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Auf ewiglich geschieden und widereinander

Festvortrag zum Reformationstag 2000 vor der Arbeitsgemeinschaft Bekennende Gemeinde am 29. Oktober 2000 in Bethel

Pfarrer Reiner Vogels

Liebe Schwestern und Brüder,

Ein Jahr, nachdem in Augsburg Vertreter des Vatikan und des Lutherischen Weltbundes die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unterschrieben haben, gehört, so meine ich einiges an Mut dazu, zu einem Vortrag zum Thema „auf ewiglich geschieden und widereinander“ einzuladen. Dies gilt um so mehr, als dieses Thema festgelegt festgelegt worden ist, bevor Kardinal Ratzinger und die römische Kongregation für Glaubensfragen in ihrer Erklärung „Dominus Iesus“ die ökumenischen Träumerein, die in der evangelischen Kirche weit verbreitet sind, wie eine Seifenblase haben zerplatzen lassen. Kardinal Ratzinger hat zwar in dem besagten Papier nur das gesagt, was die römisch-katholischen Kirche immer schon gesagt hat, er hat aber diesmal mit besonderer Öffentlichkeitswirkung deutlich gemacht, daß nach römischem Denken die römisch-katholische Kirche nach wie vor die alleinseligmachende ist und daß die evangelischen Gebilde, die sich selbst „Kirche“ nennen, keinesfalls Kirchen, sondern lediglich kirchliche Gemeinschaften sind. Zitat Ratzinger in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Zur Redlichkeit gehört zum Beispiel auch, daß wir uns nicht vormachen, der Begriff Kirche sei im gleichen Sinne angewandt, wenn wir von Nordelbischer Kirche und von katholischer Kirche sprechen."1

Ihr Mut, liebe Schwestern und Brüder, zu einem derartigen Vortragsthema einzuladen, hat inzwischen durch die Erklärung des Vatikan eine glänzende Bestätigung gefunden. Ich möchte heute versuchen, meinerseits Ihrem Mut gerecht zu werden.

Zunächst ist jedoch eine Vorbemerkung erforderlich: Ich bitte Sie, bei allem, was ich Kritisches über die römisch-katholische Kirche sagen werde, streng zu beachten, daß ich damit vor allem die offizielle Amtskirche und ihre Theologen kritisieren möchte, nicht die einfachen katholischen Christen. Es gibt in der katholischen Kirche eine große Zahl von außerordentlich achtenswerten und rechtschaffenen Christen, mit denen wir als ernsthafte evangelische Christen mehr Gemeinsamkeiten haben als mit manchen Vertretern der unbiblischen Theologie, die in unserer evangelischen Kirche weithin das Sagen haben. Die Gemeinschaft mit diesen Schwestern und Brüdern in der katholischen Kirche müssen wir suchen. Das heißt allerdings nicht, daß wir auf eine klare und biblisch begründete Kritik an der offiziellen römischen Kirche und ihrer ganz gewiß höchst unbiblischen Theologie verzichten dürfen.

Mein Vortrag wird drei Teile haben. Der erste Teil ist überschrieben: „Theologie und Machtanspruch – die römische Meßopferlehre“. In diesem Teil soll am Beispiel der Meßopfertheologie gezeigt werden, daß Grundlage der römischen Theologie nie nur theologische Erkenntnisse, sondern immer auch der Machtanspruch der Hierarchie ist. Der zweite Teil trägt die Überschrift: „Bleibende Gegensätze“. In diesem zweiten Teil soll überblicksweise der Zusammenhang von Machtanspruch und Theologie an einzelnen theologischen Unterschieden von evangelischer und katholischer Lehre gezeigt werden. In einem kleinen Schlußteil soll dann eine Betrachtung zum Wort vom Felsen aus Matthäus 16.

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Theologie und Machtanspruch - die römische Meßopferlehre

Bei Prozessionen der katholischen Kirche ist es oft so, daß vorne an der Spitze der Prozession Vertreter der sogenannten Eucharistischen Ehrengarde hoch erhoben über ihren Köpfen die Monstranz tragen. Die Monstranz ist, wie Sie wahrscheinlich wissen, ein kunstvoll geschmückter Behälter, in dem eine konsekrierte Hostie zur Schau gestellt wird. Aber natürlich wird die Hostie nicht nur zur Schau gestellt, sondern sie wird in Liedern besungen und Gebeten gepriesen, und sie wird bei den einzelnen Stationen der Prozession den Gläubigen ringsum gezeigt, so daß die Gläubigen Gelegenheit haben, vor der Monstranz bzw. vor der geweihten Hostie auf die Knie zu gehen und sie anzubeten.

Uns evangelischen Christen ist Zeremonie nicht nur fremd, sie zeigt auch überdeutlich, wie weit wir doch trotz aller ökumenischen Bemühungen und aller feierlichen Unterzeichnungen von Konsenspapieren als evangelische und katholische Kirche in der Wirklichkeit voneinander getrennt sind. Das wäre ja in der evangelischen Kirche unvorstellbar, daß ein Stück Abendmahlsbrot zur Anbetung und Verehrung der Gemeinde ausgestellt würde. Götzendienst, Magie und Aberglauben wären da noch die harmlosesten Vorwürfe, mit denen die Gemeinde auf dergleichen reagieren würde. Eine solche Zeremonie stünde einfach in solchem Widerspruch zu allem, was wir als evangelische Christen aus unseren Gottesdiensten und unser Frömmigkeit gewohnt sind, daß wir auf sie nur mit Ablehnung und Protest reagieren würden.

Das ist kein Zufall. Es geht dabei auch nicht nur um unterschiedliche Frömmigkeitsformen und unterschiedliche kirchliche Traditionen, sondern es geht um das Zentrum des Glaubens und den entscheidenden Punkt. Dieser Punkt trennt nach wie vor und auf absehbare Zeit evangelische und katholische Kirche und verweist jeden Gedanken an Wiedervereinigung der Kirche oder auch nur gemeinsame Abendmahlsfeiern in das Reich der Träume.

Ich möchte das erklären: Die Monstranz mit der geweihten Hostie ist die sichtbar gemachte römische Meßtheologie. Es ist die Lehre von der Transsubstantiation, von der substanzhaften Verwandlung von Wein und Brot in Leib und Blut Christi, die das Zentrum der römischen Messe ist. Und selbstverständlich ist es die Lehre der römischen Kirche, daß die geweihten Hostien ihre Substanz auch nach der gottesdienstlichen Feier noch behalten. Das heißt: Die geweihte Hostie, die da in der Monstranz bei der Prozession zur Schau gestellt wird, ist tatsächlich, dinglich und substanzhaft Leib Christi. Sie ist gewissermaßen Christus selbst. Und deshalb gebührt ihr – eigentlich müßte man sagen: Ihm - Anbetung und Lobgesang.

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Diese Transsubstantiationslehre ist für die römische Kirche deshalb so wichtig, weil sie für den Charakter der römischen Meßfeier unentbehrlich ist. Die römische Meßfeier ist eine Opferfeier. Die katholische Theologie redet mit Bedacht vom „heiligen Meßopfer“. Das Zentrum der Meßfeier besteht darin, daß am Altar etwas dargebracht wird, nämlich tatsächlich und substantiell Leib und Blut Jesu Christ. Das einmalige Opfer, das Jesus Christus am Kreuz für uns Sünder vollbracht hat, wird im römischen Meßopferverständnis bei jeder neu Meßfeier repräsentiert. Das heißt: Es ist so, als ob es von neuem vollzogen würde. Und selbstverständlich ist deshalb die Darbringung des Meßopfers durch die Kirche ein gutes Werk, ein Werk, mit dem der Priester selbst etwas zur Versöhnung der sündigen Menschen mit Gott beiträgt.

Nach evangelischem Verständnis dagegen ist die Feier des Heiligen Abendmahls eine Einbahnstraße: Die Vergebung der Sünden, die Christus durch seinen Tod am Kreuz einmal und ein für allemal erworben hat, wird denen, die mit bußfertigem Herzen in mit und unter Brot und Wein Fleisch und Blut Jesu Christi zu sich nehmen, geschenkt. Sie wird ihnen einseitig zugesagt und zugesprochen. Diesen Sinn haben die Spendeformeln: „Nimm hin und iß!“ und „Nimm hin und trink!“ Die Gläubigen werden mit Gott versöhnt, und zwar rein passiv, ohne daß sie selbst zu dieser Versöhnung etwas beitragen würden oder beitragen könnten.

Die römische Meßopferfeier jedoch ist keine Einbahnstraße, sondern eine Straße mit Gegenverkehr. Zwar betont auch die römische Theologie, die die Vergebung der Sünden ein unverdientes Geschenk der Gnade ist, sie hält aber daran fest, daß auch die Kirche in der Meßfeier handelt, daß sie gewissermaßen mitwirkt am Zustandekommen der Versöhnung, und zwar dadurch, daß sie die reinen Opfergaben des Altar darbringt und so das Opfer Christi repräsentiert. So heißt es z.B. im ersten Hochgebet des römischen Meßkanons: "Dich, gütiger Vater, bitten wir durch deinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus: Nimm diese heiligen makellosen Opfergaben an und + segne sie ... Mache sie uns zum wahren Opfer im Geiste."2 Und im dritten Hochgebet lesen wir: "So bringen wir dir mit Lob und Dank dieses heilige und lebendige Opfer dar. Schau gütig auf die Gabe deiner Kirche. Denn sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat."3

Mit anderen Worten: Die katholische Meßfeier ist bis auf den heutigen Tag ein typisches Beispiel für das Prinzip der römischen Theologie. Es handelt sich in allen Fälle immer um ein differenziertes Miteinander von Werk Christi und Werk des Menschen. Immer wieder hält die katholische Theologie daran fest, daß der Mensch in irgendeiner Form selbst mitwirken kann und soll an seiner Erlösung. Daß der Mensch gerecht wird vor Gott allein aus Glauben, rein passiv, wobei der Glaube nur darin besteht, daß der Mensch das Geschenk der von Christus erworbenen Gnade annimmt, das kann und wird die römische Theologie niemals zugestehen. Gerade am Verständnis des heiligen Abendmahls läßt sich das exemplarisch zeigen. Nach evangelischem Verständnis ist das Heilige Abendmahl eine Einbahnstraße: Der Christ wird beschenkt. So wie er passiv in mit und unter Brot und Wein Fleisch und Blut Jesu Christi empfängt, so wird ihm passiv die Vergebung der Sünden geschenkt und die Türe zum ewigen Leben aufgestoßen. Nach römischem Verständnis jedoch handelt es sich beim Meßopfer um eine Straße mit Gegenverkehr. Der Christi empfängt den Leib Christi und die Vergebung der Sünden, die Kirche trägt aber durch aktives Handeln, nämlich durch Darbringung des Meßopfers selbst etwas bei zur Versöhnung der Gläubigen mit Gott.

Daß eine solche Deutung des Heiligen Abendmahls um Jesu Christi willen nur abgelehnt werden kann, versteht sich von selbst. Wenn es nicht auf Christus allein, sondern auch auf das priesterliche Handeln der Kirche ankäme, dann wäre Christus umsonst gestorben. Siehe Galater 2, 21. Martin Luther hat dazu bereits das Entscheidende gesagt: "Nu aber die Messe nichts anderes ist noch sein kann denn ein Werk der Menschen (auch böser Buben), damit einer sich selbs und andere mit sich gegen Gott versuhnen, Vergebung der Sunden und Gnade erwerben und verdienen kann (denn so wird sie gehalten, wenn sie aufs beste wird gehalten. Was sollt' sie sonst?), so soll und muß man sie verdammen und verwerfen; denn das ist stracks wider den Häuptartikel, der da sagt, daß nicht ein Messknecht mit seinem Werk, sondern das Lamb Gottes und Sohn Gottes unsere Sunde trägt."4

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Mein Vorgänger im Vorsitz des Lutherischen Konvents im Rheinland, Ernst Volk, hat kürzlich in einem Artikel in den Lutherischen Nachrichten5darauf hingewiesen, daß sogar der Name "Messe" mit dieser römischen Meßtheologie zusammenhängt. Das Wort "Messe" kommt ja vom Schlußsatz der lateinischen Meßliturgie. "Ite, missa est", ist dort zu lesen. Das bedeutet übersetzt: "Geht, es ist gesandt." Oder "Geht, es ist geschickt." Volk verweist auf eine Bemerkung des Normaltheologen der römischen Kirche Thomas von Aquin, nach der das Abendmahl deshalb "Messe" genannt werde, weil "der Priester die Gebete durch einen Engel zu Gott hinsende"6

Tatsächlich steht Thomas von Aquin mit dieser Einschätzung in einer uralten theologischen Tradition, die bis ins 2. Jahrhundert nach Christi Geburt hineinreicht, nämlich zu Justin dem Märtyrer. Justin der Märyrer hat in der Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christi Geburt eine Verteidigungsschrift für das Christentum verfaßt. In dieser Schrift finden wir die älteste Beschreibung eines christlichen Gottesdienstes, die wir haben. Dort wird auch die Abendmahlsfeier beschrieben. Und es ist gut möglich, daß die Formulierung des Justin ein Vorläufer der Formel "Ite, missa est" ist. Dort steht nämlich, daß der Vorsteher im Gottesdienst, nachdem ihm Brot und Wein und Wasser gereicht worden ist, Gebet und Danksagungen mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft "emporsendet", bzw. "emporschickt."7 Ganz ohne Frage steht hinter dieser Formulierung des Justin die Vorstellung, daß der dem Gottesdienst vorstehende Priester Gebete und Danksagung wie eine Opfergabe zu Gott emporsendet. Es ist gut vorstellbar, daß sie daraus die römische Meßtheologie entwickelt hat, nach der die Messe eine Emporsendung und Darbringung von Opfergaben ist. Die Schlußformulierung des Meßkanons „Geht, es ist gesandt“, würde dann die Bedeutung haben: „Geht nach Hause, die Gaben des Opfers sind zu Gott emporgesandt.“ Wie gesagt, diese Herleitung des Namens „Messe“ ist eine Vermutung. Ich persönlich halte sie aber für eine sehr plausible Vermutung, die sich ganz klar auf die offenkundige römische Meßtheologie stützen kann.

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Liebe Schwestern und Brüder,

ich habe Ihnen das nicht nur deshalb so genau erklärt, weil nach der Unterzeichnung der sogenannten "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" vom letzten Jahr in Augsburg jetzt der nächste Schritt der ökumenischen Konsensgespräche der Erstellung einer ähnlichen gemeinsamen Erklärung zum Abendmahlsverständnis sein wird und auch diesmal wieder zu befürchten ist, daß die Vertreter der evangelischen Seite wie in Augsburg grundlegende reformatorische Wahrheiten preisgeben und verraten, sondern ich habe Ihnen das deshalb so ausführlich erklärt, weil am Beispiel der Meßopfertheologie ein, vielleicht sogar das Grundprinzip der römischen Theologie greifbar wird. Ich möchte das erklären: Es kommt den römischen Theologen beim Insistieren darauf, daß das Geschehen beim Sakrament des Altars keine Einbahnstraße ist sondern daß auch die Kirche in Gestalt ihrer Priester Entscheidendes zum Versöhnungsgeschehen beiträgt, ja nicht etwa nur darauf an, daß der Mensch mitwirkt und daß er nicht bloß rein passiv die Gnade Christi empfängt, sondern es kommt der römischen Theologie vor allem auch darauf an, daß die Mitwirkung der Kirche, also des von einem römischen Bischof geweihten Priesters notwendig ist.

Die römische Meßopfertheologie dient nicht zuletzt dazu, den Machtanspruch der Hierarchie sichern. Denn es ist ganz klar: Wenn es bei der Abendmahlsfeier nicht entscheidend auch auf die Mitwirkung der Priester ankäme, dann brauchte man keine geweihten Priester, dann brauchte man keine römischen Bischöfe mit dem Papst an der Spitze, die angeblich, wie Kardinal Ratzinger neulich in einem Interview mit der FAZ gesagt hat, "in der Nachfolge der Apostel im Bischofsamt"8 stehen. Wenn nämlich, wie es der Lehre des Neuen Testaments entspricht, die Feier des Heiligen Abendmahls eine Einbahnstraße ist, bei der die Gläubigen rein passiv Vergebung der Sünden geschenkt bekommen, wobei weder die Gläubigen selbst noch der die Sakramentsfeier leitende Pastor etwas zum Versöhnungsgeschehen beitragen können, dann ist es zu einer rechtmäßigen und wirksamen Sakramentsfeier nur erforderlich, daß die Feier entsprechend dem neutestamentlichen Einsetzungsbericht vollzogen wird. Um dies sicherzustellen, verlangt die Evangelische Kirche, daß die Feier von einem ordinierten, das heißt ordentlich ausgebildeten und von der Kirche rechtmäßig beauftragtem Diener am Wort geleitet wird. Irgendwelche heiligen Weihen, die nur ein in apostolischer Sukzession verleihen kann, sind dazu nicht erforderlich. Und wenn das so ist, dann ist es um die Macht des katholischen Bischofs von Rom geschehen.

Kein geringerer als Martin Luther hat den Zusammenhang von Theologie und päpstlichem Machtanspruch schon in der Reformationszeit klar erkannt und unmißverständlich formuliert, und zwar in den Schmalkaldischen Artikeln, die zu den Bekenntnisschriften der Lutherischen Kirchen gehören. Die Schmalkaldischen Artikel sind entstanden, weil der Papst für den Mai 1537 zu einem Konzil nach Mantua eingeladen hatte, auf dem die Religionsfrage endgültig geklärt werden sollte. Dies Konzil hat im übrigen nie stattgefunden. Dennoch wollten die Evangelischen eine schriftliche Zusammenfassung ihres Bekenntnisstandes, das sie beim Konzil als ihre Position vorlegen wollten. Sie haben Martin Luther beauftragt, dieses Papier zu erstellen. Auf einem Treffen im Februar 1537 in Schmalkalden – daher der Name "Schmalkaldische Artikel" – sollte es dann beraten und beschlossen werden. In diesen von Martin Luther verfaßten Artikeln finden sich die Sätze, aus der auch die Themenformulierung für meinen heutigen Vortrag stammt. Ich zitiere:"Dieser Artikel von der Messe wird's ganz und gar sein in Concilio; denn wo es muglich wäre, daß sie uns alle andere Artikel nachgeben, so konnen sie doch diesen Artikel nicht nachgeben ... So werde ich mich auch mit Gottes Hulfe ehe lassen zu Aschen machen, ehe ich einen Messeknecht mit seinem Werk lasse meinem Heilande Jesu Christo gleich oder hoher sein. Also sind und bleiben wir ewiglich gescheiden und widernander. Sie fuhlen's wohl: wo die Messe fällt, so liegt das Bapsttum. Ehe sie das lassen geschehen, so toten sie uns alle"9 Mit anderen Worten: Rom, so Luther, wird an der Meßopfertheologie festhalten, weil es genau weiß, daß die römische Hierarchie und das Paptstum sich selbst überflüssig machen und sich selbst aufgeben, wenn sie diese Meßtheologie fallen lassen.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich glaube, es ist deutlich geworden, daß hinter römischer Theologie nicht nur die Theologie selbst, sondern auch der römische Machtanspruch steht. Und daraus folgt, daß Luther recht hatte: Solange die römische Kirche diesen Machtanspruch nicht aufgibt, solange sie nicht aufhört, Ökumene nur als Rückkehrökumene zu verstehen, solange sie nicht von ihrem hohen Roß herabsteigt und ihren römischen Triumphalismus aufgibt, solange sind evangelische und katholische Kirche „auf ewiglich geschieden und widereinander“. Solange wird es auch keine gemeinsame Abendmahlsfeier und keine ökumenischen Gottesdienste an Sonntagen geben. Solange werden alle Träume von einer Wiedervereinigung der Kirche nichts anderes sein als Träumereien und Illusionen. Das ist so. Ich füge hinzu: Leider ist das so. Wir Evangelischen können es nicht ändern. Es ist an Rom, den entscheidenden Schritt zu tun.

Ich komme zum zweiten Teil meiner Ausführungen.

Bleibende Gegensätze

In diesem Teil möchte ich überblicksweise zwei Streitfragen im einzelnen behandeln, nämlich das Verhältnis von Schrift und kirchlichem Lehramt und die Frage der Rechtfertigung des Sünders. Bei beiden Fragen wird zu zeigen sein, daß es hier nicht nur um Theologie, sondern auch um die Macht der Kirche geht.

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1. Schriftprinzip und Lehramt

In der großen Disputation10 zwischen Eck und Luther in Leipzig im Jahre 1519 ist der Gegensatz zwischen reformatorischem und römischem Umgang mit der Schrift zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit deutlich geworden. Johannes Eck, seines Zeichens Professor aus Ingolstadt, vertrat dabei kompromißlos den Primat des Papstes. Er erklärte, daß alles, was er zu sagen habe, dem Urteil des Bischofs von Rom unterworfen sei. Luther dagegen erklärte, daß er nicht Menschen als Richter über die Schrift, sondern die Schrift als Richter über die Lehren der Menschen anerkennen wolle. "Allein die Schrift!" ist dann der Kampfruf der Reformatoren gegen Rom gewesen. Sie haben damit gemeint, daß allein die Schrift Richtschnur und Norm der kirchlichen Lehre sein dürfe und nicht die kirchliche Tradition, nicht die Lehren der Kirchenväter und der kirchlichen Autoriäten. Von Anfang an ging der Streit also nicht nur um eine wissenschaftliche Auslegungsmethode für die Heilige Schrift, sondern auch um eine Machtfrage. Es ging nämlich darum, wer die Auslegungs- und Deutungskompetenz für die Bibel hatte. Die Reformatoren erklärten, niemand anderes als die Schrift selbst könne sich auslegen. Rom jedoch beharrte darauf, daß die Schrift widersprüchlich und in mancher Hinsicht unklar sei und daß es daher notwendig sei, daß die Kirche die Schrift gültig auslege. Wir sehen: Die Forderung nach einem verbindlichen kirchlichen Lehramt ergibt sich zwangsläufig, wenn man annimmt, daß die Bibel unklar sei, daß die Bibel also nicht für sich selbst sprechen könne. Auf der anderen Seite kann man nur dann auf ein verbindliches kirchliches Lehramt verzichten, wenn die Schrift eindeutig und klar ist, wenn also die Schrift, wie es Luther formuliert hat, ihr eigener Dolmetscher und Ausleger sein kann.

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Sechs Jahre nach der Leipziger Disputation, also im Jahre 1525, hat Luther in seiner Streitschrift gegen Erasmus von Rotterdam "Vom unfreien Willen" die reformatorische Position grundsätzlich begründet. Auch Erasmus hatte ja die These vertreten, daß die Schrift unklar sei und daß es daher der Autorität und des Sachverstandes der Kirche bedürfe, sie richtig auszulegen. Luther tritt dem mit der These von der Klarheit der Schrift entgegen. Die Schrift ist klar und eindeutig. Nur Verblendung und Irrtum können etwas anderes behaupten. Luther unterscheidet zwischen der inneren Klarheit und der äußeren Klarheit. Die innere Klarheit meint dabei die Klarheit der Schrift, die sich dem Glauben unmißverständlich und eindeutig erschließt. Luther selbst hat das in der Vorrede zur Ausgabe seiner lateinischen Schriften kurz vor seinem Tode im Jahre 1545 am Beispiel seiner reformatorischen Entdeckung, nämlich an der richtigen Übersetzung von Römer 1, 17 erläutert11: "In ihm [im Evangelium] wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart", steht dort. Lange Zeit hatte Luther geglaubt, mit dem Begriff "Gerechtigkeit Gottes" sei eine Eigenschaft Gottes gemeint, nämlich die Tatsache, daß Gott selbst gerecht sei. Dies jedoch hatte Luther in tiefste Verzweiflung gestürzt. Denn ihm als gewissenhaftem Menschen hatte immer deutlich vor Augen gestanden, daß er selbst vor einem Gott, der gerecht ist, nicht würde bestehen können, da er trotz aller Klosterübungen und aller Frömmigkeit keineswegs gerecht war. Mit einmal Mal jedoch sind ihm die Augen aufgegangen, und er hat begriffen, daß mit dem Wort "Gerechtigkeit Gottes" nicht die Gerechtigkeit gemeint ist, durch die Gott selbst gerecht ist, sondern, wie die Lutherübersetzung bis auf den heutigen Tag formuliert, „die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ Sonst wäre es ja kein Evangelium, keine frohe Botschaft gewesen, in der sich die Gerechtigkeit offenbarte, sondern eine furchtbare, bedrohliche und deprimierende Drohbotschaft.

Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die Gerechtigkeit, die dem Menschen um Christi willen im Glauben geschenkt wird, die eine fremde und unverdiente Gerechtigkeit ist der eindeutige klare Sinn der Schrift. Sie ist das Zentrum der Schrift. Von diesem Zentrum her muß alles in der Schrift bewertet und kritisch untersucht werden. Dafür jedoch braucht man kein kirchliches Lehramt, sondern lediglich die unbefangene Erkenntnis dessen, was tatsächlich in der Schrift steht. Man sieht, daß Luther an die Stelle der kirchlichen Auslegungshoheit über die Schrift, die der Papst und die römischen Bischöfe für sich beanspruchen, die Autorität Jesu Christi selbst gestellt hat. „Was Christum treibet“ wird zum obersten Auslegungsprinzip der Schrift. Von diesem Zentrum her konnte Luther sich sogar zu einzelnen Schriften der Bibel wie z.B. zum Jakobusbrief, zum Hebräerbrief und auch zur Offenbarung des Johannes ausgesprochen kritisch äußern. Zur Not, so hat er später in einer Disputation gesagt muß man, wenn die Gegner die Schrift gegen Christus anführen, mit Christus gegen die Schrift argumentieren.

Diese Lehre von der Klarheit der Schrift erschließt sich natürlich zunächst nur dem Glauben. Denn nur der Glaube kann wirklich die um Christi willen geschenkte Gerechtigkeit ergreifen. Wenn es also nur diese innere Klarheit der Schrift gäbe, könnte die römische Kirche immer noch behaupten, diese lutherischen Deutung der Schrift sei eine mögliche Deutung unter vielen, andere hätten die Schrift ganz anders interpretiert. Und weil dies so sei, müsse am Ende doch eine kirchliche Autorität stehen, die mit einem verbindlichen Lehramt ausgestattet sei und die Widersprüche klären könne.

Demgegenüber jedoch müssen wir wie Luther daran festhalten, daß es nicht nur eine innere, sondern auch eine äußere Klarheit der Schrift gibt. Und das ist auch so. Der unbefangene Leser wird es zugeben müssen. Trotz aller Widersprüche, die die Bibel enthält, schließlich ist sie Gotteswort im Menschenwort, trotz mancher unterschiedlicher theologischer Akzente die von den verschiedenen Autoren der Bibel gesetzt werden, kann man doch im Ganzen feststellen, daß die Bibel in den wesentlichen Lehren mit einer Stimme spricht. Daß Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, daß der ewige Gottessohn unser Fleisch und Blut angenommen hat, um uns mit Gott zu versöhnen, daß er am Kreuz von Golgatha als das Lamm Gottes hinweggetragen hat die Sünde der Welt, daß er auferstanden ist am 3. Tage und ein Erstling geworden ist derer, die da schlafen, daß der Mensch im Glauben an Jesus Christus unverdient und allein aus Gnade vor Gott gerecht wird, daß ihm die Sünden vergeben und er, obwohl er bei sich selbst ein Sünder bleibt, gleichzeitig um Christi willen vor dem Angesicht Gottes ein Gerechter ist und daß er auf diese zum Kind Gottes adoptiert und zum Erben der künftigen Herrlichkeit wird, das, liebe Schwestern und Brüder, lehren die biblischen Schriften einmütig und klar. Das lehrt Jesaja ebenso wie Paulus, Matthäus ebenso wie Markus, die Psalmen und die Mosebücher ebenso wie der Hebräerbrief. Es gibt nicht nur eine innere, es gibt auch eine äußere Klarheit der Schrift. Jeder, der die Schrift vorbehaltlos liest, muß das erkennen. Und wenn die römische Kirche dennoch behauptet, die Schrift sei unklar und widersprüchlich und deshalb müsse das Lehramt der Kirche für Ordnung sorgen, dann werde ich den Verdacht nicht los, daß die römische Kirche das vor allem deshalb behauptet, weil sie auf diese Weise ihre geistliche Macht zu sichern versucht.

Es bleibt dabei. Die Heilige Schrift ist klar und eindeutig. Sie ist ihr eigener Ausleger und Dolmetscher. Es bedarf keines verbindlichen kirchlichen Lehramts, das zwischen den angeblich unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten der Schrift zu entscheiden hätte. Zwar muß es auch in der evangelischen Kirche ein Lehramt geben. Es muß ja Menschen geben, die den Auftrag haben, die Botschaft der Bibel weiterzusagen und öffentlich zu verkündigen. Nach evangelischem Verständnis sind das die ordinierten Diener am Wort. Diese Diener am Wort jedoch haben keineswegs die Vollmacht, unfehlbar und gegen jede kritische Nachfrage gefeit die Wahrheit verkündigen zu können, sondern sie sind in ihrer Lehre streng an der Heiligen Schrift zu messen. Das bedeutet, daß die gläubige Gemeinde nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht hat, die Predigt der Kirche, ja die Predigt jedes einzelnen Pfarrers, jedes Theologieprofessors, jedes Bischofs und jedes Oberkirchenrats daran zu messen, ob sie mit der Lehre der Heiligen Schrift übereinstimmt oder nicht. Und wenn sie nicht mit der Lehre der Heiligen Schrift übereinstimmt, dann ist es die Aufgabe der Gemeinde, der Lehre der kirchlich Beauftragten, also auch der ordinierten Diener am Wort, der Theologieprofessoren, der Bischöfe und der Oberkirchenräte entgegenzutreten und sie unter Hinweis auf die klare Botschaft der Heiligen Schrift zur Umkehr zu rufen. Dies ist schon in den Bekenntnisschriften der Reformation, nämlich in der CA, Artikel 28 eindeutig so bestimmt. "Wo sie [die Bischöfe] aber etwas dem Evangelio entgegen lehren, setzen oder aufrichten, haben wir Gotts Befehl in solchem Falle, daß wir nicht sollen gehorsam sein ... Und Sankt Augustin schreibt in der Epistel wider Petilianum, man soll auch den Bischofen, so ordentlich gewählet, nicht folgen, wo sie irren oder etwas wider die heilige göttliche Schrift lehren oder ordnen."12


In der römisch-katholischen Kirche dagegen ist eine solche kritische Aufgabe der Gemeinde gegenüber den Bischöfen und dem Papst unvorstellbar. Die Bischöfe haben in Gemeinschaft mit dem Papst das Lehramt und die Gläubigen haben die von den Bischöfen und dem Papst verbindlich definierte Lehre gläubig im Gehorsam anzunehmen. Und das gilt auch für die Lehren der römischen Kirche, die offensichtlich überhaupt keine Grundlage in der Heiligen Schrift haben, wie die großen Mariendogmen, wie die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens, die Lehre von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel und die geradezu unglaubliche Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes. Auf wenn römische Theologen immer wieder versichern, diese Lehren stünden zwar nicht wörtlich in der Bibel, sie seien aber implizit in ihr enthalten und ihre Dogmatisierung durch die Kirche sei lediglich eine Entfaltung dessen, was ohnehin immer schon in der biblischen Wahrheit mitgemeint sei, so müssen wir als Evangelische doch, gestützt auf den klaren und offenbaren Sinn der Schrift feststellen, daß die römische Kirche hier etwas hinzuerfunden hat. Sie hat sich zur Herrin der Schrift gemacht und hat sich nicht damit begnügt, ihre Dienerin zu sein. Diese Art des Umgangs mit der Schrift wird immer zwischen evangelischer und römisch-katholischer Kirche stehen.

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2. Die Frage der Rechtfertigungslehre

Diese Frage ist im Vorfeld der Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung ausführlich öffentlich erörtert worden. Die meisten von Ihnen werden sich daran erinnern. Ich kann mich zu diesem Punkt also mit ein paar kurzen Hinweisen begnügen. Der Hauptunterschied zwischen römischer und reformatorischer Rechtfertigungslehre ist in meiner Sicht, daß die römische Lehre Rechtfertigung als einen Prozeß der Gerechtwerdung versteht, während die reformatorische, und das heißt biblische Lehre davon redet, daß der Sünder durch einen unverdienten Gnadenerweis gerecht gesprochen wird. Bei sich selbst bleibt der Sünder auch dann, wenn er Christ geworden ist, ein Sünder. Vor Gott aber ist er um Christi willen gerecht. Die reformatorische Lehre spricht daher von der Rechtfertigung des Gottlosen, während die römische Lehre davon redet, daß der Glaube durch die Liebe, also durch die Heiligung, vollendet wird.

Um es im Bilde zu sagen. Rechtfertigung ist nach reformatorischem Verständnis wie eine Amnestie von Gefangenen. Bei einer Amnestie sitzen die Gefangenen ja zu Recht im Gefängnis und haben keine Gnade verdient. Dann jedoch entscheidet der Staat, daß sie vorzeitig und unverdient freigelassen werden. Die Gefängnistore tun sich auf, und die Gefangenen sind frei. Sie sind wirklich frei. Sie müssen diese Freiheit nicht noch durch eigenes Tun vollenden. Sondern sie können das Gefängnis verlassen und als freie Menschen ihrer Wege gehen. Nach römisch-katholischer Lehre ist die Rechtfertigung jedoch ein Prozeß der lebenslangen Heiligung. Dieser Prozeß ist in den meisten Fällen noch nicht einmal mit dem Tode zu Ende. Deshalb braucht die römische Kirche die Lehre vom Fegefeuer. Dort wird gewissermaßen der letzte Feinschliff, die letzte Politur vollzogen, damit der Mensch am Ende schließlich nach entsprechender Wartezeit in die ewige Herrlichkeit aufgenommen werden kann. So schreibt der Katechismus der Katholischen Kirche in Nr. 1030:"Wer in der Gnade und Freundschaft Gottes stirbt, aber noch nicht vollkommen geläutert ist, ist zwar seines ewigen Heiles sicher, macht aber nach dem Tod eine Läuterung durch, um die Heiligkeit zu erlangen, die notwendig ist, in die Freude des Himmels eingehen zu können."13

Wenn das so wäre, liebe Schwestern und Brüder, dann wäre Christus umsonst gestorben, denn dann wäre sein Opfer am Kreuz nicht ausreichend gewesen. Gewiß, das hat Rom immer gesagt, geschieht dieser Prozeß der Heiligung, der im Fegefeuer seinen krönenden Abschluß bekommt, aus Gnade, gewiß ist er ein Werk des Heiligen Geistes, aber es ist eben doch ein Prozeß, an dem der Mensch aktiv beteiligt ist. Und gerechtgesprochen wird er erst dann, wenn er wirklich gerecht ist. Kardinal Ratzinger hat im letzten Jahr in einem Interview mit der italienischen Zeitschrift "Trenta Giorni" vom Juni 1999 die Sache auf den Punkt gebracht: "Wenn einer nicht gerecht ist, ist er auch nicht gerechtfertigt."

Es versteht sich, daß bei diesem lebenslangen Prozeß der Rechtfertigung wieder einmal die Rolle Kirche unverzichtbar ist. Denn die Kirche muß helfend und mahnend, aber auch durch Spendung des Bußsakraments und der Eucharistie steuernd eingreifen, damit der Christ auf dem Weg zur Gerechtwerdung nicht mutlos wird oder sich verirrt. Er braucht die ständige Hilfe und Begleitung der Kirche, sonst sieht es schlecht um ihn aus. Und wieder stellt sich die Frage, ob diese ganze höchst fragwürdige Interpretation der biblischen Rechtfertigungslehre nicht wenigstens zum Teil dem Ziel dient, die Heilsnotwendigkeit der römischen Kirche und damit den kirchlichen Machtanspruch zu sichern.

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Das Wort vom Felsen

Im komme zum letzten Teil, zum Wort vom Felsen aus Mt. 16. Alles, was ich bisher über den Machtanspruch der römischen Kirche gesagt habe, könnte von römischer Seite mit dem Wort vom Felsen pariert werden. Römische Theologen könnten sagen und sagen auch, daß der von mir kritisierte Machtanspruch der römischen Hierarchie ja von Jesus gewollt sei. Schließlich habe er zu Petrus gesagt, daß er der Fels sei und daß er auf diesen Felsen seine Kirche errichten wolle. Und in der Tat spielt dieses Wort für die römisch-katholische Theologie eine entscheidende Rolle. Wenn man in Rom den Petersdom besucht, sieht man, daß die römische Kirche und auch diese Kirche selbst nach diesem Wort gebaut worden ist. Das Zentrum des Petersdoms, wo sich Längsschiff und Querschiff treffen, ist ja über den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus errichtet. Über der Vierung erhebt sich die berühmte von Michelangelo gestaltete Kuppel, und an der Basis der Kuppel ist in metergroßen Buchstaben in lateinischer Sprache der berühmte Vers auch dem Matthäusevangelium zu lesen: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen."14 Ganz und gar wörtlich haben die Erbauer des Petersdoms diesen Satz verstanden: Die zentrale Kirche des Papstes, die Peterskirche in Rom, und zwar nicht nur die weltweite dem Papst gehorsame römisch-katholische Kirche, sondern geradezu buchstäblich auch das Kirchengebäude in Rom, das in der Reformationszeit mit Ablaßgeldern erbaut worden ist, ist die Kirche, die Jesus in seinem Wort an Petrus gemeint hat. Schließlich ist diese Kirche über den Gebeinen des Petrus, also gewissermaßen auf dem von Christus so genannten Felsen, errichtet.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich bitte Sie, lassen Sie sich von dieser römischen Interpretation von Matthäus 16 nicht in die Irre führen. So hat Jesus es nicht gemeint. Selbst wenn wir einmal unterstellen würden, was, wie ich gleich zeigen werde, falsch ist, daß Jesus mit dem Felsen, auf dem er die Kirche bauen wollte, wirklich den Menschen Petrus gemeint hat, dann ist doch die Vorstellung, daß diese mögliche Zusage Jesu an Petrus nicht nur für den Apostel Petrus selbst, sondern für alle Zeit für alle römischen Bischöfe nach ihm, also auch heute nach fast 2000 Jahren noch Gültigkeit hätte, geradezu absurd. Es hat in der Geschichte der Päpste genügend Amtsträger gegeben, die nun ganz gewiß keine würdigen Nachfolger der Apostel, sondern Schurken, Verbrecher, Feiglinge und Irrlehrer gewesen sind. Kaum vorstellbar ist, daß Jesus z.B. einen Papst wie Alexander VI, den Vater von Cesare Borgia, der die Absicht hatte, das Papsttum zu einer erblichen Dynastie zu machen und der politische Gegner durch Giftmord aus dem Weg geräumt hat, als Felsen verstanden haben wollte, auf den er seine Kirche hat bauen würde. Aber nicht nur diese Päpste sprechen gegen die Vorstellung, daß Jesus ein für allemal das römische Papstamt eingesetzt habe, auch die Worte Jesu aus dem Matthäusevangelium selbst müssen ganz anders verstanden werden.

Jesus sagt diese Wort zu Petrus bekanntlich in Reaktion auf das Bekenntnis zu ihm als dem Christus. "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes",15 hatte Petrus gesagt und auf dieses Bekenntnis hin spricht Jesus die bekannten Worte vom Felsen. Wenn man einmal unbefangen sein Sprachgefühl befragt und untersucht, was mit dem Demonstrativpronomen dieser, diese, dieses gemeint ist, dann ist doch folgendes klar: Wenn zwei Menschen miteinander sprechen und einer das Wort „dieser“ benutzt, dann meint er damit doch nicht seinen Gesprächspartner, sondern etwas anderes, etwas Drittes. Jesus hat ja nicht zu Petrus gesagt: „Auf dich als einen Felsen will ich meine Kirche bauen“, sondern er hat gesagt: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Mit dem Wort „diesen“ weist er gerade nicht auf Petrus hin, sondern von ihm weg. Auch in diesem Punkt ist für einen unbefangen Leser die Schrift klar und eindeutig. Das andere, das dritte, auf das Jesus im Gespräch mit Petrus als auf einen Felsen hinweist, ist nun natürlich nichts anderes als das Christusbekenntnis des Petrus. Nicht der Mensch Petrus, der ein fehlerhafter und sündiger Mensch war wie wir alle, sondern sein Bekenntnis, sein Ausruf : "„Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!" ist der Fels, auf den die Kirche gebaut werden soll. Genauso heißt es ja auch im 1. Korintherbrief:"Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus."16

Jesus Christus, des lebendigen Gottes Sohn, wie Petrus es bekannt hat, ist der Grund der Kirche und der Grund unseres Heils. Er ist der Fels, auf dem all unsere Hoffnung steht. Und nur der Kirche, die an diesem Grund festhält und auf ihm allein ruht, gilt die Verheißung Jesu, daß auch die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, der Papstkirche hat Jesus diese Verheißung nicht gegeben. Erst dann, wenn die römische Kirche diesen Grundsatz anerkennt und daraus die Konsequenzen für ihr eigenes Kirchenverständnis zieht, erst dann wird der Satz Luthers, daß wir auf ewiglich geschieden und widereinander sind, nicht mehr gelten.



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1Zitiert nach „idea Spektrum“, 39/2000 vom 27. September 2000, S. 8
2Gotteslob, Katholisches Gebet- und Gesangbuch, herausgegeben von den Bischöfen Deutschalnds und Österreichs ... Diözesanausgabe des Einheitsgebet und gesangbuches, herausgegeben von der Diözese Essen, Stuttgart 1975, Nr. 367
3Gotteslob, Nr. 368
4BSELK, Göttingen, 5/1963, S. 418
5Ernst Volk, „Rechtfertigung und Heiliges Abendmahl oder päpstliche Messe“, in: Lutherische Nachrichten 2/2000, S. 14
6ebenda
7Justini Martyris Apologie pro Christianis, edited by Miroslav Marcovich, Berlin, New York, 1994, Apologia major 67,5, S. 129
8Das vollständige Zitat lautet: „Es erscheint mir völlig absurd, was unsere lutherischen Freunde allem Anschein nach im Augenblick wollen: daß wir diese zufälligen historischen Bindungen im gleichen Sinne als Kirche ansehen, wie wir glauben, daß die auf der Nachfolge der Apostel im Bischofsamt beruhende katholische Kirche Kirche ist.“ .Zitiert nach „idea Spektrum“, 39/2000 vom 27. September 2000, S. 8
9BSELK, S. 419
10Zitat bei Notger Slenszka, „Die Schrift als 'einige Norm und Richtschnur'“, in: „Die Autorität der Heiligen Schrift für Lehre und Verkündigung der Kirche“, hg. v. Karl-Hermann Kandler, Neuendettesau 2000, S. 53
11WA 54, 179ff
12BSLK, S. 124
13Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993, S. 294
14Mt. 16, 19
15Mt. 16, 16
161. Kor. 3,11



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