschaft in einen Widerspruch zu den Wertvorstellungen der Gesellschaft. Sie treten einem der zentralen Todesfaktoren der Gesellschaft entgegen, und vielen Menschen fehlt dazu die Kraft.
e) Freigabe der Abtreibung
Die Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile hat zur Folge, daß alle Menschen bestrebt sind, beruflich voranzukommen und auf Grund ihrer beruflichen Leistung und der Position, die sie errungen haben, gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Eine optimale berufliche Position jedoch kann man nur erringen, wenn man kontinuierlich über Jahre hinweg dem Beruf zur Verfügung steht. Daher verlangt es die marktwirtschaftliche Ordnung, daß in den Industriegesellschaften eine liberale Abtreibungsgesetzgebung durchgesetzt wird, damit nicht durch berufsfremde Störfaktoren wie Schwangerschaft und Mutterschaft die individuelle Karriereplanung von Frauen beeinträchtigt wird.

Auch in dieser Frage darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, als seien es die Gesetze des Wirtschaftslebens allein, die die liberale Abtreibungsgesetzgebung in den Industrieländern durchgesetzt haben. Es gibt auch ein fatales und schuldhaftes Mißverständnis von Freiheit und Selbstverwirklichung, das solche liberalen Gesetze fordert. Und ohne Frage ist solches Verständnis von Freiheit ein Abfall von Gottes Gebot. Dieser Abfall hat sich nun aber mit den Karrieregesetzen der globalisierten Marktwirtschaft verbündet und von ihnen wie in einer Rückkopplung die entscheidende Kraft zur Durchsetzung erhalten.

Die gesellschaftlichen Abläufe sind klar: Die im globalen Wettbewerb stehenden Unternehmen sind gezwungen, ihre Kosten ständig zu minimieren. Neben den durch technische Innovationen möglichen Kostensenkungen steht ihnen als ein großes Kostensenkungspotential die Verteilung des für die Beschäftigten notwendigen Mindestlohns auf möglichst viele Mitglieder einer Familie zur Verfügung. Aus diesem Grunde wird die Vollerwerbstätigkeit zumindest aller Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter angestrebt. Dies führt dann zu dem weltweit zu beobachtenden Geburtenrückgang in den Industrieländern und legt den Grundstein zur Kultur des Todes.

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I, 3, 2 Weitere Todesfaktoren

Neben der erzwungenen Vollerwerbstätigkeit beider Elternteile entwickelt die marktwirtschaftlich-globalisierte Wirtschaftsordnung weitere Todesfaktoren. Diese Todesfaktoren entfalten ihre Wirkung zwar nicht so unmittelbar wie die Verteilung des für die Erhaltung der Arbeitskraft notwendigen Mindestlohns auf mehrere Familienmitglieder, sie wirken auf Dauer aber mindestens ebenso nachhaltig.
a) Abstumpfung der Gewissen
Oben I, 3 ist gezeigt worden, daß die globalisierte Marktwirtschaft um des Wettbewerbs willen eine liberalisierte Abtreibungsregelung erzwingt. In der Folge führt die gesellschaftliche Gewöhnung an die massenhafte Abtreibung von Kindern zu einer Abstumpfung der Gewissen. Der Wert des menschlichen Lebens überhaupt wird relativiert und zur Disposition gestellt. Die heutige Praxis der „Eu“thanasie in Holland und die jetzt vom Deutschen Bundestag empfohlene Freigabe der Forschung an embryonalen Stammzellen, die ja ein nachträgliches, gewissermaßen hehlerhaftes Profitieren vom Töten menschlichen Lebens ist, sind seit langem vorausgesagte Konsequenzen der liberalen Abtreibungspraxis. Es wird nicht lange dauern, bis man, wie es Peter Singer schon öffentlich gefordert hat, auch die Tötung schwerbehinderter neugeborener Kinder ernsthaft diskutiert. Es ist darüber hinaus auf längere Sicht nicht undenkbar, daß man angesichts der unlösbaren Probleme der Alterssicherungssysteme über Einschränkungen der medizinischen Versorgung von Menschen oberhalb eines bestimmten Lebensalters nachdenkt.

Die Abstumpfung der Gewissen verleitet die Menschen dazu, sich in frevelhafter Auflehnung gegen Gott zum Herren über Leben und Tod aufzuschwingen. Der Staat, der dies alles in seiner Gesetzgebung fördert oder zumindest ermöglicht, wird dann auch nicht mehr glaubwürdig für den Schutz des menschlichen Lebens eintreten können. Dies könnte am Ende dazu führen, daß das Führen von Kriegen im Bewußtsein der Öffentlichkeit wieder zu einem normalen und legitimen Instrument der Außenpolitik wird. Sehr weit ist die westliche Gesellschaft von solcher Neubewertung des Krieges nicht mehr entfernt. Ein Krieg aber ist die Kultur des Todes in seiner fortgeschrittensten Gestalt.

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b) Sexualität als zweckfreies Spiel und Konsumgut und die Zerstörung der Familie
Der durch die moderne Industriegesellschaft induzierte Geburtenrückgang muß von den Menschen intellektuell und moralisch verarbeitet werden. Damit dies erreicht wird, muß im Bewußtsein der Menschen eine entscheidende Veränderung herbeigeführt werden: Die menschliche Sexualität muß gedanklich von ihrem biologischen Zweck, nämlich der Erzeugung von Kindern, getrennt werden. Denn es ist klar, daß die Triebausstattung der Menschen einen Verzicht auf Sexualität als Ratschlag für die Mehrheit der Bevölkerung nicht gestattet. Sexualität muß in der Werteskala der Gesellschaft zu einem zweckfreien Spiel werden20.

Es kommt hinzu, daß die Marktwirtschaft davon lebt, daß immer neue Produkte erzeugt, konsumiert und entsorgt werden. Die Marktwirtschaft erzeugt, um dieses Ziel zu erreichen, eine allgegenwärtige Konsummentalität, damit die Menschen bereit sind, weit über ihren tatsächlichen Bedarf hinaus zu kaufen und zu konsumieren. Zwangsläufig wird sich diese Konsummentalität nicht nur auf die Produkte der Konsumindustrie beschränken lassen, sondern sie wird bewußtseinsmäßig auf alle anderen Bereiche des Lebens übertragen. In ganz besonderer Weise gilt dies auch für den Bereich der Sexualität. Sexualität wird zum Konsumgut. Ganz offen wird sie in den Medien und insbesondere in der Werbung, aber eben auch in den Äußerungen führender Politiker und Kirchenführer21 als solches beschrieben.

Es ist klar, daß sich eine solche als Spiel und Konsumgut verstandene Sexualität nicht mit der in Gottes Gebot begründeten Bindung der menschlicher Sexualität an die lebenslange Ehe verträgt. Das freie Spiel fordert immer neue Abwechslung und immer neue Herausforderungen. Der Konsument verlangt nach immer neuen Objekten seiner Konsumlust. Im Klartext: Sexualität als zweckfreies Spiel und Konsumgut fordert den häufigen Wechsel des Sexualpartners. Daß dies die familiären Bindungen sprengt und den Kindern, wenn sie denn überhaupt noch geboren werden, die Heimat raubt, in der sie geschützt und im Frieden heranwachsen können, ist offenkundig.

Wichtig auch hier: Es geht in der Verwandlung der Sexualität in ein zweckfreies Spiel und ein Konsumgut nicht um Befreiung der Menschen zu angeblicher „sexueller Selbstbestimmung“. Zwar mögen einige, die für solche menschenverachtende Form von Sexualität werben, irrtümlich einem falschen Freiheitstraum nachjagen, in Wirklichkeit jedoch kann von Freiheit und Selbstverwirklichung bei dieser Art von Sexualität überhaupt nicht die Rede sein. Im Gegenteil, sie ist ein zerstörerischer Angriff auf die Menschenwürde. Sie macht Menschen zu bloßen Objekten und unterwirft sie dem Konkurrenzprinzip der Marktwirtschaft. Am Ende stehen schwerwiegende Verletzungen des Ich, Depression, Überdruß und Selbstverachtung. Hinter der Verwandlung der Sexualität in ein zweckfreies Spiel steht nun aber nicht nur der falsche Freiheitstraum, sondern dahinter steht auch die Wirtschaft, die die gedankliche Trennung der Sexualität von ihrer biologischen Funktion fördert, weil sie ihre Arbeitnehmer gedanklich mit ihrer Kinderlosigkeit bzw. ihrer geringen Kinderzahl versöhnen muß.
c) Flexibilisierung der Arbeitswelt
Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, sind darauf angewiesen, daß ihre Beschäftigten in möglichst hohem Maße „flexibel“ sind. Das heißt: Sie müssen in der Lage sein, möglichst unproblematisch ihren Wohnort, ihren Arbeitsplatz, den Umfang ihrer wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit, ihren Arbeitgeber und sogar ihren Beruf zu wechseln. Befristete Beschäftigungsverhältnisse bzw. Beschäftigungsverhältnisse weitgehend ohne Kündigungsschutz werden daher vom Wettbewerb erzwungen. Nun ist mit der Gründung von Familien und der Erzeugung von Kindern von der Sache her die langfristige Übernahme von Verantwortung verbunden. Menschen, die zu nahezu vollständiger Flexibilität gezwungen sind, scheuen sich zu Recht davor, solche Verantwortung zu übernehmen. Die Folgen kann jedermann in der jüngeren Generation beobachten: Ehen werden immer weniger geschlossen, und zur Übernahme von Verantwortung für Kinder sehen sich immer weniger junge Menschen von ihren beruflichen und materiellen Perspektiven her in der Lage. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt ist in der Kultur des Todes ein Todesfaktor allererster Ordnung.


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I, 4 Der Tod des Systems

Alle beschriebenen Todesfaktoren der globalisierten Marktwirtschaft wirken zusammen und verstärken sich gegenseitig. Ein Geburtenrückgang, der so stark ist, daß er zum Erhalt der Bevölkerung nicht ausreicht, ist schließlich die notwendige Folge. Es wäre eine kurzschlüssige Deutung, wenn man diese Entwicklung allein auf die Verfügbarkeit von empfängnisverhütenden Mitteln zurückführen würde. Die empfängnisverhütenden Mittel sind lediglich die Werkzeuge, derer sich die Menschen unter dem Druck der marktwirtschaftlichen Gesetze in der globalisierten Welt bedienen. Es wäre ebenfalls zu kurz gegriffen, wenn man den Geburtenrückgang in den Industriegesellschaften nur durch den geänderten Zeitgeist und durch einen Wandel in den Lebenseinstellungen der Menschen erklären wollte. Der Geburtenrückgang ist ein immanenter Todesfaktor der globalisierten Marktwirtschaft. Er wird von ihren ökonomischen Gesetzen erzwungen und vorangetrieben. Ergebnisse des Geburtenrückgangs sind: Vergreisung der Bevölkerung, Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme und schließlich Ausfall von Arbeitskräften und Konsumenten. Am Ende steht der Zusammenbruch der bisherigen gesellschaftlichen Ordnung. Am Ende werden die Lenker des Systems erschrocken feststellen müssen: Autos kaufen keine Autos, und Autos können auch keine Autos produzieren.

Es handelt sich bei dieser auf seinen eigenen Zusammenbruch zusteuernden Entwicklung des gesellschaftlichen Systems um einen im klassischen Sinne antagonistischen Widerspruch des marktwirtschaftlichen und globalisierten Wirtschaftssystems. Das heißt: Dieser Widerspruch kann innerhalb des Systems nicht überwunden werden. Im Gegenteil, auf Dauer wird dieser Widerspruch von innen her das System sprengen. Das auf Wettbewerb ausgerichtete marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem erzeugt auf Grund seiner inneren Eigengesetzlichkeit eine Kultur des Todes, die am Ende ihre eigenen Grundlagen zerstört.

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II Damit auch wir in einem neuen Leben wandeln

Der Weg der Christenheit angesichts der Kultur des Todes

Nachdem die Symptomatik und die innere Struktur der Kultur des Todes beschrieben worden sind, muß gefragt werden, welche Aufgaben Christen, die in dieser Kultur des Todes leben und zum Teil sogar selbst an ihr teilhaben, gestellt sind.

Gott will das Leben. Er hat es durch das fünfte Gebot eindeutig geschützt. Der Apostel Paulus hat im Römerbrief geschrieben: "Oder wißt ihr nicht, daß alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln."22 Diese Worte des Apostels haben zunächst einmal einen eschatologischen Sinn. Das "neue Leben", in dem wir wandeln sollen, ist das Leben aus der Auferstehung Christi, also das ewige Leben, das Christus am Kreuz für die Seinen erworben hat. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wollte man diese auf die Ewigkeit bezogene Dimension des Apostelwortes vergessen und das "neue Leben" allein diesseitig-ethisch verstehen. Nur die auf die Ewigkeit bezogene Dimension verleiht der ethischen ihre Kraft. Denn wer den Himmel aufgibt, der verliert auch die Erde.

Wenn das klar ist, dann muß in einem zweiten Schritt erkannt werden, daß die Worte des Apostels dann auch einen Sinn haben, der auf das Diesseits bezogen ist. Christen sollen und werden schon in dieser Welt aus der Kraft der Auferstehung heraus in einem neuen Leben wandeln. Das heißt, Christen sind in der Taufe den Todesmächten entrissen worden. Ihnen ist in der Vergebung der Sünden ein neues Leben geschenkt worden. Dieses Leben führt nicht mehr wie das Leben in der Gottlosigkeit zum Tode, es baut auch keine Kultur des Todes, sondern es führt zum Leben und baut eine Kultur des Lebens. Christen sind daher geborene Verbündete des Lebens. Sie sind das nicht aus eigener Kraft, sondern nur dann und insofern, als der Heilige Geist aus der Vergebung der Sünden heraus ihr Herz verändert und ihnen hilft, den alten Menschen zu überwinden.

Dazu gehört, daß Christen in einem täglichen Kampf gegen die in ihrem Sündersein begründeten eigenen Anlagen zu einer Kultur des Todes, also gegen ihre eigene Habsucht, ihr gegen Gott gerichtetes Autonomiestreben, ihr Streben nach Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf das Ganze, ihre eigene Mißachtung von Gottes Wort und Gebot und ihre Herrschsucht und Verantwortungslosigkeit angehen. Dazu gehört aber auch, daß sie die gesellschaftlichen Strukturen einer Kultur des Todes als Feinde des Lebens ausmachen und zu überwinden versuchen.



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Das bedeutet, daß wirkliche Christen, also Christen, die aus der Taufe, aus dem in der Taufe geschenkten neuen Leben und aus der Vergebung der Sünden leben, der Kultur des Todes in all ihren Erscheinungsformen kritisch und ablehnend gegenüberstehen und daß sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln diese Kultur des Todes bekämpfen. Nach Jahrzehnten, in denen in den wohlhabenden Kirchen der westlichen Welt das Christentum als eine Religion ohne Entscheidung, als bloße "civil religion", als religiöser Freizeitclub ohne wirkliche Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit existieren konnte, ist eine Zeit der Entscheidung und der neuen Ernsthaftigkeit angebrochen. Die Kultur des Todes stellt die Christenheit vor eine tödliche Herausforderung. Angesichts dieser Herausforderung werden liberales Sowohl-als-auch, wird Lauheit wie in Laodizea23, wird eine angepaßte gutbürgerliche Christlichkeit nicht mehr ausreichend sein. Christen müssen auf die Herausforderung antworten und den Kampf aufnehmen. Die Mittel des Kampfes werden wie immer das Wort und das Gebet sein. Beides aber muß neue Entschiedenheit, Klarheit und Schärfe gewinnen. "Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Kampf rüsten?"24

In diesem Kampf muß die Christenheit zunächst der Kultur des Todes den Spiegel vor ihr Gesicht halten und sie vor den Menschen als das entlarven, was sie in Wirklichkeit ist. Martin Luther hat 1520 in seiner Schrift "An den christlichen Adel ..." geschrieben: "Hier muß man wahrlich auch den Fuggern und dergleichen Gesellschaften einen Zaum ins Maul legen."25 Er hat sich nicht einschüchtern lassen von den Mächtigen und Reichen seiner Zeit. Auch heute darf die Christenheit sich nicht einschüchtern lassen vom großen Geld der Industriegesellschaft. Sie darf sich nicht beeindrucken und lähmen lassen von den großartigen wissenschaftlichen und technischen und auch ökonomischen Leistungen, die die moderne Gesellschaft vorzuweisen hat. Sie muß der Kultur des Todes die glitzernde Maske des Geldes und des technischen Fortschritts, mit der sie den dahinter verborgenen Totenschädel zu tarnen sucht, entreißen und die Menschen dazu bringen, aufzuwachen und die Wirklichkeit zu erkennen. Nur wenn die Menschen die Wirklichkeit erkennen und entsprechend erschrecken, werden sie bereit sein, Alternativen zu suchen. Nur dann werden sie selbstkritisch ihr eigenes Leben überprüfen und danach fragen, wo sie selbst sich zu Dienern oder Mitläufern der Kultur des Todes gemacht haben. Nur dann werden sie bereit sein, ihr Leben zu ändern und gemeinsam mit anderen eine Gegenkultur des Lebens zu bauen.

Damit die Menschen auf diesem Wege nicht vereinzeln und angesichts der Übermacht der Todeskultur verzweifeln, brauchen sie Rückhalt in den christlichen Gemeinden. Alle Christen müssen daher daran arbeiten, daß ihre Gemeinden zu Heimstätten des Lebens werden. Dazu gehört die klare Verkündigung des Evangeliums, das jeder Kultur des Todes feind ist. Dies darf nicht nur in allgemeiner Form geschehen. Die Verkündigung muß im einzelnen die Faktoren und Elemente der Kultur des Todes benennen und sie als Sünde brandmarken. Daß dazu die Ablehnung homosexueller Praktiken und gottesdienstlicher Segnungen homosexueller Paare gehört, versteht sich von selbst. Auch die in jüngster Zeit diskutierten gottesdienstlichen Scheidungssegnungen für Eheleute, die sich scheiden lassen, haben in einer christlichen Gemeinde, die eine Gegenkultur des Lebens bauen will, keinen legitimen Ort. Statt dessen sollten die Gemeinden die Eheleute ermutigen, ihre Ehe auch durch Krisen hindurch heilig zu halten. Sie sollten zur Versöhnung und Vergebung aufrufen und auf Gottes Wort verweisen, in dem es heißt: "Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden."26

Viel mehr jedoch muß in der Christenheit positiv für das Leben geworben werden. Das heißt: Sie muß in Predigt und Unterweisung, in Seelsorge und in den Medien dazu ermutigen, in der Ehe Verantwortung für den andern zu übernehmen. Sie muß Kinder wieder als Geschenk und Segen Gottes beschreiben, für das die Menschen nicht genug dankbar sein können. Jedes neugeborene Kind ist ein Geschenk Gottes an seine Schöpfung! Die Verkündigung muß den unverlierbaren Wert jedes Lebens, gerade auch des Lebens von Behinderten, Schwerkranken und Dementen unmißverständlich festhalten. Sie muß immer wieder öffentlich daran festhalten, daß das Leben heilig ist, und zwar von Anfang an27. Von daher kann sie alle tötende Forschung an menschlichen Embryonen und Stammzellen nur als abscheuliches Verbrechen anprangern.

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Was die Verankerung der Kultur des Todes in den treibenden Kräften der globalisierten Marktwirtschaft betrifft, so ist es nicht die Aufgabe der Theologie, Reformvorschläge zu machen und Alternativmodelle zu entwickeln. Hier sind christliche Volkswirtschaftslehrer an den Hochschulen und Christen in den Vorständen der Unternehmen und der Wirtschaftsverbände gefordert. Ohne ihren Sachverstand werden keine neuen Wege gefunden werden können. Die Theologie hat guten Grund, auf die Einsicht und den Sachverstand der Sachkundigen zu hoffen. Es gibt überall, auch in den Vorständen der großen Unternehmungen, Christen, die wach geworden sind und vor den Problemen die Augen nicht verschließen. "Denn es muß ja so sein, daß man noch etliche finde sowohl unter den Kaufleuten als auch unter anderen Leuten, die Christus zugehören und lieber mit Gott arm als mit dem Teufel sein wollten"28. Es ist zu hoffen, daß der Heilige Geist denen, die im westlichen Wirtschaftssystem und in der Gesellschaft überhaupt Verantwortung tragen, neue Einsichten und neue Ideen schenkt. Ohne eine Neuorientierung des Wirtschaftssystems und eine Umkehr der Menschen zu den Geboten Gottes führt der Weg der Gesellschaft in den Tod.

Wichtig ist, daß es wirklich neue Wege sind, die ausgekundschaftet werden. Der Versuch, die Wege des gescheiterten Sozialismus erneut zu gehen, wäre ein fataler Irrweg. Die in diesem Aufsatz vorgetragene Kritik an den Zusammenhängen von Marktwirtschaft und Todeskultur verdankt sich zwar zu einem wesentlichen Teil der Kritik der politischen Ökonomie eines Karl Marx, das darf keinesfalls zu der Annahme verleiten, daß die marxistischen Ideen oder gar die inzwischen zusammengebrochenen Wirtschaftssysteme des Sowjetsystems auch Lösungen zu bieten hätten. Planwirtschaftliche Systeme haben sich als ungeeignet erwiesen, die Probleme zu lösen, und niemand sollte meinen, man dürfe auf sie zurückgreifen. Diese Systeme waren auf ihre Weise eine mindestens ebenso effiziente Kultur des Todes wie das westliche Gesellschaftsmodell. Zudem waren sie offen verbrecherisch. Niemand sollte sie sich zurückwünschen.

Das gilt im übrigen nicht nur wegen ihrer mangelnden ökonomischen Effizienz, sondern vor allem auch deshalb, weil sie vom System her unfrei waren. Indem sie die gesamte wirtschaftliche Macht in zentralen Entscheidungsgremien vereinigten, haben sie notwendig auch jede politische und geistige Macht zentralisiert. Sie waren vom System her auf Unfreiheit und Unterdrückung angelegt. Dem gegenüber ist das westliche System, insofern es wirtschaftliche Macht dezentralisiert, eher bereit, geistige Freiheit und insbesondere Religionsfreiheit zu gewähren. Das allerdings hebt die Tatsache nicht auf, daß das westliche System eine Kultur des Todes ist und daß es Aufgabe der Christenheit ist, diese Kultur des Todes zu bekämpfen und Alternativen zu entwickeln.

Nicht zuletzt: Das Gebet

Die Christenheit wird in ihrem Kampf gegen die Kultur des Todes nicht bestehen können, sie wird keine Gegenkultur des Lebens bauen können, wenn nicht der Heilige Geist ihr seine Kraft verleiht. Denn gegen Fleisch und Blut29 allein geht dieser Kampf nicht. Um den Heiligen Geist zu beten, muß daher die erste und wichtigste Aufgabe der Christenheit sein. Das Gebet jedes einzelnen und das Gebet der gesamten Gemeinde ist gefordert. Mit unsrer Macht ist nichts getan.

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1Vgl. Römer 6, 4
2Kol. 2, 13
3Eph. 2, 1
4Offenbarung 3, 1
5Lk. 15, 24
6Rudolf Schnackenburg, „Der Brief an die Epheser, Neukirchen-Vluyn, 1982, S. 90
7ibd.
8Eph. 2, 1
9Deutsches Jugendinstitut e.V. Nockherstraße 2, 81541 München
10Zitiert nach „Handelsblatt“ vom 21. Januar 2002, S. 8
11Offenbarung 3, 1
12http://www.christus.rex.org/www1/overkott/vitae.htm
13Joh. 8,44
14Eph. 6, 12
15Karl Marx, „Das Kapital“, Im Zusammenhang ausgewählt und eingeleitet von Benedikt Kautsky, Kröner Verlag, Stuttgart 1957, S. 134
16Karl Marx, ebenda, S. 252
17Es ist eine wirkliche Ironie der Geschichte, daß es gerade die gesellschaftspolitischen Kräfte sind, die gedanklich aus dem Umfeld des Sozialismus und Marxismus stammen, also auch die klassischen „linken“ Parteien, die diesen Weg, der letztlich der Kostenminimierung der kapitalistischen Betriebe dient, als Weg der Emanzipation, Befreiung und Selbstverwirklichung propagieren.
18Das hat bekanntlich schon Platon im „Staat“ gefordert. Zur um der Freiheitlichkeit der Gesellschaft notwendigen Kritik an diesem platonischen Gesellschaftsmodell vgl. Karl Popper, „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, Band I, Tübingen 7/1992, S. 104 ff
19Ingo Richter, Vorsitzender der Sachverständigenkommission des 11. Kinder- und Jugendberichts, a.a.O.
20 In diesem Zusammenhang kommt der gesellschaftlichen Aufwertung und Förderung der Homosexualität die Rolle eines wichtigen Transmissionsriemens zu: Bei dieser gegen Gottes Gebot praktizierten Form von Sexualität ist ja von vornherein klar, daß sie nicht der Erzeugung von Kindern dient. Wenn also diese „spielerische“ Sexualität gesellschaftlich akzeptabel gemacht worden ist, kann man jede Form von Sexualität als ein reines Spiel deklarieren. Menschen können auf diese Weise in ihrem Gewissen damit versöhnt werden, daß sie zwar, wie man heute sagt, „sexuell aktiv“ sind, die Erzeugung von Kindern aber vermeiden.
21 Etwa in der Handreichung der Ev. Kirche im Rheinland „Sexualität und Lebensformen“ von 1996
22Römer 6, 3+4
23Offenbarung 3, 15+16
241. Kor. 14, 8
25WA 6, 466, Schreibweise modernisiert
26Mk. 10, 9 Etwas anderes ist die seelsorgerliche Begleitung und die Wiedertrauung Geschiedener. Selbstverständlich gibt es auch für Geschiedene, insbesondere auch für solche, deren Ehe durch eigene Schuld zerstört worden ist, die Möglichkeit der Vergebung und das Geschenk eines neuen Anfangs. Eine gottesdienstliche Scheidungssegnung jedoch würde die Schuld und das menschliche Versagen segnen und Ehescheidung als eine gute Sache hinstellen.
27Der Kampf ist so umfassend, daß traditionelle konfessionelle Gegnerschaft ihre Bedeutung verliert. Es sollte auch für entschieden lutherische Christen, die bewußt nicht unter Bischof und Papst stehen und die sogenannte „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ mit guten Gründen abgelehnt haben, selbstverständlich sein, daß sie dem römisch-katholischen Papst, der seit Jahren in geradezu prophetischer Weitsicht die Kultur des Todes bekämpft und die Heiligkeit des Lebens predigt, dankbar sind und ihn in dieser Hinsicht nach Kräften unterstützen.
28Martin Luther, „Von Kaufshandlung und Wucher“, 1524, WA 15, 293, Schreibweise modernisiert
29Eph. 6, 12


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