Tag
für Tag strömen Scharen von Touristen zur Piazza Rotonda in Rom,
um das Pantheon zu besichtigen. Das Pantheon ist ein eindrucksvoller Rundtempel
von kolossaler Größe mit einem riesigen Kuppeldach. Agrippa
hat es im Jahre 27 vor Christi Geburt errichten lassen. Möglicherweise
ist es ursprünglich der Verehrung der sieben Planetengötter gewidmet
gewesen. Der Name „Pantheon“ – frei übersetzt: „Für alle Götter“
– läßt aber vermuten, daß die Planetengötter die
gesamte Welt symbolisierten und daß mit ihnen alle Götter geehrt
werden sollten. In diesem Verständnis ist das Pantheon ein Symbol
für die tolerante, multikulturelle Religosität Roms. Das Gebäude
hat die Jahrtausende nahezu unbeschädigt überstanden. Es läßt
heute noch in eindrucksvoller Weise die Macht des Imperium Romanum erkennen.
Rom war ein Weltreich, es verfügte in jeder Hinsicht praktisch über
unbegrenzte Möglichkeiten. Heute jedoch dient das Pantheon als christliche
Kirche.
1. Zurück in die vorkonstantinische Zeit
Wie hat es dazu kommen können, daß das mächtige Römische
Reich mit seiner multikulturellen Vielfalt, seinem militärischen und
wirtschaftlichen Potential, seinen Gelehrten und Philosophen, Künstlern
und Dichtern nach langem und heftigem Kampf vom Christentum besiegt worden
ist? Generationen von Historikern und Theologen haben diese Frage zu beantworten
versucht. Es wäre müßig, den verschiedenen Antworten der
Fachleute eine neue hinzufügen zu wollen. Es ist jedoch für die
heutige Christenheit in höchstem Maße lehrreich und wegweisend,
wenn sie den Blick auf die Christen der damaligen Zeit richtet, die im
Widerstand gegen den römischen Staat gestanden und schließlich
gesiegt haben. Dies ist deshalb so lehrreich, weil alles dafür spricht,
daß sowohl in Staat und Gesellschaft als auch in der Kirche in absehbarer
Zeit Zustände erreicht werden, die denen der vorkonstantinischen Epoche
ähnlich sind.
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1.1 Die Entwicklung in der Gesellschaft
Was ist die “multikulturelle” Gesellschaft anderes als das römische Konzept
eines „Pantheon“ aller Götter? Was ist die Enttabuisierung der menschlichen
Sexualität einschließlich all ihrer Perversionen anderes als
das, wovon Tacitus, Apuleius, Petronius und andere und nicht zuletzt die
christlichen Apologeten Kunde geben? Was war das nach dem Motto
"parcere
subjectis et debellare superbos" - "Die Unterworfenen
schonen und die Hochmütigen niederkämpfen" (Vergil, Äneis VI, 853) mit militärischer
Gewalt durchgesetzte römische Imperium anderes als die “Neue Weltordnung”
des Westens? Immerhin handelt die NATO genau nach diesem Rezept, wenn sie
das Bündnismitglied Türkei, das also den Regeln des Bündnisses
unterworfen ist, trotz schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen gegenüber
den unterdrückten Kurden schont und das widerspenstige, stolze und
hochmütige Jugoslawien niederkämpft. Was schließlich ist
das neue, auf einen echten Totalitarismus hinzielende System von Sprachregelungen
der Political Correctness anderes als der für alle Bürger des
römischen Reiches verbindliche Kaiserkult? Müssen nicht heute
ebenso wie damals alle Bürger den Geßlerhüten der Political
Correctness ihre Reverenz erweisen, wenn sie nicht mit öffentlicher
Ächtung gestraft werden wollen?
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1.2 Die Entwicklung in der Kirche
Daß die Kirche längst nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft steht, ist offenkundig.
In vielen Ländern des Westens ist sie längst zu einer marginalen
Größe verkommen. Immer mehr repräsentative Kirchengebäude
in den Zentren der Städte stehen leer oder werden einer nichtkirchlichen
Nutzung zugeführt. Kirchliche Feiertage werden abgeschafft, oder der
staatliche Schutz der Feiertage wird abgebaut (Sonntagsarbeit, Ladenöffnungszeiten
etc.). Der Religionsunterricht an den Schulen wird Schritt für Schritt
eingeschränkt. (Siehe z.B. nicht nur LER in Brandenburg, sondern auch
die Streichung der 3. Religionstunde in der Grundschule in NRW). Die Liste
ließe sich verlängern. Sie macht deutlich, daß es wohl
nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch die letzten Reste der konstantinischen
Ehe von Staat und Kirche verschwunden und die letzten Bastionen großkirchlicher
Machtentfaltung geschleift worden sind.
Mancher
mag an diesen Parallelisierungen zwischen unserer Zeit und dem vorkonstantinischen
Rom Zweifel äußern und daran erinnern, daß sich die Geschichte
nicht wiederholt, dennoch sind die Parallelen nicht von der Hand zu weisen.
Selbst die Möglichkeit der Christenverfolgung erscheint wetterleuchtend
am Horizont: In den Niederlanden ist kürzlich ein Pastor von einem
staatlichen Gericht bestraft worden, weil er Homosexualität als Sünde
bezeichnet hat. Die Bestrafung ist logisch in einer Gesellschaft, in der
den Tabus der Political Correctness eine quasi religiöse Reverenz
erwiesen wird.
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2. Justin der Märtyrer, ein Vorbild für heute
Wenn diese Analyse richtig ist, wenn der Christenheit also Zustände bevorstehen,
die denen im römischen Kaiserreich vor Konstantin vergleichbar sind,
dann ist es in der Tat nicht zuletzt für die Zukunft der Kirche wichtig
und lehrreich, bei den Christen in die Schule zu gehen, die damals gelebt
haben.
Einer von denen, die in der Zeit der Verfolgungen zu den geistigen Führern
der Christenheit gehört haben, war Justin der Märtyrer. Wie er
selbst im Präskript seiner großen Apologie schreibt, stammt
er aus Flavia Neapolis in der Provinz Syrien, dem heutigen Nablus. Er war
ursprünglich ein platonischer Philosoph (Apologia Minor, 12, 1), ist
dann aber, tief beeindruckt durch das todesmutige Zeugnis der christlichen
Märtyrer, Christ geworden. Etwa im Jahre 165 nach Christi Geburt ist
er in Rom als Märtyrer umgebracht worden. Justin gilt als der bedeutendste
Vertreter der frühkirchlichen Apologetik. Viele Male erwähnt
und zitiert ihn Euseb in seiner Kirchengeschichte. Daraus kann man schließen,
daß Justin weit über seine Generation hinaus großen Einfluß
auf die vorkonstantinische Christenheit gehabt hat. Wenn die heutige Christenheit
aus der Geschichte lernen will, dann sollte sie nicht zuletzt bei einem
Zeugen wie Justin damit beginnen.
Es sind vor allem drei Positionen gegenüber Staat und Gesellschaft, die
für Justin - und nicht nur für ihn, sondern für die gesamte
frühe Christenheit - zentrale Bedeutung hatten:
- Ablehnung der Vielgötterwelt und Bekenntnis zum einzig wahren Gott
- Moralische Abgrenzung vom unmoralischen Leben der Heiden
- Jenseitsorientierung statt weltlicher Interessen
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2.1. Ablehnung der Vielgötterwelt und Bekenntnis zum einzig wahren Gott
Die frühe Christenheit hat nie ernsthaft über die Möglichkeit
nachgedacht, daß sie sich in das römische Pantheon der polytheistischen
Götterwelt einfügen und so gesellschaftliche Akzeptanz gewinnen
könnte. Eine solche Möglichkeit war für sie außerhalb
jeder Debatte. Schließlich war sie von der Wahrheit und Richtigkeit
ihres Glaubens überzeugt. Daher konnte es auf christlicher Seite für
die bunte Götterwelt der Heiden nur ein klares Nein geben.
“Deos vestros
colere desinimus, ex quo illos non esse cognoscimus.” - “Wir unterlassen
es, eure Götter zu verehren, auf Grund der Tatsache, daß wir
erkannt haben, daß sie keine sind” ,
ruft Tertullian den römischen Herrschern entgegen, und genau so hat
schon Justin argumentiert.
Gleich
zu Beginn seiner Apologia Major (1,1) bekennt er sich dazu, daß er
einer von denen ist - gemeint sind die Christen -, die zwar fromm sind,
aber dennoch zu Unrecht gehaßt und mißhandelt werden. Kompromißlos
ist dieses Bekenntnis. Nur ja oder nein, kein sowohl als auch läßt
es zu. Und diese Geradlinigkeit und Klarheit durchzieht die gesamte Apologie.
"Die Vernunft gebietet, daß die in Wahrhaftigkeit Gottesfürchtigen
und die Philosophen allein das Wahre ehren und lieben.”
Für die heutzutage weit verbreiteten Versuche, das Evangelium an die
herrschenden Lehren der Zeit anzupassen, hätte Justin und mit ihm
die gesamte frühe Christenheit keinerlei Verständnis gehabt.
Das
gilt dann auch für das Bekenntnis zu dem einen Gott und der damit
verbundenen Ablehnung des heidnischen Polytheismus. Justin lehnt die heidnischen
Götter nicht nur für sich und die Christen ab, um sie gleichzeitig
als Glaubensinhalte andersgearteter Religiosität zu achten, sondern
er verwirft sie generell, und zwar mit deutlichen Worten. So bezeichnet
er sie als
"böse und gottlose Dämonen".
Wie
anders ist die Praxis der Kirche heute! Auf dem Stuttgarter Kirchentag
im Sommer 1999 sind im Rahmen von sogenannten “Feierabendmahlen” gezielt
Symbole nichtchristlicher Religionen zum Altar gebracht und in die Liturgie
des Gottesdienstes einbezogen worden. Dies ist eine bewußte Religionsvermischung
gewesen, die dem Ziel diente, die Verkündigung der Wahrheit zu relativieren.
Diesen
Weg sind die Christen der ersten Jahrhunderte nicht gegangen. Im Gegenteil,
sie hätten - zu Recht - derartige Aktionen als Verrat am Evangelium
aufgefaßt und entsprechend bekämpft. Justin hätte ganz
gewiß seine Hand nicht zu einer Ökumene aller Religionen gereicht.
Er hat es statt dessen bewußt in Kauf genommen, daß die Christen
als Atheisten verleumdet wurden, weil sie die Götter des antiken Götterhimmels
verworfen haben:
"Von daher werden wir Atheisten genannt. Und wir bekennen,
daß wir im Blick auf diese sogenannten Götter Atheisten sind,
nicht jedoch im Blick auf den Allerwahrhaftigsten, den Vater der Gerechtigkeit,
des gesunden Verstandes und aller Tugenden, den Gott, an dem keinerlei
Falsch ist. Aber ihn und seinen Sohn, der gekommen ist und uns alles das
gelehrt hat, und das Heer der ihm folgenden und ihn nachahmenden Engel
und den prophetischen Geist beten wir an und werfen uns nieder vor ihm."
Justin
ist mutig und eindeutig in seinen Formulierungen. Er hat für seine
Eindeutigkeit mit dem Leben bezahlt. Aber auf diese Weise hat er am Ende
zu denen gehört, deren Blut zum Samen
werden sollte. Daß es heute überhaupt noch christliche Kirchen
gibt, daß der römische Staat schließlich im 4. Jahrhundert
den Kampf gegen die Kirche aufgegeben hat und die Kooperation mit ihr gesucht
hat, ist nicht zuletzt dem Zeugnis und dem Bekennermut der Märtyrer
(und der vielen Märtyrerinnen) zu verdanken. Daher gilt: Wenn die
Kirche heute das Zeugnis der frühkirchlichen Märtyrer mißachtet
und Religionsvermischung und Relativierung der Wahrheit betreibt - und
der jüngste Kirchentag ist nicht das einzige Beispiel für solche
Greuel -, dann verrät sie nicht nur das Evangelium und das Erbe der
Märtyrer, sie greift auch das Fundament an, auf dem sie selbst als
Kirche, historisch gesehen, steht. Es ist verwerflich, so zu handeln.
Bemerkenswert
an der schon zitierten Justinstelle ist, daß sich sein Bekenntnis
nicht in der Negation erschöpft. Im Gegenteil, Justin geht über
die bloße Ablehnung der antiken Götterwelt weit hinaus, indem
er positiv das Bekenntnis zu dem einen, wahren Gott entfaltet. Und dieser
Gott ist für Justin nicht etwa der monotheistische Gott der menschlichen
Vernunft, nicht der unpersönliche Gott der Philosophen, wie man es
bei einem Schüler Platons eigentlich erwarten könnte, sondern
es ist der dreieinige Gott, wie er sich in der Bibel offenbart hat. Das
wird an anderer Stelle der Apologie noch deutlicher:
"Wer,
der bei klarem Verstand ist, würde nicht zugestehen, daß wir
keine Atheisten sind, die
wir den Schöpfer des Alls verehren und sagen, wie wir es gelernt haben,
daß er keiner Blutopfer, Trankopfer und Räucheropfer bedarf, die
wir mit aller Kraft mit dem Wort des Gebets und der Danksagung ihn rühmen
für all das, womit er uns nützt, die
wir jene allein seiner würdige Ehrerbietung annehmen, daß wir
nicht durch Feuer verzehren, was er uns zur Nahrung geschaffen hat, sondern
es uns selbst und den Bedürftigen darbringen, ihm aber dankbar durch
das Wort Festzüge und Hymnen darbringen dafür, daß er die
Grundlagen zum Wohl aller erschaffen hat, nämlich die Elemente der
Schöpfung und die Umwälzungen der Stunden, und auch dafür,
daß er die neu in Unsterblichkeit erschafft, die ihm im Glauben Gebete
emporsenden.
Wir erklären,
daß wir an zweiter Stelle [unseres
Glaubens]den uns gewordenen und zu diesem Zweck erzeugten Lehrer all dieser Dinge
haben, Jesus Christus, der unter Pontius Pilatus, der in Judäa zur
Zeit von Kaiser Tiberius Statthalter war, gekreuzigt worden ist, und daß
wir gelernt haben, daß er der Sohn des wahrhaftigen Gottes ist,
und vom prophetischen Geist als drittem in der Reihe, daß wir ihn mit dem Wort verehren.
In
diesen Zitaten findet sich im Ansatz bereits die gesamte christliche Gotteslehre.
Die Sätze des Justin sind voll von ausgesprochen “dogmatischen” Formulierungen.
Wenn man bedenkt, daß er seine Apologie an den heidnischen Kaiser
Antoninus Pius, an seinen Sohn Verissimus und an Senat und Volk von Rom
adressiert hat, daß diese Schrift also für die gebildete, dem
Christentum feindlich gegenüberstehende Öffentlichkeit bestimmt
war, muß man es aus heutiger Sicht bemerkenswert finden, daß
Justin den Gebildeten und Rationalisten seiner Zeit keinen Zeitgeistrabatt
gewährt hat. Gerade auch als Apologet ist er kein Vermittlungs- und
Anpassungstheologe gewesen. Ohne Wenn und Aber hat er statt dessen der
feindlichen Umwelt den christlichen Glauben als Alternative und Widerspruch
zur menschlichen Weisheit verkündet. Keineswegs hat er ihn als Variante
der menschlichen Weisheit oder spirituelle Überhöhung des menschlichen
Geistes darzustellen versucht. Dies ist für die Art und Weise, wie
er Theologie getrieben hat, eine strategische Grundentscheidung gewesen:
Der Welt wollte er die Wahrheit sagen, kompromißlos und unverkürzt.
Abmilderungen für die Rationalisten und Konzessionen an das Vorverständnis
seiner Zeitgenossen waren nicht erlaubt. Er hat die Menschen nicht - psychologisch,
religiös, methodisch - “abgeholt”, wo sie waren, wie es heute herrschende
Praxis von Theologie und Kirche ist, sondern er hat sie mit der ganzen
biblischen Wahrheit, wie er sie verstanden hatte und wie sie der Lehre
der Apostel entsprach, konfrontiert.
Dieser strategischen
Grundentscheidung müßten Kirche und Theologie heute wieder folgen,
wenn sie glaubwürdig werden wollen. Das Evangelium ist nicht der Inbegriff
der menschlichen Spiritualität. Es ist auch nicht die Summe der geistigen
und sittlichen Anstrengungen des Menschen. Es ist eine dem menschlichen
Verstand fremde Lehre, die sich gegen jede Anpassung sperrt.
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2.2. Moralische Abgrenzung vom unmoralischen Leben der Heiden
Die zweite Thematik, bei der sich die Christen der ersten Jahrhunderte bewußt
und konsequent von ihrer heidnischen Umwelt abgegrenzt haben, war die Moral.
Zweifellos sind die Grundlagen dafür schon im Neuen Testament gelegt
worden, aber es ist deutlich, daß die Christen der ersten Jahrhunderte
gerade in diesem Punkt das Besondere des christlichen Glaubens herausgestellt
haben. So lesen wir z.B. in der frühkirchlichen Schrift an Diognet
über die Christen:
Sie heiraten wie alle, zeugen und gebären
Kinder, aber sie setzen die Neugeborenen nicht aus. Ihren Tisch bieten
sie als gemeinsamen an, aber nicht ihr Bett. Im Fleisch befinden sie sich,
aber sie leben nicht nach dem Fleisch. Auf Erden weilen sie, aber im Himmel
sind sie Bürger. Sie gehorchen den erlassenen Gesetzen, und mit ihrer
eigenen Lebensweise überbieten sie die Gesetze."
Und in der Zwölfapostellehre, einer Schrift, die gegen Ende des 1.
Jahrhunderts verfaßt worden ist, steht:
"Du sollst ... nicht abtreiben
noch ein Neugeborenes töten!"
Gerade auch Justin hat dieses Thema in aller Breite behandelt. Mit Abscheu hat
er die moralische Verkommenheit des heidnischen Lebensstils und der heidnischen
Götter gegeißelt. Nicht ohne Stolz hat er auf der anderen Seite
die moralische Überlegenheit der Christen und ihres Gottes dem entgegengestellt.
Er weist darauf hin, daß Zeus in den Erzählungen der Heiden
als Vatermörder, als Freund schändlicher Vergnügungen und
als Ehebrecher
geschildert werde und empört sich darüber gerade angesichts der
Tatsache, daß Zeus bei den Menschen als Vorbild gelte.
"Alle glauben
nämlich, daß es schön sei, Nachahmer der Götter zu
sein."
Für die Christen dagegen gilt:
"Wir aber sind gelehrt worden, daß
allein die, die fromm und tugendhaft bei Gott leben, die Unsterblichkeit
erlangen, glauben aber, daß die, die ungerecht leben und sich nicht
ändern, in ewigem Feuer gestraft werden.".
Die moralische Überlegenheit der Christen betrifft dabei keineswegs nur
die geschlechtlichen Dinge. Justin scheut sich nicht, die populäre
Sage von Herakles am Scheideweg, nach der Herakles zwischen Tugend und
Laster zu wählen hatte, aufzugreifen und sie auch für Christen
gelten zu lassen.
"Wir sind vollkommen überzeugt, daß der,
der das scheinbar Gute meidet, den Weg aber, der für hart und widersinnig
gehalten wird, beschreitet, Glückseligkeit erlangen wird."
Allerdings ist klar, daß im Bereich des Geschlechtlichen die moralische
Überlegenheit der Christen in besonderer Weise sichtbar gemacht werden
konnte. Als ein besonders krasses Beispiel heidnischer Verkommenheit in
der Moral nennt Justin das Aussetzen von Kindern im Zusammenhang mit der
Kinderprostitution:
"Wir aber, damit wir nichts Unrechtes und Unfrommes
tun, sind gelehrt worden, daß es ein Handeln von Übeltätern
ist, neugeborene Kinder auszusetzen. Dies an erster Stelle deshalb, weil
wir sehen, daß fast alle [Ausgesetzten] zur Prostitution gebracht werden (nicht nur die Mädchen, sondern auch
die Jungen) und daß man so, wie die Alten bekanntlich Herden von
Rindern, Ziegen oder Schafen gefüttert haben oder von Weidepferden,
heute solche von Kindern allein zum schändlichen Gebrauch hält.
... Und wenn jemand diese in einem gottlosen und frevelhaften und unreinen
Verkehr benutzt, verkehrt er, wenn es der Zufall will, mit seinem Kind,
seinem Bruder oder seinem Verwandten."
Diesem schändlichen Treiben der Heiden stellt Justin die moralisch richtige
Lebenspraxis der Christen entgegen:
"Sondern entweder heiraten wir von
vornherein nicht, es sei denn zum Aufziehen von Kindern, oder wir vermeiden
es zu heiraten und leben vollständig enthaltsam."
Wenn man diese Texte liest und die heutige Zeit betrachtet, fragt man sich,
ob unsere heutige Zeit nicht wieder soweit ist wie damals. Gewiß,
es werden bei uns noch keine Kinder ausgesetzt, aber das haben die Menschen,
die ihre Kinder loswerden wollen, heute auch nicht mehr nötig, weil
die Praxis der Abtreibungen gegenüber der Antike so große “Fortschritte”
gemacht hat. Inzwischen ist auch in Deutschland ein Produkt der pharmazeutischen
Industrie zugelassen, das zwar als Medikament bezeichnet wird, in Wahrheit
aber nichts anderes ist als ein tödliches Gift. Dieses “Pharmakon”
soll nicht heilen oder Leiden lindern, sondern es verfolgt allein den Zweck,
einem ungeborenen Kind das Leben zu nehmen. Ist das wirklich besser als
die Praxis der Antike, unerwünschte Kinder einfach auszusetzen? Ein
ausgesetztes Kind damals hatte immerhin noch die Chance, von liebevollen
Menschen mitgenommen und wie ein eigenes Kind aufgezogen zu werden. Ein
ungeborenes Kind, dessen Mutter die Abtreibungspille geschluckt hat, ist
einem stundenlangen, qualvollen Todeskampf ausgesetzt. Eine Chance, gerettet
zu werden, hat dieses Kind im Gegensatz zu den ausgesetzten Kindern der
Antike nicht. Im übrigen sind Kinderprostitution und Kinderpornographie
in unserer Zeit weit verbreitet. Auch in diesem Punkt hat unsere Zeit also
die von Justin beschriebenen Verhältnisse wieder eingeholt. Das Gleiche
gilt von Ehebruch und allen möglichen sexuellen Verirrungen wie z.B.
Homosexualität.
Parallelen
zwischen der heutigen Zeit und der Zeit der frühen Christenheit gibt
es viele, allerdings gibt es in dem, was die Kirche heute tut, einen entscheidenden
Unterschied zu damals: Damals haben die Christen versucht, ein anderes,
besseres und moralischeres Leben zu führen. Heute jedoch ist es erklärtes
Ziel von Kirchenleitungen und Synoden, die kirchliche Lehre an die gewandelten
Moralvorstellungen der Bevölkerung anzupassen. Das beste Beispiel
für diesen traurigen Irrweg ist die Diskussion, die in der rheinischen
Kirche über das SULTUS-Papier geführt worden ist. Auf derselben
Linie liegt die Tatsache, daß unsere Kirche nach wie vor schützend
die Hand über den rheinischen Pfr. i.W. Fliege hält, der öffentlich
den Ehebruch rechtfertigt.
Die Beispiele ließen sich vermehren. An den schon genannten wird deutlich,
daß die Meinungsführer der heutigen Evangelischen Kirche weit
davon entfernt sind, in Fragen der Moral dem richtigen und dem Neuen Testament
entsprechenden Kurs der frühen Christenheit zu folgen. Sie sind statt
dessen dabei, mit fliegenden Fahnen zur anderen Seite überzulaufen.
Niemand soll sich wundern, wenn diesmal am Ende dann die Kirche nicht wie
damals im 4. Jahrhundert als Siegerin über ihre Feinde dasteht, sondern
wenn sie letztlich ganz die Fahnen streicht und in Schande untergeht.
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2.3. Jenseitsorientierung statt weltlicher Interessen
In seiner Apologia Minor gewährt uns Justin einen Blick in seine Biographie.
"Ich selbst, als ich den Lehren Platons anhing und hörte, daß
Christen verleumdet wurden, und sah, daß sie ohne Furcht waren gegen
den Tod und anderes, was als furchtbar angesehen wird, habe erkannt, daß
sie auf gar keinen Fall in Schlechtigkeit und Vergnügungssucht leben
können. Denn welcher Vergnügungssüchtige oder Unreine oder
wer, der das Fressen von menschlichem Fleisch für gut hält, könnte
wohl den eigenen Tod willkommen heißen, damit er der Dinge, die für
ihn gut sind, beraubt würde? Wer würde nicht tatsächlich
auf alle Weise versuchen, immer im Diesseits zu leben und sich vor den
Behörden zu verbergen ...?"
Offensichtlich hat das Beispiel der Märtyrer einen außerordentlichen
Eindruck auf Justin gemacht. Dieses Beispiel war einer der Beweggründe
dafür, daß er sich dem christlichen Glauben zugewandt hat. Entscheidend
am Beispiel der Märtyrer war dabei die Erkenntnis, daß es diesen
nicht um die Verfolgung irdischer Interessen ging, sondern um die Ewigkeit.
Das war für Justin unbestreitbar und evident: Wenn es den Christen
in erster Linie um irdische Dinge zu tun gewesen wäre, dann wären
sie auf keinen Fall bereit gewesen, für ihren Glauben in den Tod zu
gehen. Denn mit dem Tod wäre ja die Erreichung irdischer Interessen
auf jeden Fall unmöglich gewesen.
Von daher ist Justin zu einer streng jenseitigen Interpretation dessen gelangt,
worin die Hoffnung der Christen besteht. So schreibt er in seiner Apologia
Major:
"Und wenn ihr hört, daß wir ein Königreich erwarten,
nehmt ihr willkürlicherweise an, daß wir nach menschlicher Weise
davon reden. Dabei reden wir vom Reich Gottes. Das ist auch daraus ersichtlich,
daß diejenigen, die von euch verhört werden, sich dazu bekennen,
daß sie Christen sind, obwohl sie wissen, daß dem Bekenner
die Todesstrafe droht. Wenn wir ein menschliches Königreich erwarten
würden, würden wir leugnen, damit wir nicht getötet würden,
und uns zu verbergen suchen, damit wir erlangen könnten, was wir erhoffen.
Aber da wir unsere Hoffnungen nicht auf das Diesseits setzen, sind wir
nicht besorgt um unser Sterben, schließlich muß jeder sterben.
Ganz ohne Frage muß vor diesem Hintergrund auch die in der frühen
Christenheit eigentlich wenig gebräuchliche Formulierung von der “Glückseligkeit”
(eudaimonia) in Apologia Minor 11,1 (s.o.) verstanden werden. Es handelt
sich dabei nicht um eine Glückseligkeit, wie die Sophisten und die
Epikuräer sie für das diesseitige Leben zum Ziel erklärt
haben, sondern um die ewige Seligkeit nach der Auferstehung von den Toten.
Das eschatologische Denken des Justin ist also ganz einfach gewesen: Übeltäter
erwartet im Jenseits, wenn sie sich nicht bekehren, die ewige Strafe, und
die Gott Gehorsamen erwartet die ewige Seligkeit. Justin unterläßt
es, diese eschatologischen Vorstellungen zu entmythologisieren und sie
lediglich hinsichtlich ihrer existentiellen Bedeutsamkeit gelten zu lassen,
sondern er hält sie ganz einfach und in schlichtem Glauben für
wahr. Christsein und Glaube sind für ihn keine irdischen Lebensmodelle
und Rezepte, mit deren Hilfe man im Diesseits besser leben oder eine gerechtere
Welt herstellen kann, sondern sie sind ganz konsequent der Weg zur ewigen
Seligkeit. Seine Theologie ist streng auf die Zukunft, nicht die irdische,
sondern die jenseitige bezogen. Ehrgeizige Ziele für die Gestaltung
dieser Welt setzt er sich nicht.
Allerdings kennt er auch so etwas wie Weltverantwortung. Darunter versteht er den
Gehorsam gegen die Gebote Gottes und die Weisungen Jesu. So legt er in
seiner Apologia Major in den Kapiteln 15 - 17 mit ausführlichen wörtlichen
Bibelzitaten die Weisungen der Schrift für das irdische Leben der
Christen aus. Dies gehört aber zum Kapitel Glaubensgehorsam und dient
nicht der Verfolgung irdischer Interessen. Der Glaube ist für ihn
der Weg in die Ewigkeit, nicht jedoch ein Lebensmodell im Diesseits. Offensichtlich
ist Justin derselben Meinung gewesen wie Paulus in 1. Kor. 15,19.
Auch Luthers Theologie ist in diesem Sinne konsequent eschatologisch ausgerichtet
gewesen. So heißt es z.B. in der Genesivorlesung zu Gen. 9, 26:
"Erudiunt
autem haec nos, ut discamus, non quaerendam esse civitatem seu certum locum
in hac corporali vita, sed in ista varietate casuum et fortunae, quam haec
vita habet, respiciendum esse ad spem aeternae vitae, promissam per Christum.
Hic demum portus est, ad quem tanquam solliciti et diligentes nautae debemus
in tanta tempestatum vi remis velisque contendere. – Diese Dinge lehren
uns aber, daß wir lernen sollen, daß man kein Reich und keine
Heimat in diesem materiellen Leben suchen soll, sondern daß man in
dieser Wechselhaftigkeit der Ereignisse und des Glücks, welche dieses
Leben auszeichnet, seine Aufmerksamkeit auf die Hoffnung des ewigen Lebens
richten muß, das durch Christus verheißen ist. Dort ist am
Ende der Hafen, zu dem wir gewissermaßen wie besorgte und umsichtige
Seeleute in der großen Gewalt der Stürme mit Rudern und mit
Segeln hinstreben müssen."
Die Genesivorlesung stammt aus den letzten Lebensjahren Luthers. Das macht
deutlich, daß für Luther vom Gewittererlebnis bei Stotternheim
am 2. Juli 1505 bis in die Zeit der letzten Vorlesung hinein die Frage
nach der Ewigkeit nicht nur eine Randfrage der Theologie gewesen ist, sondern
daß sie die entscheidende und regierende Frage gewesen ist, die Frage,
von deren Beantwortung alles andere abhing. Nur vor diesem Hintergrund
ist ja zu verstehen, daß für Luther das "Wie kriege ich einen
gnädigen Gott?" zur Schlüsselfrage der Theologie geworden ist.
Ganz anders dagegen ist die Schwerpunktsetzung innerhalb der Theologie im zu
Ende gehenden Jahrhundert gewesen. Sowohl die politisierende Theologie
Karl Barths als auch das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns haben ein
deutliches Gefälle vom Jenseits zum Diesseits. Bei allen Unterschieden
im theologischen Ansatz sind sie sich doch darin einig, daß sie die
Glaubenslehren immer wieder daraufhin befragen, was sie für das irdische
Leben austragen. Es ist in diesem Zusammenhang irrelevant, daß es
dem einen dabei mehr um die sozialethischen und politischen Konsequenzen
der Theologie und dem anderen mehr um die Bedeutsamkeit des „Kerygma“ für
das individuell-bürgerliche Existenzverständnis gegangen ist.
Das sind nur Unterscheidungen im Detail. In der Gesamtlinie, daß
die Theologie vor allem auf irdische Zielsetzungen und Interessen hin zuzuspitzen
sei, verfolgen beide dieselbe Linie. Insofern sind beide großen theologischen
Richtungen des 20. Jahrhunderts legitime Kinder der Neuzeit.
Daß die offizielle Praxis der Evangelischen Kirche
immer wieder dieser Linie gefolgt ist und noch folgt, ist offenkundig.
Immer wieder wird nach dem Nutzen von Theologie und Glaube "für das
Leben" gefragt. Theologie verwandelt sich so unter der Hand zu einer vitalistischen
Philosophie. Die meisten der Theologen, die in dieser Weise lehren, sind
sich vermutlich dessen nicht bewußt, daß sie damit in der Nachfolge
eines der größten und genialsten neuzeitlichen Kritikers und
Verächters des Glaubens, nämlich Friedrich Nietzsches
,
stehen.
in geradezu klassisches Beispiel für diesen Umgang mit
dem Wort Gottes ist die von der Kirchenleitung der Ev. Kirche im Rheinland
Anfang der neunziger Jahre herausgegebene "Arbeitshilfe für die Konfirmandenarbeit",
die vom Konfirmationsausschuß der Evangelischen Kirche im Rheinland
erarbeitet worden ist. Besonders der Themenbereich Gebote (8) bietet eine
Fülle von Belegen. Das beginnt schon damit, daß die 10 Gebote
die Überschrift erhalten "10 Angebote für mein Leben". Und in
dieser Weise geht es weiter. Als Lernziel für die "KonfirmandInnen"
wird formuliert: „Die Gebote der Bibel wollen Leben fördern.“ (8.1),
und als Überschrift des ersten Gebots dient der Satz:
"Du kannst ein
freier Mensch sein." (8.3) Wichtig an dieser Art von Theologie ist, daß
die Gebote Gottes nicht zunächst einmal als göttliche Gebote
hingestellt werden, sondern daß sie als Regeln interpretiert werden,
die nützlich sind für das menschliche Leben. In der Konsequenz
bedeutet das, daß die Gebote keine Gebote mehr sind, sondern menschliche
Maximen. Sie werden Nützlichkeitserwägungen der menschlichen
Vernunft als dem entscheidenden Kriterium unterworfen und verlieren am
Ende so alle Verbindlichkeit.
Wenn gesellschaftliche Verhältnisse sich ändern, wenn der Lebensstil
der Menschen sich wandelt oder wenn einfach nur der Zeitgeist, der ja bekanntlich
nichts anderes ist als
"der Herren eigener Geist",
in Gestalt der Meinungspäpste in Presse und Fernsehen neue Verhaltensmuster
als Zielvorgaben unter das Volk bringt, dann läuft die Kirche nicht
länger Gefahr, konservativ auf göttlichen Geboten beharren zu
müssen, sondern kann solche "Gebote" flexibel und elegant der jeweiligen
Mode entsprechend neu interpretieren und manipulieren. Und genau dies ist
in den letzten Jahren in großem Stil geschehen. Die Kirchentage haben
sich immer wieder zur Avantgarde solcher Modernisierungen gemacht. Aber
auch der Theologische Ausschuß der rheinischen Landessynode hat sich
im Zusammenhang mit der Sexualitäts-Diskussion auf dem Feld der Gebotsmodernisierung
in unrühmlicher Weise hervorgetan. Daß solches geschieht, ist
nur logisch und konsequent. Es ergibt sich zwingend, wenn man den ersten
Schritt getan hat, wenn man nämlich die Verkündigung der Kirche
und die Theologie an den Interessen des diesseitigen Lebens ausrichtet
und nicht an Gottes Wort und an der Ewigkeit.
Justin und mit ihm die Christenheit in der frühen Märtyrerzeit der Kirche
und auch Luther hätten nicht im Traum daran gedacht, in solcher Weise
Theologie zu treiben. Im Gegenteil, sie hätten derartige Theologie
– mit Recht! - als Verrat an der Wahrheit verstanden und sie entsprechend
bekämpft. Das Leben, das diesseitige, irdische Leben ist kein Kriterium
für den Glauben und die Verkündigung der Kirche. Es eignet sich
dazu auch nur in sehr begrenztem Maße. Bekanntlich sind die Kinder
der Welt klüger als die Kinder des Lichts
.
Zur rationalen und effektiven Organisation des Lebens in dieser Welt braucht
man das Wort Gottes nicht. Das sieht man schon an den Tieren, die sehr
effektiv ihr Leben meistern, ohne daß sie das Wort Gottes hätten.
Das sieht man aber auch an den vielen rein säkular lebenden Menschen
und menschlichen Gesellschaften, die ganz gut ohne Christentum auskommen
und oft in der Welt sehr viel Erfolg haben. Der Glaube an das Evangelium
ist in seinem Kern das vom Heiligen Geist geschenkte Ergreifen des ewigen
Heils. Er ist bezogen auf Jesus Christus, der die Sünde der Menschen
hinweggetragen hat aus der Welt, damit wir vor Gott bestehen können
und so Zugang erhalten zu seiner ewigen Herrlichkeit. In ihrem Kern ist
die christliche Religion eine Jenseitsreligion, und die Verkündigung
des Evangeliums verfolgt das Ziel, daß Menschen durch den Glauben
errettet werden vom ewigen Verlorensein. Alles andere ist zweitrangig.
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3. Der Märtyrer Justin als Wegweiser für heute
Aus dem bisher Gesagten ist bereits deutlich geworden, in welchen drei Themenbereichen
Justin Wegweiser für die heutige Kirche sein sollte. Die heutige Kirche
sollte
-
bedingungslos an der Wahrheit der christlichen Botschaft und am Bekenntnis
zum dreieinigen Gott festhalten und sich jeder schiedlich-friedlichen Einfügung
in das Pantheon der multikulturellen Gesellschaft konsequent verweigern
- in moralischen Fragen ohne Wenn und Aber die Gültigkeit der 10 Gebote
untermauern und darauf dringen, daß Christen sich bemühen, danach
zu leben
- von neuem lernen und verkündigen, daß das erste Ziel des Evangeliums
nicht die bessere Bewältigung dieser Welt und dieses Lebens ist, sondern
daß es eine Kraft Gottes ist, die errettet vom ewigen Verlorensein
und bewahrt zum ewigen Leben.
Wenn die Kirche diesen Weg beschreiten würde, hätte sie gewiß
die Verheißung, die gegenwärtige Krise ohne Substanzverlust
zu überstehen. Allerdings darf nicht der Eindruck entstehen, als seien
diese drei Punkte wiederum lediglich pragmatisch motiviert, als seien sie
also ein bloßes Handlungskonzept für das kirchliche Überleben,
das sich, wie das Beispiel der ersten Jahrhunderte zeigt, schon einmal
bewährt hat. Eine kirchliche Lehre, die nur um ihrer beabsichtigten
praktischen Wirkung willen vertreten würde, wäre absurd und sinnlos.
Sie würde sich zudem selbst aufheben. Denn wenn es der Kirche nur
um die Wirkung zu tun wäre, dann müßte man jederzeit die
Frage zulassen, ob dieselbe Wirkung nicht besser und effektiver auf andere
Weise erzielt werden könnte. Und wiederum wären die Nützlichkeitserwägungen
der menschlichen Vernunft das regierende Prinzip der Theologie.
Die Kirche kann die drei Richtungsangaben des Justin nur dann glaubwürdig
vertreten, wenn es ihr dabei um die Wahrheit zu tun ist. Nur dann darf
sie es im übrigen auch. Allein das Wahre zu lieben und zu ehren, hat
Justin gleich zu Beginn seiner Apologie verlangt. Und nur diese Maxime
kann die Grundlage für ein legitimes Handlungskonzept unserer Kirche
sein. Das wiederum jedoch kann nicht einfach auf einer in menschlicher
Eigenmächtigkeit gefällten Entscheidung beruhen, sondern nur
auf dem vom Heiligen Geist geschenkten Glauben. Das „sola fide“ der Reformatoren
ist also nicht etwa „nur“ das A und das O der Rechtfertigungslehre - eine
Erkenntnis, die den „lutherischen“ Kirchenleuten, die die „Gemeinsame Erklärung
zur Rechtfertigungslehre“ unterschreiben wollen, offensichtlich nicht zugänglich
ist - sondern es ist auch der einzige und alleinige Schlüssel zur
Überwindung der heutigen Kirchenkrise. Umgekehrt gesagt: Die Tatsache,
daß die herrschenden Mehrheiten in Kirche und Theologie heute eben
gerade nicht den Weg Justins beschreiten, sondern das Heil in der Anpassung,
in einer konturlosen Ökumene der Religionen, in Werterelativismus
und moralischer Nivellierung und in lebensphilosophischer Ausrichtung der
kirchlichen Botschaft an irdischen Interessen und Bedürfnissen sehen,
offenbart die Glaubenskrise als den eigentlichen und tiefsten Grund der
heutigen Kirchenkrise. Eine Neubesinnung der Kirche kann daher nur erfolgen,
wenn der Heilige Geist sie schenkt.
Bis es soweit ist, werden diejenigen, die aus ihrem Glauben heraus „allein
das Wahre lieben und ehren“ wollen, wie es Justin – und im übrigen
zeit seines Lebens auch Luther – verlangt hat, stellvertretend für
die Mehrheit ihren Weg gehen müssen. Sie sollten dabei nicht allzu
viel Zeit darauf verschwenden, sich mit der Mehrheit auseinanderzusetzen
oder gar Kompromisse mit ihr zu suchen. Das würde auf sinnlosen Gefechtsfeldern
Kräfte binden, die für die Verkündigung der Wahrheit dringend
benötigt werden. Auf gar keinen Fall jedoch sollten sie der Mehrheitsmeinung
irgendwelche geistliche Autorität zubilligen oder sich unter dem Eindruck
ihres übermächtigen publizistischen Meinungsdrucks den Mut zum
Sagen der Wahrheit nehmen lassen. In der Reformationszeit haben die Reformatoren
erklärt, daß Synoden irren "können". Heute ist aus diesem
"können" nahezu flächendeckend Wirklichkeit geworden.
Für die Frage nach der Wahrheit jedoch ist dieser Tatbestand irrelevant. Das
Pantheon auf der Piazza Rotonda in Rom ist heute eine christliche Kirche. Nur
wenn die Kirche heute und in Zukunft allein das Wahre ehrt und liebt, kann
sie davor bewahrt bleiben, daß sie selbst schon bald zu einem Pantheon
der Religionen verkommt.